Berliner Fenster: Immergleiche Aussichten

Das Programm des Berliner Fensters in den U-Bahnen der BVG sorgt bisweilen für Kopfschütteln – sogar München hat es besser

In den dunklen Schächten der U-Bahn gibt es kein Entkommen. Spätestens dann, wenn der Handyempfang abbricht oder man einfach nur wissen möchte, welche Station als nächste kommt, gleitet der Blick in die Mitte des Waggons. Und dort hängen sie dann: Bildschirme, auf denen das Berliner Fenster läuft. Täglich füttert das Programm die Fahrgäste der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit Veranstaltungstipps, Nachrichten und selbstverständlich auch subtilen Kaufempfehlungen.

Bei der Publizistin Katharina Nocun ist es nun ein Lesetipp, der für Ärger sorgte. »In der Berliner U-Bahn wird derzeit für ein extrem problematisches Buch des Esoterikers Joseph Murphy geworben, der behauptet, man könne Reichtum durch Gedankenkraft ›manifestieren‹«, twitterte die ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei am Dienstag. Schon der Titel des besagten Buches gibt ihr recht: »Werden Sie reich mit der Kraft Ihres Unterbewusstseins«.

Die Werbung für ein Buch, hinter dem laut Nocun ein »ziemlich toxisches Menschenbild« steckt, gibt Gelegenheit, über Grundsätzlicheres nachzudenken. Denn in dem unscheinbaren Flimmerkasten konzentriert sich einiges an Macht – und die wandert zum Teil an die Springer-Presse. Die rund 700 Millionen Fahrgäste, die laut BVG jährlich befördert werden, können sich dabei von »Welt« und »B.Z.« informieren lassen. Mit dem »Bayerischen Rundfunk« und der »Süddeutschen Zeitung« schlägt hier selbst München das vermeintlich weltoffene Berlin.

Zuständig sowohl in der bayerischen als auch der bundesdeutschen Hauptstadt ist die Mcrud GmbH. Im Berliner Fenster kümmert sie sich seit 2008 um die Redaktion, Vermarktung sowie Ausstrahlung des Programms. »Werbung mit allgemein diskriminierenden oder anstößigen Inhalten werden von der Ausstrahlung ausgeschlossen«, teilt das Unternehmen auf Anfrage von »nd« mit. In der Auswahl orientiere man sich außerdem am kindgerechten Maßstab der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft: FSK 0.

»Welt« und »B.Z.« sind Mcrud zufolge feste Medienpartner. Das Blatt unter Chefredakteur Ulf Poschardt ist dabei für Überregionales zuständig, die Lokale Berichterstattung wird dem Boulevardblatt überlassen. »Sie wurden nach den Kriterien journalistische Qualität und Kompetenz, Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit der täglichen Zusammenarbeit ausgewählt«, lässt Mcrud wissen.

Für welchen Zeitraum die Kooperation mit der BVG geschlossen wurde, wann oder ob die Medienpartner gewechselt werden könnten, behält man allerdings für sich. Die Verkehrsbetriebe selbst sehen sich auf Nachfrage in keiner Weise zuständig – und so bleibt es wohl erst einmal bei der guten, alten Tradition.

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