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Matthias Nawrat: Wortkunst mit Wirkung

Erst Autor, dann Dichter: Matthias Nawrat bekommt den diesjährigen Fontane-Literaturpreis

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.
Preis mit Prestige: Schriftsteller Matthias Nawrat (M.) erhält den Fontane-Literaturpreis 2023 des Landes Brandenburg.
Preis mit Prestige: Schriftsteller Matthias Nawrat (M.) erhält den Fontane-Literaturpreis 2023 des Landes Brandenburg.

Der Tonfall bewies die innere Anteilnahme: »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich diesen Preis bekommen werde.« Der Schriftsteller und Dichter Matthias Nawrat zeigte sich bewegt, als er am Montag in der Potsdamer Staatskanzlei dazu Stellung nahm, dass ihm der Fontane-Literaturpreis 2023 zugesprochen wurde. Nein, der ökonomische Aspekt sei in seiner Lebenssituation nicht ganz zu vernachlässigen, setzte er in aller Freimut hinzu. Insgesamt 40 000 Euro, die das Land Brandenburg und die Fontane-Stadt Neuruppin gestiftet haben, werden ihm in Monatsraten zwei Jahre lang ausgezahlt. Das werde ihm die Arbeit an neuen Reiseessays und an seinem neuen Roman erleichtern. 

Es war der neu erschienene Gedichtband »Gebete für meine Vorfahren«, der die Jury unter der Leitung des Potsdamer Literaturprofessors Iwan-Michelangelo D’Aprile dazu bewegt hat, Nawrat den am höchsten dotierten Literaturpreis Brandenburgs zuzusprechen. Und das »im Verbund mit seinen zuvor veröffentlichten Werken«, wie es in der Einladung zur Festveranstaltung heißt. Nach mehreren Romanen sei dies sein erster Lyrik-Band, erklärte der Gepriesene. Darin setze er sich mit den Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts auseinander. Für ihn ein aktuelles Thema »gerade jetzt, wo in ganz Europa der Faschismus wieder erstarkt und das Bürgertum schläft«. Vor diesem Hintergrund reize ihn an der lyrischen Sprache, dass sie ganz anders wahr sein könne als politischer Sprech, wo es vielfach um Vernebelung, Tarnung und Verzerrung gehe. Ein Gedicht dieses mit dem Fontane-Preis ausgezeichneten Bändchens trägt dann auch den Titel »Neulich in Kabul, nach einem verlorenen Krieg«. Damit wird beispielsweise deutlich und schonungslos gesagt, was in der politischen Sphäre der Bundesrepublik eher verhehlt worden war: Dass auch Deutschland vor einigen Jahren in Afghanistan wieder einen Krieg verloren hatte. In seinen Gedichten hinterfragt der 43-Jährige auch »die Gewaltgeschichte der globalisierten Gegenwart«. 

Der Autor Nawrat ist 1979 im polnischen Opole geboren, das zu dieser Zeit schon Partnerstadt von Potsdam war. Im April 1989 ist er als Kind mit seiner Familie aus Polen über die damals noch existierende DDR in die Bundesrepublik eingewandert. Später studierte er erst Biologie und danach Literarisches Schreiben. Seit 2012 lebt er als freier Schriftsteller in Berlin. Da er von der Romanschreiberei bislang nicht leben konnte, schlug er sich mit journalistischer Arbeit und Lehraufträgen durch. Der Fontane-Preis war nicht seine erste Auszeichnung und spornt ihn zu weiteren an: »Ich glaube an die Kraft des Romans.« 

Es sei »kein völlig Unbekannter«, der in diesem Jahr den Fontane-Literaturpreis erhalte, sagte Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und verwies auf fünf Romane, die Matthias Nawrat in zehn Jahren verfasst habe. Mit seinen Texten halte der Preisträger der Politik und Gesellschaft den Spiegel vor, er stoße auch zu »unbequemen Wahrheiten« vor, kritisiere »mit scharfer Zunge« und nehme die Politik »moralisch in die Pflicht«.

Neuruppins Bürgermeister Nico Ruhle (SPD) machte darauf aufmerksam, dass der Literaturpreis mit dem Namen von Theodor Fontane auf Weiteres, um nicht zu sagen Höheres hinweise und er sich vielfach für eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller als eine Zwischenstation zu weiterem Ruhm, zu neuen Preisen und Ehrungen erweise. Als Beispiele nannte er die Autoren Judith Zander und Lutz Seiler. »Wer den Fontane-Preis bekommt, der hat was geschaffen. Dem winkt möglicherweise der Büchner-Preis.« 

Die Auswahl unter den Bewerbern um den Preis und sein Geld sei nicht leicht gefallen, der Entscheidung sei ein »spannendes Rennen« vorausgegangen,  gleichwohl habe am Ende eine große Übereinstimmung geherrscht, teilte Juryvorsitzender Prof. D’Aprile mit. In der Tat sei der erwählte Schriftsteller – wie die übrigen Träger des Fontane-Preises auch – kein Neuling mehr. Beim Fontane-Literaturpreis handele es sich nicht um einen »Debütpreis«. Der junge Schriftsteller Nawrat habe unter anderem einen »tollen Reiseroman« verfasst. Bücher wie »Der traurige Gast« und »Die vielen Tode unseres Opas Jurek« würden zu seinen bemerkenswertesten Arbeiten zählen. Im Gedichtband »Gebete für meine Vorfahren«, der den Ausschlag für die Preiszuerkennung gegeben habe, hatte sich der Dichter in die Region beiderseits der Oder begeben, was mit einem Foto auf dem »ausgezeichneten Cover« dokumentiert werde. Fremd seien seinen Arbeiten »leere Effekthascherei und lautstarke Selbstbezüglichkeit« und das in einer literarischen Umgebung, die nur noch »Bekenntnisliteratur« zu kennen scheine. Hingegen eint die Prosa und Lyrik von Nawrat Gelassenheit und feiner Humor. 

Literatur sei die Kunst des Weglassens, zitierte er den märkischen Altmeister aus dem 19. Jahrhundert, der dem Preis seinen Namen spendete. »Aber man muss auch etwas zum Weglassen haben«, schränkte er feinsinnig und ebenfalls mit Fontane-Bezug ein.

Der Fontane-Literaturpreis wird in der gegenwärtigen Form seit 2019 alle zwei Jahre vergeben. An der Potsdamer Universität habe Fontane in Lehre und Forschung ein »Heimspiel«, fügte D’Aprile hinzu und hob das »große Interesse« der Studenten an einem Autoren und »märkischen Goethe« hervor, der – wenn auch zu Unrecht – immer mal wieder als ein wenig langweilig gelte. Vor der politischen Wende habe die stärkere Fontane-Forschung auf deutschem Gebiet in der DDR stattgefunden, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich auf ihrem Territorium das meiste Material dafür befunden habe. Nach 1990 sei aber auch im Westen Deutschlands und sogar in Österreich ein Interesse an Fontane und seinem Werk erwacht, er wurde dort gleichsam »entdeckt«. D’Aprile stellte sich als Vorsitzender der Fontane-Gesellschaft vor, die inzwischen rund 750 Mitglieder habe und »Sektionen im ganzen Bundesgebiet.«

Die feierliche Preisverleihung zum Fontane-Literaturpreis findet am 24. August in der Kulturkirche Neuruppins statt. Einlass: 18 Uhr. Anmeldung erforderlich.

Matthias Nawrat: Gebete für meine Vorfahren. 68 Seiten, 12 €.

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