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  • Sommerserie »Food for Thought«

Katerstimmung im Brauhaus

Food for Thought (Teil 7): Warum die Bierkultur nicht mehr wiederzuerkennen ist

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer als Teenager Anfang der 80er Bitburger entdeckte, machte eine seltsame Erfahrung. Dieses Pils galt damals als eines der herbsten Biere der Bundesrepublik. Doch im Lauf der Jahre gewann man den Eindruck, es würde milder, weniger hopfig schmecken. Jung und naiv wie wir waren, führten wir dies darauf zurück, dass unsere Gaumen sich an den bitteren Geschmack gewöhnt hatten.

Zur gleichen Zeit rollte die Homburger Karlsberg-Brauerei den Biermarkt im Saarland und in Rheinland-Pfalz auf. Reihenweise schluckte das Unternehmen Traditionsbetriebe wie die Aktienbrauerei Merzig und die Trierer Löwenbrauerei. Fortan waren wir gezwungen, in jenen Kneipen, die bis dato heimisches Bier ausgeschenkt hatten, Karlsberg zu trinken. Und jetzt geschah das Seltsame: Deren Pils schmeckte wie Bitburger, allerdings wie das aus früheren Tagen. Langsam begannen wir an unseren Gaumen zu zweifeln – bis uns ein Brauereigeselle die Wahrheit erzählte.

Unsere Geschmacksknospen hatten sich nicht geirrt. Bitburger war mit den Jahren tatsächlich immer milder geworden. Und das mit Absicht. Das ursprüngliche Pils war für den Massengeschmack zu herb gewesen. Um auf dem internationalen Markt zu bestehen, softete man es ab. Karlsberg wiederum wollte mit Bitburger konkurrieren und strebte danach, den Geschmack des eigenen Pils dem des großen Vorbilds anzupassen. Dies führte zu einem bizarren Wettlauf. Wann immer die Bitburger Brauerei ihr Bier abmilderte, zog Karlsberg mit Verzögerung nach.

Food for Thought

In unserer diesjährigen Sommerreihe widmen wir uns der Kulinarik – in ihrer sinnlichen, sozialen und politischen Dimension.

Irgendwann in den 90ern war der Endpunkt erreicht – und der Tiefpunkt. Karlsberg schmeckte wie Bitburger. Bitburger schmeckte wie Warsteiner. Und Warsteiner schmeckte wie jedes andere industriell hergestellte Pils. Es machte keinen Spaß mehr, Bier zu trinken. Die Trinkkultur war verarmt. Außerhalb von Bayern und Baden-Württemberg sah es besonders trostlos aus: Von den rund 13 000 Brauereien, die es 1879 gegeben hatte, waren 1995 noch 600 übriggeblieben. Im Bemühen, den Massengeschmack zu treffen, hatte man ein langweiliges Einheitsprodukt geschaffen.

Die großen Brauereien erhielten die Quittung. Nach und nach entstanden überall in Deutschland wieder Hausbrauereien. Hinter manchen stehen kuriose Geschichten. Als es in dem Hallenbad eines Trierer Hotels Ende der 90er zu einem Brand kam, entschied sich dessen Besitzer Hans-Werner Kraft bei der Renovierung dazu, statt auf gechlortes Wasser hinfort auf Brauwasser zu setzen. Eine weitsichtige Entscheidung. Die verschiedenen Sorten des »Kraft-Bräu« haben sich zum Renner in der Region entwickelt. Die Biere sind mittlerweile sogar in Supermärkten erhältlich. Dazu zählen nicht nur Klassiker wie das Pils und das Helle, sondern auch Exoten wie das India Pale Ale – ein Bier, dem die Engländer für die lange Überfahrt nach Indien mehr Alkohol und doppelt so viel Hopfen auf den Weg mitgaben (und es auf diese Weise konservierten).

Interessant ist dabei auch die Vermarktung. Man bietet das India Pale Ale in Champagnerflaschen an, und auch der Verkaufspreis spielt in dieser Liga. Für eine 0,75-Liter-Flasche India Pale Ale bekommt man anderweitig eine ganze Kiste Industriebier. Auch die Beschreibungen der Gebräue dürften bei traditionellen Biertrinkern Erstaunen auslösen. Über ein Pils heißt es: »Nelson Sauvin, Motueka und Wai-iti sind drei exotische Aromahopfen aus Neuseeland, die für frische Noten von Zitrus, Ananas, Stachelbeere und einen Hauch von fruchtigem Weißwein sorgen.«

Das entscheidende Wort lautet »Wein«. Die Hausbrauereien, die in den vergangenen 30 Jahren entstanden sind, verstehen sich als Biermanufakturen, die »Craft Beer« (handwerkliches gebrautes Bier) herstellen. Sie sind das Gegenmodell zu großen Brauereien wie der Bitburger, bei denen jährlich über 400 Millionen Liter Gerstensaft durch die Produktionsanlagen laufen. Wie bei Spitzenwinzern ist das Hauptargument der Kleinbrauer der außergewöhnliche Geschmack. Craft Beer wird vermarktet wie Große Gewächse und Auslesen. Es gibt Bierdegustationen (also Bierproben) und sogar komplette Menüs mit korrespondierenden Bieren. Das ist durchaus ein Erlebnis, wenn man zur Mousse au Chocolat ein Bier trinkt, das nach Schokolade schmeckt – pur ungenießbar, doch zum Nachtisch passt’s perfekt.

Noch bewegen sich die Hausbrauereien in einer Nische, doch diese wird größer und größer – auf Kosten der Bierkonzerne. Diese geraten gleich zweifach in Bedrängnis. Zum einen trinken die Deutschen generell weniger Bier, zum anderen greifen sie zunehmend zum Craft Beer. Bitburger reagierte darauf bereits 2013, indem das Unternehmen seine Versuchsbrauerei in »Craftwerk Brewing« umbenannte, die seitdem mit eigenen Bieren auf dem Markt vertreten ist. Diese tragen Namen wie »Dry Hop’d Lager«, »Mad Callista« und »Holy Cowl« – da assoziiert man nicht unbedingt Großbrauerei.

Das Ganze erinnert an die Musikszene der 80er und 90er Jahre. Große Plattenfirmen betrieben damals nebenher kleine Labels, um einen Zugang zum Independent-Markt zu finden. Doch anders als in der verwickelten Musikbranche, bei der man vor lauter Unterlabels und Sub-Unterlabels nur schwer durchblicken konnte, wie »indie« eine Band letztlich war (die Verwertungsrechte an Nirvana gehören der Universal Music Group, dem größten Musikkonzern der Welt), herrschen beim Bier klare Verhältnisse. Eine Hausbrauerei erkennt man schon von weitem, sogar mit besoffenem Kopf. In diesem Sinne: Prost! (nach Diktat versackt)

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