- Kultur
- Linkes Kochen
Es geht um das, was man teilt
Zum Gedenken an den Sturz von Mussolini gibt es diese Woche Pastasciutta Antifascista
Man macht sie mit Butter und Käse. Mit Tomatensauce, Basilikumpesto, Salsiccia oder mit Zucchini aus dem Schrebergarten. Sie schmeckt nach Mittagstisch und Volksküche. Und nach Sommer und Urlaub. Die einen sagen Pasta dazu, die anderen Nudeln. Mit Sugo heißt das, was sich dann auf dem Teller befindet, Pasta asciutta. Am 25. Juli jeden Jahres ist sie mehr als nur ein italienisches Grundnahrungsmittel – sie wird zum kulinarischen Manifest.
Die Tradition der Pastasciutta Antifascista geht zurück auf einen Moment politischer Euphorie: Am 25. Juli 1943 wurde Benito Mussolini in Rom entmachtet, verhaftet und auf königlichen Befehl ins Gebirge verfrachtet. Die Nachricht vom Sturz des »Duce« verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Zwar war Mussolini nicht tot – er wurde wenig später von deutschen Fallschirmjägern evakuiert und in Norditalien an die Spitze der faschistischen Marionettenrepublik von Salò gesetzt. Und doch hatte der italienische Faschismus an diesem Tag sein Gesicht verloren. In Gattatico, einer bäuerlich geprägten Gemeinde bei Parma in der Emilia-Romagna, kochte die Familie Cervi an diesem Tag Pasta mit Butter und Käse für die gesamte Dorfgemeinschaft – zu feiern gab es einen Etappensieg.
Da waren nicht nur die Nudeln und die Butter, sondern auch die antifaschistischen Kämpfer*innen aus der Bauernfamilie Cervi. Ihre Geschichten wurden im Nachhinein zum Mythos. Adelmo, das jüngste Kind der Familie, war sieben Monate alt, als sein Vater Aldo zusammen mit seinen sechs Brüdern am 28. Dezember 1943, rund ein halbes Jahr nach dem antifaschistischen Pasta-Essen, von faschistischen Milizionären erschossen wurde. Dieser war Anführer der »Banda Cervi« gewesen, einer Widerstandsgruppe aus Gattatico, die Deserteure versteckte, Flugblätter druckte und Partisanen versorgte.
Der tägliche Strom an Nachrichten über Krieg, Armut und Klimakrise bildet selten ab, dass es bereits Lösungsansätze und -ideen, Alternativprojekte und Best-Practice-Beispiele gibt. Wir wollen das ändern. In unserer konstruktiven Rubrik »Es geht auch anders« blicken wir auf Alternativen zum Bestehenden. Denn manche davon gibt es schon, in Dörfern, Hinterhöfen oder anderen Ländern, andere stehen bislang erst auf dem Papier. Aber sie zeigen, dass es auch anders geht.
Jeden Sonntag schon ab 19 Uhr in unserer App »nd.Digital«.
In der Darstellung von Adelmo Cervi war der 25. Juli 1943 kein Tag des Jubels, sondern einer des Aufatmens. Adelmo schrieb später, dass in diesem Moment der antifaschistische Zusammenhalt gestärkt wurde – durch das, was auf den Tisch kam. Unermüdlich hält er die Erinnerung an die Resistenza wach. Die Geschichte seines Vaters und seiner Onkel hat Adelmo Cervi nicht verklärt, sondern literarisch seziert. »Sieben Männer, sieben Leben, sieben Tode«, schreibt er in seinem Buch »I miei sette padri«. Jene, die weiterlebten – darunter er und seine Tanten Diomira and Rina – mussten sehen, wie. Und essen, was bleibt.
In Gattatico war es heiß am Tag von Mussolinis Sturz. Alcide Cervi,
Genoeffa Cocconi und ihre Kinder holten aus dem Vorratslager, was noch
da war: Pasta, Butter und Käse. Sie kochten in großen Töpfen, auf offener Flamme. Die Faschisten konnten ihnen das Leben nehmen, aber nicht die Pasta. Am Hof der Cervis versammelten sich Freunde, Nachbarn, sogar einige, die bisher gezögert hatten, sich offen gegen das Regime zu stellen. Es war eine kraftvolle Geste: Wir teilen, was wir haben. Wir leben noch. Und wir leisten Widerstand.
Meine letzten antifaschistischen Spaghetti habe ich in Italien gegessen, im vergangenen Jahr auf der ehemaligen Gefängnisinsel Ventotene. Es war ein einfacher Teller mit Tomatensauce, auf der Piazza del Castello. Dort, im Zentrum der einstigen Zitadelle, befanden sich in den 1930er Jahren die Schlafstätten der von Mussolini verbannten Kommunist*innen, Anarchist*innen und Sozialist*innen. Tagsüber gab es Arbeitspflicht, nachts die Pritsche. Die Kommunist*innen aßen für sich, ebenso die Sozialist*innen und die Mitglieder der Gruppe Giustizia e Libertà. Die kommunistischen Politiker*innen Camilla Ravera, Altiero Spinelli, Umberto Terracini waren unter den Gefangenen und auch Sandro Pertini. Letzterer wurde später Mensaleiter der Sozialisten – und 1978 italienischer Staatspräsident. Eine Straße vor Ort erinnert an ihn. Was auf den Teller kam, war nicht immer viel, aber man teilte, was man hatte.
Auf Ponza, einer anderen Verbannungsinsel im Tyrrhenischen Meer, gab es ebenso politische Mensen zur Selbstversorgung. Eine Gruppe von Kommunisten aus Terlizzi in Apulien wusste, wie man Land kultiviert und aus wenig viel macht. Es war ein Leben im Exil. »Abitare l’utopia« steht auf einem Denkmal am Ufer der Insel. Die Utopie bewohnen. Dazu gehört auch: gemeinsam essen.
Die Pasta-Küchen der italienischen Kommunist*innen beschränkten sich nicht auf die Orte der Verbannung. In den Städten, auf den Hinterhöfen von Rom, in den peripheren Quartieri von Mailand oder Bologna, entstanden in den Zwanzigern improvisierte Volksküchen der Partito Comunista d’Italia (PCd’I). Wer kam, bekam einen Teller – Pasta mit ein wenig Sugo, manchmal auch nur Brot und ein Glas Wasser. Das reichte. Mancherorts hingen Zettel an der Tür: »Chi ha fame, entra« – Wer Hunger hat, tritt ein. Eine Kelle gegen den Hunger. Und eine Gabel dazu.
Die KPÖ-Bezirksorganisation in Wien-Floridsdorf kennt diese Geschichten. Im »Aquarium«, einem Projektraum in der autofreien Siedlung, kochen ein paar ihrer Mitglieder einmal im Monat Pasta mit Tomatensauce und Parmesan. Keine Parteisitzung, sondern ein gemeinsames Abendessen – offen für alle, die Hunger haben. Manchmal gibt es auch Pizza, kommunistische Pizza. Die Zutaten sind dieselben wie eh und je. Und doch geht es um mehr: Es geht um Nachbarschaft und um Solidarität. Um das, was man teilt. Die politische Forderung: eine Energiegrundsicherung, eine Mietpreisbremse, ein Preisdeckel für Lebensmittel. Die Menschen sollen die Kelle selbst in die Hand nehmen.
Die KPÖ will an die Tradition der Volksküchen der Partito Comunista d’Italia anknüpfen und fordert dafür Raum auf öffentlichen Plätzen. Im April 2025 machten einige ihrer Mitglieder mit Pizzatrucks in unterschiedlichen Bezirken von Wien Halt – als symbolische Protestaktion gegen die hohen Lebensmittelpreise. Auch im »Labor Alltagskultur«, einem Kulturverein in Wien-Meidling, gibt es jedes Jahr ein gemeinsames Essen. Die Vereinigung, für ihre Interventionen zwischen Schrebergarten und Sozialgeschichte stadtbekannt, wurde 1990 von Ethnologie-Studierenden gegründet und hat ihren Sitz in einem Schrebergarten. Dort wird gemeinsam diskutiert, gegessen und gespielt.
Am kommenden Freitagnachmittag wird Vereinsmitbegründerin Ulli Fuchs kochen – für alle, die kommen. Pasta. Mit Butter. Oder mit Zucchini. Auf jeden Fall antifaschistisch. Auf dem Tisch im Garten des »Labor Alltagskultur« liegt dann ein Buch neben der Parmesanreibe – so wie jedes Jahr am 25. Juli. Gernot Trausmuth, Autor aus Wien, wird aus Adelmo Cervis Buch »Meine 7 Väter. Als Partisan gegen Hitler und Mussolini« lesen, er hat das Werk aus dem Italienischen übersetzt. Die Nudeln sind gar, der Käse auf der Tomatensauce zieht Fäden. Der Faschismus ist nicht weg. Aber die Küche dagegen bleibt. Wer gemeinsam kocht, kapituliert nicht.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.