Berliner Molkenmarkt: Altstadt um jeden Preis

In seinem Rahmenplan für den Molkenmarkt bricht der Senat mit dem Ziel eines bezahlbaren Quartiers

Wie geht es weiter mit dem Molkenmarkt? Mit dem im Senat beschlossenen Rahmenplan kriegt Berlins wichtigstes und zugleich kontroversestes Städtebauprojekt Konturen und einen Zeitplan. 2026 sollen die ersten Bauprojekte beginnen, kündigte Bausenator Christian Gaebler (SPD) bei der Pressekonferenz nach der Senatssitzung am Dienstag an. Im Idealfall sollen die ersten Projekte dann schon 2028 abgeschlossen sein. »Das wäre ein schöner Termin«, sagte Gaebler.

Ob die Diskussion über das Areal zwischen Alexanderplatz und Spree bis dahin verstummt sein wird, darf bezweifelt werden. Mit dem Rahmenplan dürften viele Kritiker der Senatsbaubehörde ihre Befürchtungen bestätigt sehen. Zentrale Elemente des ursprünglich von Rot-Grün-Rot beschlossenen Konzepts werden mit dem Rahmenplan aufgegeben. Schon länger schwelt ein Streit darüber, ob das Quartier primär als Wohnumfeld oder als repräsentative Anlage mit Tourismus-Faktor in der historischen Mitte genutzt werden soll. Aktuell ist das Gebiet von einer mehrspurigen Straße und viel Freifläche geprägt.

Wer befürchtete, dass am Molkenmarkt künftig Altstadtkitsch vorherrschen würde, dürfte sich von der Pressekonferenz bestätigt sehen – auch wenn Gaebler abstritt, dass der Senat für das Gebiet einen historisierenden Nachbau der mittelalterlichen Altstadt wie am Römermarkt in Frankfurt am Main plane. »Wir wollen einen historischen Bezug, aber wir wollen am Ende auch in der aktuellen Zeit landen«, sagte Gaebler.

Es gehe »nicht um eine Rekonstruktion, sondern eine aktuelle Reinterpretation«. Die historische Altstadt, die im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und anschließend abgerissen wurde, soll also nicht wieder aufgebaut werden. Insbesondere die Dächer und Fassaden sollen aber an das ehemalige Stadtquartier erinnern. Durchgangsverkehr soll es in dem neuen Viertel nicht geben.

Zudem soll durch die Parzellierung die historische Reminiszenz geschaffen werden: Statt großer Wohnblöcke werde das neue Wohnviertel von zahlreichen kleinen Grundrissen, die eng aneinandergrenzen, geprägt sein. Sechs Stockwerke soll die Bebauung dabei nicht übersteigen. Insgesamt dürften so 450 Wohnungen entstehen. Eine solch zerfaserte Parzellierung bedeutet aber auch, dass die Bebauungskosten kräftig ansteigen werden. Dazu kommt, dass die Grundstücke extrem teuer sind: Mehr als 15 000 Euro kostet ein Quadratmeter Boden rund um den Molkenmarkt. Für private Investoren wäre das unbezahlbar, wenn sie im Anschluss nicht Luxusmieten kassieren würden.

Der rot-grün-rote Vorgängersenat hatte sich daher entschieden, die Grundstücke für einen symbolischen Geldwert den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften Degewo und WBM zu überschreiben. Nach dem Willen des neuen, schwarz-roten Senats sollen nun weitere »gemeinwohlorientierte Akteure« hinzukommen, wie Gaebler erklärte. Ähnliches war bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben worden. Auf Nachfrage bestätigte Gaebler, dass es dabei vor allem um Genossenschaften ginge.

Im Vorfeld war die Abkehr von einer rein öffentlichen Bebauung als Schritt zu einer Privatisierung des Geländes kritisiert worden. Befeuert werden dürften diese Befürchtungen durch Gaeblers Aussage, dass auch »Leute, die Projekte realisieren können«, im Rahmen von Konzeptverfahren an der Bebauung beteiligt werden könnten. Den sozialen Frieden sieht Gaebler aber nicht gefährdet. Die Hälfte der Wohnungen rund um den Molkenmarkt solle »mietgedämpft« sein, erklärte Gaebler. Auf Nachfrage schränkte er allerdings ein, dass real nur 30 Prozent der Wohnungen für das sogenannte erste Fördersegment der einkommensschwächsten Mieter reserviert sein sollen. Um das zu finanzieren, sollen Gewerbemieten Geld reinholen. 29 000 Quadratmeter Gewerbe- und Kulturflächen soll das Quartier am Ende umfassen. Die Projekte wirtschaftlich zu gestalten und zugleich sozial durchmischt zu gestalten, sei aber eine Herausforderung, so Gaebler.

Einen Bruch mit den bisherigen Plänen will Gaebler in dem Rahmenplan allerdings nicht erkennen. Dieser sei vielmehr eine Fortführung einer »klaren Linie«, die die Senatsbauverwaltung schon in der letzten Legislatur geführt habe. Die Verwerfungen seien eher »kommunikativer Natur« gewesen. Das verkürzt allerdings die Konflikte um den Molkenmarkt. Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) beendete im vergangenen September einen Architekturwettbewerb um die Gestaltung des Molkenmarkts, ohne dass ein Siegerentwurf prämiert wurde. Kritikern unterstellte Gaebler, überhaupt keine Bebauung am Molkenmarkt zu wollen. Auf den Rahmenplan soll nun ein »Gestaltungshandbuch« folgen, aus dem dann die Vorgaben für die konkreten Projektvergabeverfahren abgeleitet werden können.

Dass der neue Rahmenplan mitnichten einen zuvor eingeschlagenen Weg fortführt, lässt sich auch an der Reaktion der Ex-Koalitionspartner von Gaeblers SPD ablesen. »Alle Befürchtungen haben sich bewahrheitet«, sagte Katalin Gennburg, stadtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. »Der Senat hasst die Armen und will sie aus der Innenstadt verdrängen.« Mit dem neuen Rahmenplan würden ästhetische Kriterien über soziale Standards gesetzt. Wäre es nach der Linken gegangen, würden die neugebauten Wohnungen am Molkenmarkt zu hundert Prozent unter die Sozialbindung fallen. Kahlfeldts Vorgehen bezeichnet die Linke-Politikerin als »Handstreich«. »Der Molkenmarkt steht nicht nur für Architektur aus der Kaiserzeit, sondern auch für Politik aus der Kaiserzeit.« Auch die Grünen-Fraktion warnte in einer Pressemitteilung vor einem »Disneyland«, das sich Mieter nicht leisten könnten.

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