Eine »Krise der toxischen Drogen«

Alle Staaten auf der Welt illegalisieren bestimmte Substanzen. Für die Konsumenten hat das harte Konsequenzen, von Gefängnisstrafen bis zum Tod durch Überdosis. Der Podcast »Crackdown«, produziert von Aktivisten aus der Drogenszene, dokumentiert die Situation in Kanada. Ein Gespräch mit dem Moderator Garth Mullins

Drogenpolitik: Eine »Krise der toxischen Drogen«

In Kanada organisieren sich Drogenkonsument*innen in einer Weise, die es in Deutschland meines Wissens derzeit nicht gibt. Seit wann existiert dieser Aktivismus und wie genau sieht er aus?

Ich selbst bin an einer Gruppe beteiligt, die sich Vancouver Area Network of Drug Users nennt, kurz Vandu. Wir haben uns vor 25 Jahren gegründet, zu einer Zeit, als hier in Vancouver viele Menschen an HIV/Aids und sehr starkem Heroin namens China White starben. Wir gründeten uns, weil uns klar wurde, dass niemand anderes zu unserer Rettung kommen wird. Also mussten wir uns selbst retten, selbst für eine Veränderung in der Drogenpolitik kämpfen, dass uns die Polizei in Ruhe lässt und so weiter.
Diese Art der Selbstorganisation hat vielleicht nicht in jedem Fall über 25 Jahre lang Bestand. Aber ich glaube, dass letztlich überall, wo Menschen unterdrückt, ausgebeutet oder anderweitig über den Tisch gezogen werden, bei vielen der Reflex besteht, sich zu organisieren und Widerstand zu leisten.

Zu Beginn dieses Jahres ist im kanadischen Bundesstaat British Columbia ein neues Drogengesetz in Kraft getreten. Können Sie kurz skizzieren, was dies beinhaltet?

Seit Januar dieses Jahres ist es hier in British Columbia legal, kleine Mengen von Drogen für den persönlichen Gebrauch mit sich zu führen. Konkret meint das bis zu 2,5 Gramm Opioide, Crystal Meth, Kokain oder MDMA. Das ist auch deshalb möglich geworden, weil unsere Bewegung über viele Jahre dafür gekämpft hat – das erste Treffen zur Entkriminalisierung, an dem ich persönlich teilgenommen habe, fand 1998 statt, wenn ich mich richtig erinnere.

Sie betrachten das Gesetz also als einen Erfolg für die Anti-Prohibitions-Bewegung?

Ja. Wir haben lange dafür gekämpft, dass die Polizei sich aus unserem Leben zurückzieht und uns nicht mehr ständig anhält und durchsucht, dass wir keine Strafanzeigen mehr bekommen, unsere Drogen nicht mehr beschlagnahmt werden, dass wir nicht mehr verhaftet und vor Gericht gestellt werden und nicht mehr ins Gefängnis müssen. Dass man nicht mehr aus seiner Wohnung geworfen wird, einem die Kinder weggenommen werden oder man gefeuert wird, weil man mal verurteilt worden ist. Für, oder besser: gegen all diese Dinge haben wir gekämpft, und nun hat der kanadische Staat ein erstes Zugeständnis gemacht. Die Politiker*innen sind zwar nicht den ganzen Weg gegangen, aber sie haben – nachdem wir sie ewig unter Druck gesetzt haben – erkannt, dass sie irgendetwas tun müssen. Das neue Gesetz war ein Schritt, aber für uns ist der Kampf noch lange nicht vorbei, hat vielmehr gerade erst begonnen.

Ich muss daran denken, dass in Berlin ständig Zwangsräumungen stattfinden, weil der Wohnraum extrem aufgewertet wird. Dagegen gibt es zwar eine Protestbewegung, aber es scheint nahezu unmöglich, diese Entwicklung aufzuhalten. Welche Formen des Aktivismus haben Sie und Ihre Genoss*innen denn eingesetzt?

Wir machen alles: Wir protestieren auf der Straße, ziehen vor Gerichte, nutzen zivilen Ungehorsam und klassisches Community Organizing, machen aber auch Lobbyarbeit. Ausserdem nutzen wir natürlich die verschiedenen sozialen Medien für die Kommunikation unserer Inhalte und Ziele.
Aber in diesem anderen Bereich, von dem Sie sprechen, der Aufwertung von Wohnraum und Verdrängung, verlieren wir den Kampf im Moment auch. Zum Beispiel hat die Polizei dieses Jahr in der Hastings Street hier in Vancouver mehrere Razzien durchgeführt, hat die Leute geräumt, ihre Zelte und Habseligkeiten weggeworfen. Das ist ein ziemlich brutales Vorgehen, der Community geht es nicht besonders gut damit. Und die Mieten steigen auch in dieser Stadt immer weiter, genau wie überall sonst auf der Welt.

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Dabei ist Gentrifizierung natürlich etwas anderes als die Kriminalisierung von Substanzen.

Aber es gibt doch einen Zusammenhang, oder? In gewisser Weise ist es eine Form der Kriminalisierung, wenn man aus seiner Wohnung vertrieben wird, weil man arm ist.

Um noch mal auf das neue Gesetz zurückzukommen: Sie sagten, es sei ein erster Schritt und ein Erfolg für die Bewegung. Aber haben Sie auch eine Kritik daran? Verfolgt der Staat hier vielleicht auch problematische Motive?

Auf jeden Fall. Ich denke zum Beispiel, dass die Polizei auch ein verändertes Mandat für die Durchführung des Drogenkriegs haben wollte – denn es ist ein Krieg, den der Staat da führt. Die Polizei nimmt natürlich immer bestimmte Teile der Bevölkerung ins Visier und wollte nun noch einmal klargestellt haben, gegen wen genau sie vorgehen kann. Und so wurde eben beschlossen, dass ab jetzt jede Person, die mehr als 2,5 Gramm einer illegalisierten Substanz mit sich führt, von Repression betroffen sein soll.

Das ist überhaupt ein weiterer meiner Kritikpunkte: 2,5 Gramm sind als Schwelle viel zu niedrig angesetzt. Angeblich ist das die Menge, die jemand im Laufe von drei Tagen konsumiert, aber es gibt sehr viele Drogenkonsument*innen hier in Vancouver, die weit mehr als das konsumieren. Gerade unter diesen Leuten befinden sich viele der ohnehin extrem ausgegrenzten Menschen, die am stärksten von der Polizei überwacht und kriminalisiert werden, der Brutalität der Polizei und des Justizsystems am schutzlosesten ausgesetzt sind. Deshalb kämpfen wir nun unter anderem dafür, die Schwelle für mitgeführte Substanzen höher zu setzen. Im Grunde geht es uns aber vor allem darum, dass die Polizei sich aus unseren Leben gänzlich zurückzieht, dass dies nicht mehr die Instanz ist, die irgendwas mit dem Konsum von Drogen zu tun hat.

Stattdessen ist es nun so, dass die Polizei das aktuelle Gesetz als Legitimation benutzt, um gegen die Dealer*innen vorzugehen. Nach 115 Jahren Prohibition in Kanada wissen wir: Wenn die Polizei gegen Dealer*innen vorgeht, macht sie damit das Angebot an Drogen letztlich noch stärker und gefährlicher. Wenn sie hinter Opium her sind, steigen die Leute auf Heroin um, machen sie Jagd auf Heroin, wird Fentanyl konsumiert und so weiter. Indem die Polizei die Dealer*innen kriminalisiert, ergibt sich eine Art Wettrüsten mit immer stärkeren Substanzen – und desto mehr Überdosen.

Ich habe Sie in Ihrem Podcast sagen hören, dass es in Kanada noch nie gefährlichere Substanzen auf der Straße zu kaufen gab als heute.

Das stimmt. Die aktuelle Extremversion der Opiate ist »Tran-Dope«, das ist Fentanyl gemischt mit Xylazin, einem Beruhigungsmittel für große Säugetiere wie Pferde und Rinder. Die Kombination aus diesem wirklich starken Beruhigungsmittel und Fentanyl kann tödlich sein, hat aber auch schon schädliche Auswirkungen, wenn es eine*n nicht umbringt. Die Polizei zwingt uns an einen immer noch schlimmeren Ort, wissen Sie?

Der hohe Anstieg des Opiatkonsums wird in den USA in der Regel als Epidemie bezeichnet. Auch wenn die Situation wirklich schrecklich ist, halte ich diese Begriffswahl für problematisch.

Das stimmt, denn schließlich sind es letztlich nicht die Opioide, die diese Tode verursachen – oder besser gesagt, es sind nicht die Opioide an sich. Ich selbst habe eine halbe Stunde vor Beginn dieses Interviews Methadon konsumiert, das ist auch ein Opioid, aber trotzdem bringt es nicht reihenweise Leute um. Das Problem ist also eigentlich nicht die Substanz, sondern die prohibitiven Gesetze und Maßnahmen, die diese umgeben – und natürlich die Tatsache, dass man niemals weiß, wie stark das Zeug ist, das man auf der Straße kauft. Man weiß nicht, was da noch alles drin ist. Eine bessere Formulierung für das Problem wäre also »Krise der toxischen Drogen« oder »Krise der Drogenpolitik«. Oder schlicht »Prohibitionskrise«.

Das ergibt Sinn. Ich dachte aber noch an einen anderen Aspekt: Mir erscheint der Begriff der Epidemie problematisch, weil er sich eigentlich auf die Ausbreitung eines Krankheitserregers bezieht, während die Entscheidung, Drogen zu konsumieren, ein durch und durch soziales Phänomen ist. Menschen treffen die Entscheidung zum Drogenkonsum aus bestimmten Gründen, hinter denen gesellschaftliche Umstände stehen. Wenn man dafür das Wort Epidemie verwendet, wird die Angelegenheit naturalisiert – und damit der Gesellschaftskritik entzogen, was meines Erachtens der Zweck des ganzen Unterfangens ist.

Drogenpolitik: Eine »Krise der toxischen Drogen«

Das ist auch richtig. Die Regierungen tun so, als ob es sich bei den Drogentoten um eine Naturgewalt handelt, aber in Wirklichkeit sind sie Resultat politischer Entscheidungen. So geht das ganze Problem wirklich auf den Staat zurück. Es ist sicherlich notwendig, der Vorstellung entgegen zu wirken, dass Drogenkonsum wie eine Krankheit »natürlich« sei. Aber wissen Sie, eigentlich hat ja auch die Verbreitung von Krankheiten große soziale Faktoren. Immer wieder gibt es »Kompromisse« zwischen der öffentlichen Gesundheit und der Wirtschaft – zum Vorteil des Kapitalismus. So war es auch während der Covid-Pandemie letztlich wichtiger, die Wirtschaft am Laufen zu halten als die Gesundheit der Menschen zu schützen. Auch hier in Kanada.

Sehen Sie und die Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten, sich eigentlich als Teil eines größeren Kampfes gegen den Kapitalismus? Arbeitet Ihre Bewegung mit anderen Bewegungen zusammen?

Auf jeden Fall! Wir sind oft Teil von Koalitionen. Zum Beispiel solidarisieren wir uns mit der indigenen Bevölkerung, die ohnehin eine wichtige Rolle in unserer Organisierung spielt: Die Western Aboriginal Harm Reduction Society bildet einen ganzen Flügel innerhalb von Vandu. Wir sind solidarisch mit allen Arten von Kämpfen gegen Kolonialisierung, haben uns etwa mit Black Lives Matter und anderen Gruppen zusammengeschlossen, um die Abschaffung des Vancouver Police Departments zu fordern.

Und wie steht es damit?

Nicht besonders gut. In den Jahren 2020 und 2021 gab es eine gewisse Bewegung, sogar der Bürgermeister forderte eine Begrenzung des Polizeibudgets. Aber die Regierungsspitze hat ihn überstimmt. Die Polizei hat sich auch dagegen gewehrt, eine neue politische Partei kam an die Macht und seitdem ist das Polizeibudget mehrfach erhöht worden, sodass es heute tatsächlich höher ist als je zuvor ...

Das ist ja tatsächlich auch in den USA überall der Fall. Trotzdem bleibt der gemeinsame Kampf natürlich das einzige Mittel für Veränderung. Sind Sie in Ihrer Zusammenarbeit mit anderen linken Gruppen eigentlich jemals auf Vorurteile gestoßen? Ich würde vermuten, dass es innerhalb der deutschen Linken Vorurteile gegenüber Menschen gibt, die als »Junkies« wahrgenommen werden.

Ich glaube nicht, dass es immer Akzeptanz gab, aber wir haben dafür gekämpft, wie die Leute uns sehen und verstehen. Wissen Sie, ich bin seit 30 Jahren Teil der Linken und habe mit allen zusammengearbeitet, von Gewerkschaften bis hin zu Einwanderer- und Flüchtlingsgruppen, also mit all den typischen Wählern der Linken. Und ich habe festgestellt, dass in den letzten fünf bis zehn Jahren Drogenkonsument*innen einen Platz gefunden haben. Ich denke, dass viele Leute in der Linken erkennen, dass wir einen Kampf führen, der sich nicht so sehr von ihrem unterscheidet – und dass wir einige Erfolge zu verzeichnen haben.

Die indigene Bevölkerung Kanadas, die First Nations spielen also eine große Rolle in der Bewegung gegen die Prohibition. Können Sie ein wenig über diese Situation sprechen?

Menschen konsumieren Drogen ja aus vielen Gründen. Einer davon ist, dass Drogen einfach Spaß machen. Aber einige Menschen nehmen Drogen, um sich selbst gegen Traumata zu therapieren, und in der gesamten Geschichte Kanadas war Traumatisierung das Resultat der staatlichen Politik gegen die indigene Bevölkerung.

Zum Beispiel wurden indigene Familien durch ein Internatsprogramm auseinandergerissen, für das die Polizei in die Reservate kam und die Kinder in staatliche Schulen deportierte, die von religiösen Fanatiker*innen geleitet wurden. Der Staat entführte auch Kinder, damit sie auf Farmen arbeiten und von weißen Familien aufgezogen werden konnten. Wenn Menschen, die so etwas erleben mussten, über Selbstmedikation ein wenig Trost finden, holt der Staat sie wieder ab. Sie werden viel häufiger von der Polizei angehalten, eingesperrt oder strafrechtlich verfolgt als weiße Drogenkonsument*innen. Außerdem ist es wahrscheinlicher, dass sie an einer Überdosis sterben. Hier kann man sehen, wie die Kolonisierung und der Drogenkrieg wirklich Hand in Hand gehen.

Viele Menschen mit einer solchen Geschichte spielen eine wichtige Rolle innerhalb von Vandu, die gesamte Bewegung wird von Indigenen angeführt, insbesondere von indigenen Frauen. Leider sind so viele von ihnen mittlerweile verstorben, allein aus dem Umfeld unseres Podcasts. Chereece Keewatin zum Beispiel war bei uns Redaktionsmitglied, sie hat »Crackdown« mit mir zusammen aufgebaut – und sie ist 2019 an einer Überdosis gestorben. Wir haben auch Tracy Morrison verloren, die eine große Führungspersönlichkeit bei Vandu war, und kurz vor Weihnachten letzten Jahres ist Flora Monroe gestorben. Sie alle gehörten zu den indigenen Frauen, die diesen Teil der Bewegung wirklich zu einer Familie, einem Zuhause gemacht haben. Es ist unfassbar traurig, ohne sie zu sein.

Ich habe bisher nicht erleben müssen, dass eine mir wirklich nahestehende Person gestorben ist – geschweige denn, dass dies regelmäßig passiert. Wie gehen Sie damit um?

Es ist etwas, das ... (überlegt) Es hört einfach nie auf, das ist das Problem. Die letzte Person, die durch eine Überdosis gestorben ist, war Pablo, auch ein langjähriges Mitglied von Vandu. Wir sind uns jeden Tag in unserem kleinen Büro begegnet. Alle zwei Wochen halten wir eine Beerdigung für einen Menschen ab, es nimmt kein Ende.

Ist der Aktivismus in irgendeiner Weise hilfreich, um das Ganze zu verarbeiten?

Na ja, Trauer kann einen persönlich regelrecht verzerren und deformieren. Ich habe so viel Trauer erlebt, so viel Traurigkeit, so viel Wut, dass ich davon geradezu heimgesucht werde. Ich kann mit der Menge der Menschen, die sterben, einfach innerlich nicht Schritt halten. Es passiert so etwas wie: Ich sitze auf einem Gruppentreffen, jemand sagt etwas und ich denke, oh, mein Kumpel macht jetzt bestimmt den und den Kommentar oder Witz. Und dann drehe ich mich um und realisiere, dass der ja gar nicht mehr da ist. Es ist, als ob ich die Leute immer noch spüren kann. Oder man veranstaltet eine Demonstration und denkt an all die Menschen, die natürlich dort gewesen wären, wenn sie nicht gestorben wären. Da sieht man dann eine Straße voller Geister, wissen Sie?
Ich kann also eigentlich mit der Situation überhaupt nicht umgehen – und ich weiß auch nicht, wie die Bewegung als Ganze mit all diesen Todesfällen zurechtkommen soll. Es reißt uns wirklich eher auseinander.

Drogenpolitik: Eine »Krise der toxischen Drogen«

Die neue Gesetzgebung ist im Januar in Kraft getreten. Ist seitdem die Zahl der Überdosierungen gesunken?

Das Gesetz nimmt ja keine Legalisierung vor. Es gibt den gleichen tödlichen Stoff, nur dass man nicht mehr für den Besitz einer kleinen Menge verhaftet wird. Während der Konsum also vorher illegal und tödlich war, ist er jetzt nur noch tödlich. Deshalb fordern wir natürlich nicht nur die Entkriminalisierung, sondern eine wirklich sichere Versorgung, die freie Verfügbarkeit von Arzneimitteln und noch vieles mehr.

Wie schätzen Sie die Aussichten dafür ein?

Ich weiß es nicht. Wir wollen leben, aber wir wollen nicht einfach nur Überleben und dabei aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, weil uns eine große blaue Mauer von Polizist*innen von ihr fernhält. Wir wollen also gewissermaßen alles – wir wollen den Drogenkrieg beenden! Das ist es, wofür wir im Grunde kämpfen. Die bisherigen Veränderungen sind also nur kleine Häppchen, wir knabbern sozusagen an den Rändern der Gesamtmisere.

Um noch einmal auf die indigenen Frauen zurückzukommen: Das Hauptanliegen von Vandu richtet sich ja gegen die staatliche Drogenpolitik. Aber gibt es auch einen Raum, um die Traumata und sozialen Probleme zu adressieren, die Sie bereits erwähnten und die häufig hinter der Notwendigkeit der Selbstmedikation stehen?

Wir engagieren uns gegen Maßnahmen, die zur Vertreibung von Menschen führen, etwa von ihrem angestammten Land oder aus Lagern innerhalb der Stadt. Organisationen wie die Western Aboriginal Harm Reduction Society arbeiten direkt im Bereich der Heilung, sie veranstalten Heilungszirkel und kulturelle Events wie »Blanketings« und »Powwows«. Damit wird versucht, Menschen wieder mit ihrer Herkunftskultur zu verbinden, die vertrieben oder in anderer Weise durch den kanadischen Staat aus ihren Lebenszusammenhängen gerissen worden sind.

In Deutschland sterben momentan nicht so viele Menschen an einer Überdosis, soweit ich weiß. Ist das Problem in dieser Drastik spezifisch für Nordamerika?

Ich weiß nichts über die Situation in Deutschland, aber letztlich sind die Betroffenen vermutlich mit denselben Problemen konfrontiert wie wir hier in Kanada. Jeder Staat, der Drogen illegalisiert, macht Teile seiner Bevölkerung früher oder später anfällig für das Massensterben, das jetzt in Nordamerika passiert. Lassen Sie mich vielleicht hiermit schließen: Der »Krieg gegen die Drogen« ist eine internationale Angelegenheit, und je eher wir eine internationale Gegenbewegung aufbauen, desto eher werden wir dieser Macht der Zerstörung, als welche die Prohibition bezeichnet werden muss, wirklich etwas entgegensetzen können.

Interview

Garth Mullins ist Radioproduzent, Mu­siker und Aktivist. Er ist Vorstandsmitglied des Vancou­ver Area Network of Drug Users (Vandu). Der Podcast »Crackdown«, den er seit 2019 moderiert, wird in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen der University of British Columbia und der Yale University produziert. »Crackdown« ist online zu finden unter: www.crackdownpd.com

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