Chinas Kampf gegen korrupte Ärzte

Strafverfolgung von Pharma-Herstellern lässt Aktienkurse einbrechen

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt wenige Branchen, die so korruptionsanfällig sind wie das chinesische Gesundheitswesen. Doch was zuvor meist mit einem resignierten Schulterzucken quittiert wurde, landet nun immer öfter vor Gericht. Die spektakulärsten Fälle schaffen es gar fast täglich auf die Titelseiten der Staatszeitungen: Der Vize-Präsident eines Krankenhauses im nordöstlichen Liaoning soll umgerechnet 400 000 Euro von einem Pharma-Konzern angenommen haben, um diesem zu Aufträgen zu verhelfen. Im südlichen Yunnan ließ sich ein Oberarzt rund zwei Millionen Euro zahlen, damit sein Spital das medizinische Gerät eines bestimmten Herstellers einkauft.

Ende Juli hat die zentrale Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei Chinas eine bisher beispiellose Anti-Korruption-Kampagne für den Bereich des Gesundheitswesens ausgerufen. Unter anderem wurden die lokalen Behörden dazu aufgefordert, ihre Strafverfolgung zu intensivieren und insbesondere hochrangige Funktionäre ins Visier zu nehmen.

Wenig überraschend rollten schon bald unzählige Köpfe: Allein bis Mitte August wurde bereits gegen mehr als 150 Leiter von öffentlichen Krankenhäusern ermittelt, mehr als doppelt so viele wie noch im letzten Jahr. Auch etliche Spitzenmanager von Arzneimittelherstellern gerieten in den Fokus der Regulatoren und haben ihre Jobs verloren.

Auf den Finanzmärkten führte das Vorgehen der Behörden zu einem drastischen Einbruch der Aktienkurse. Laut Berechnungen der Hongkonger »South China Morning Post« wurden allein in den ersten zwei Wochen der Anti-Korruption-Kampagne Marktwerte von rund neun Milliarden Euro vernichtet.

In vorauseilendem Gehorsam haben Branchenverbände in diesem Monat bereits mindestens elf medizinische Konferenzen kurzfristig abgesagt, wie das chinesische Online-Medium »The Paper« berichtet. Zwar wurden keine offiziellen Gründe genannt, doch ein Zusammenhang mit der derzeit laufenden Anti-Korruption-Kampagne ist offensichtlich: Gesundheitskonferenzen wurden schließlich in der Vergangenheit von der Pharmaindustrie gezielt dafür genutzt, um Bestechungsgelder in Form von Vortragshonoraren zu verteilen. Denn in den chinesischen Krankenhäusern stellen die Ärzte nicht nur Rezepte aus, sondern verfügen meist über hauseigene Apotheken, wo sie genauestens über die Wahl der verkauften Arzneimittel verfügen können.

In einer im Februar publizierten Studie untersuchten Forscher der renommierten Peking-Universität die Gründe für die weit verbreitete Korruption. Allen voran machten die Studienautoren den finanziellen Druck unter den Medizinern verantwortlich. »In unserem Bezirkskrankenhaus können über 60 Prozent der Ärzte ihre Familien nicht ernähren, wenn sie sich ausschließlich auf ihre Gehälter verlassen«, wird ein Doktor zitiert. Eine Oberärztin sagt: »Wenn die meisten Kollegen auf meiner Station Schmiergelder erhalten, kann ich diese doch nicht ablehnen. Ich werde isoliert, wenn ich ihrem Beispiel nicht folge.«

Dementsprechend dürfte die derzeitige Anti-Korruption-Kampagne vor allem die Symptome bekämpfen, nicht jedoch die Ursache. Denn ohne eine bessere Finanzierung des Gesundheitswesens in der Volksrepublik dürfte es kaum zu nachhaltigen Verbesserungen kommen.

Es ist bemerkenswert, dass viele Publizisten die Maßnahmen der Behörden durchaus skeptisch betrachten. Hu Xijin, ehemaliger Chefredakteur der nationalistischen »Global Times«, mahnt zum Beispiel: »Wir sollten umfassend sicherstellen, dass die Korruptionsbekämpfung innerhalb des gesetzlichen Rahmens durchgeführt wird. Dies ist keine sogenannte Massenbewegung«. Seine Kritik spielt auf die radikalen Kampagnen der 60er Jahre unter Staatsgründer Mao Tsetung an, die maßlos über ihr beabsichtigtes Ziel hinausschossen.

Eine solche Befürchtung ist durchaus berechtigt. Auf der Online-Plattform Weibo lässt sich bereits eine regelrechte Hexenjagd gegen das Gesundheitspersonal beobachten. Vor allem unzählige Ärzte werden von den Usern mit Namensnennung an den Pranger gestellt – und ohne jegliche Beweise schwerwiegender Korruption bezichtigt.

Dabei dürfte es auch etliche Unschuldige treffen: Ein Kardiologe etwa berichtet in einem Online-Posting, dass er kürzlich von einem Patienten wegen angeblicher Korruption gemeldet wurde und daraufhin seinen Jahresbonus gestrichen bekam. Der Vorwurf lautete: Eine Patientin hätte sich nach einer Operation mit ein paar Lunch-Boxen und Milchkaffees beim Krankenhausteam bedankt.

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