Waffenruhe nährt Friedenshoffnung

Die Kämpfe im Jemen sind nach der Annäherung von Saudi-Arabien und Iran abgeflaut

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Mittwochmittag war auf dem Flughafen der jordanischen Hauptstadt Amman ein seltenes Ereignis zu beobachten: Um 12.50 Uhr Ortszeit machte sich ein Airbus der jemenitischen Fluglinie Yemenia auf den Weg zur Rollbahn. Das Ziel: Sanaa, einst die Hauptstadt des gesamten Jemen. Und nun, wie fast der gesamte Norden des Landes, unter Kontrolle der Huthi-Milizen, die gegen die Truppen der international anerkannten Regierung kämpfen.

Noch vor Kurzem war Sanaa deshalb das Ziel von Luftangriffen durch eine von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz. Der Flughafen war geschlossen. Nun jedoch wird schon seit Monaten verhandelt, die internationale Diplomatie zeigt sich nach Jahren der Gleichgültigkeit in ihrer vollen Komplexität. Und die kleinen Dinge wie ein Flug von Amman nach Sanaa werden zum großen Symbol, denn einen Mehrwert für die Bevölkerung haben diese Flüge nicht: Sie sind viel zu teuer für die Allermeisten. Und es gibt in Sanaa auch keine jordanische Botschaft, bei der ein Visum beantragt werden könnte. Trotzdem sei der bis zu 255 Passagiere fassende Großraumjet mit Passagieren und Fracht voll gewesen, heißt es bei der jordanischen Grenzbehörde.

Man versuche derzeit Kontakte zur Führung der Huthi zu knüpfen und zu vertiefen, sagt ein Mitarbeiter des Jemen-Teams bei der Uno. Außerdem wolle man sich an eine Bestandsaufnahme machen: Wie steht es wirklich um die Infrastruktur? Was muss am dringendsten gemacht werden? Denn Hunger und Krieg sind die eine Sache. Mehr als 100 000 Menschen sind nach Schätzungen des Roten Halbmonds zudem an Krankheiten gestorben. Denn jedes Mal, wenn es regnet, bricht die Kanalisation zusammen. Und da es oft keine Müllabfuhr mehr gibt, wird das Wasser für die Menschen zur tödlichen Suppe. Insgesamt sind mindestens 300 000 Menschen direkt oder indirekt durch den Krieg getötet worden.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die beiden Haupt-Akteure innerhalb der Militärallianz, haben schon Ende März 2022 ihre Luftangriffe auf die Huthi-Gebiete eingestellt. Denn die Einsätze wurden zu teuer und sie kosteten auch Image. Zuletzt hatte sich auch der US-Kongress dagegen ausgesprochen und gefordert, dass Geheimdienste und Militär die Allianz nicht mehr mit Informationen und technischer Unterstützung versorgen. Zudem begannen die Huthi auch damit, Raketen auf Ziele in Saudi-Arabien und den VAE abzuschießen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die iranischen Revolutionsgarden die Huthi mit Waffen mit größerer Reichweite versorgten.

Der Jemen-Krieg war stets vor allem ein Stellvertreter-Krieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, der damit begann, dass die Huthi, deren religiöse Ideologie der des iranischen Mullah-Regimes ähnelt, an die Meerenge an der Einfahrt zum Roten Meer vorrückten. Nach offizieller Huthi-Lesart ging es bei alledem stets nur darum, eine Beteiligung an der Regierung, eine Demokratisierung zu erreichen. Der rasche militärische Erfolg überraschte viele Beobachter*innen. Ob der Vormarsch von vorneherein von Teheran aus orchestriert wurde, wie die saudische Regierung behauptet, oder ob sich die Huthi einfach jeder Hilfe bedienten, die sie bekommen konnten, ist nach wie vor unklar.

Als die Luftangriffe im vergangenen Jahr endeten, war längst klar: So würde man den iranischen Einfluss nicht zurückdrängen können. Zudem änderte sich die normalerweise sehr träge politische Linie der saudischen Regierung gegenüber dem Iran: Statt Ausgrenzung begann man auf Annäherung zu setzen. Und auch die internationale Gemeinschaft wurde wieder auf den Jemen-Krieg aufmerksam: 2021 hatte sich im Suez-Kanal ein Containerschiff quergelegt und damit deutlich gemacht, welche extremen Auswirkungen eine Blockade der Schiffahrtsroute durchs Rote Meer hätte.

Klar wurde aber auch: Weder die Huthi-Führung noch die von einem Präsidialrat unter Vorsitz von Raschad Al-Alimi geführte offizielle Regierung haben international irgendwas zu sagen. Erstmals verhandelten nur Saudi-Arabien und der Iran, die beiden großen Kriegsparteien saßen nicht mit am Tisch. Vereinbart wurden dann Anfang des Jahres eine Waffenruhe, Gefangenenaustausche und eine Öffnung des Flughafens Sanaa. Und das alles hält bis heute auch recht gut. Die Kämpfe sind abgeflaut, auch wenn es immer noch recht häufig zu Zusammenstößen kommt.

Der Konflikt zwischen Huthi-Rebellen und der Regierung ist nicht der einzige, der sich im Jemen abspielt. Im Süden des Landes fordert eine von den VAE unterstützte Organisation namens »Südlicher Übergangsrat« einen eigenen Staat. Zeitweise kämpfte man gegen die Regierung, rückte gar bis vor den Präsidentensitz in Aden vor. Nun ist man offiziell verbündet. Hinzu kommen mehrere hundert bewaffnete Milizen, die ständig die Seiten wechseln. Im Hinterland haben außerdem Gruppen Zuflucht gefunden, die sich Al-Qaida oder der Terror-Miliz »Islamischer Staat« zurechnen. Sowohl im Iran als auch in Saudi-Arabien sagen Regierungsvertreter, dass ihnen diese Situation zunehmend Sorge bereitet. Denn die Saudis haben immer wieder mit Anschlägen und Massenprotesten in der Grenzregion zu kämpfen, die sie vor allem mit dem Islamischen Staat in Verbindung bringen. Und einmal durch den Oman hindurch, über die Meerenge zwischen dem Persischen Golf und dem Indischen Ozean hinweg gibt es im Iran eine Region, in der überwiegend Araber*innen leben und in der Anschläge auf Militäreinrichtungen und andere staatliche Infrastruktur sehr oft passieren. Auch hier rechnen die Behörden die Anschläge oft dem Islamischen Staat zu.

Wie groß seine Reichweite ist, zeigte sich, als 2017 mehrere Anschläge in Teheran verübt wurden. Die Befürchtung, die auf beiden Seiten geäußert wird, ist, dass sich Syrien und Irak in Saudi-Arabien und im Iran wiederholen könnten.
Es wird noch lange dauern, bis all’ diese Herausforderungen gemeistert werden, falls überhaupt. Doch Uno-Vertreter sind sich sicher: So lange geredet wird, wird nicht geschossen.

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