Häusliche Gewalt in Berlin: »Auch Männer sind verletzbar«

Hilfsverbände beklagen fehlende Schutzwohnungen für von Gewalt betroffene Männer in Berlin

  • Thuy-An Nguyen
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie werden vor den Bekannten niedergemacht oder als Schwächlinge beschimpft, vielleicht ist es auch mal eine Ohrfeige: Die Form von häuslicher Gewalt, die Männern widerfährt, ist oft subtil und wird zumeist heruntergespielt. Doch für Betroffene ist jegliche Form von Gewalt belastend. Es ist ein stark tabuisiertes Thema und vorherrschende Männlichkeitsbilder erschweren es Betroffenen meist, sich Hilfe von außen zu holen.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verzeichnet für das Jahr 2022 mit insgesamt 17 300 Betroffenen einen deutlichen Anstieg an Opfern von häuslicher Gewalt. Unter den Opfern befinden sich rund 12 400 weibliche und 4800 männliche Betroffene. Laut PKS sind das die höchsten Zahlen der vergangenen zehn Jahre. Mit 70 Prozent sind zwar nach wie vor Frauen häufiger von häuslicher Gewalt betroffen. Doch der Anteil von 30 Prozent betroffenen Männern bereitet Hilfsverbänden Sorge – zumal das Unterstützungsangebot gerade in Berlin mangelhaft ist.

Dass die Betroffenheit von Frauen weitaus gravierender ist, betonen auch Fachkräfte. Doch andererseits haben es Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, häufig mit Unverständnis zu tun. »Häusliche Gewalt, die von Männern an Frauen begangen wird, ist brutaler und die Schwere der Gewalt massiver. Sie geschieht auch über einen längeren Zeitraum«, sagt Torsten Siegemund von der Bundesfachstelle Männergewaltschutzbund im Gespräch mit »nd«. »Doch auch Frauen können Gewalt ausüben und Männer können genauso verletzbar sein«, sagt der für Berlin zuständige Fachreferent. Die Gewalt, die von Frauen an ihren Partnern ausgehe, werde häufig in Form von psychischer Gewalt ausgeübt, körperliche Gewalt dagegen trete eher einmalig auf. Komme es dazu, greifen Frauen eher zu Werkzeugen wie Messer oder Waffen, sagt Siegemund.

Doch häusliche Gewalt gegen Männer wird nicht nur von Frauen ausgeübt. Die PKS unterscheidet zwischen partnerschaftlicher und innerfamiliärer Gewalt: Letzteres bedeutet, dass betroffene Männer auch durch Eltern, Geschwister, erwachsene Kinder oder Schwäger Gewalt erfahren können. Auch in homosexuellen Beziehungen komme es zu häuslicher Gewalt, sagt Janina Klein, Leiterin der Opferhilfe Berlin im Gespräch mit »nd«. Die Opferhilfe beobachtet eine wachsende Zahl von Männern, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Doch mag das auch daran liegen, dass das Thema allmählich enttabuisiert werde und mehr Männer sich melden, sagt Klein. Die Statistiken geben somit keinen Aufschluss über die Dunkelziffer.

Das Unterstützungsangebot für Betroffene ist dürftig. So sehr, dass die Polizei oftmals ratlos dasteht, wenn Männer sich als Opfer melden. In Berlin ist die Opferhilfe nach eigenen Aussagen die einzige professionelle Beratungsstelle, die auch für betroffene Männer zuständig ist. Andere Beratungsangebote wie der Weiße Ring, Stop Stalking oder Maneo arbeiten hauptsächlich ehrenamtlich. Vor allem fehlt es aber an Schutzwohnungen für Männer, in denen die Betroffenen in akuten Situationen unterkommen können, da sind sich Fachkräfte einig.

Bundesweit gibt es laut der Bundesfachstelle Männergewaltschutz insgesamt zwölf sogenannte Männerschutzeinrichtungen. Sie stehen Personen zur Verfügung, die sich der männlichen Geschlechtsidentität zuordnen und verteilen sich auf Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen. In Berlin gibt es keine – obwohl der Bedarf da ist. »Pro Bundesland braucht es geschätzt drei bis fünf Wohnungen«, sagt Torsten Siegemund. Die Bundesfachstelle Männergewaltschutz erhält nach eigenen Angaben häufig Anfragen von Männern aus Berlin und hat schon Betroffene nach Dresden oder Leipzig vermittelt, sogar mit Kindern. Daran sei erkennbar, wie groß der Bedarf ist. »Den gewohnten nahen Lebenskreis zu verlassen, ist schon eine hohe Hürde«, sagt Siegemund.

Wie aus einer schriftlichen Anfrage des SPD-Abgeordneten Lars Düsterhoff hervorgeht, stellt die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz für Schutzwohnungen rund 340 000 Euro Fördermittel zur Verfügung. Für trans-, inter- und nicht-binäre Personen gibt es bei der Antigewaltberatungsstelle der Schwulenberatung eigene Hilfs- und Unterstützungsangebote. In der schriftlichen Anfrage hebt die Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales hervor, dass insgesamt der Förderung von Hilfsangeboten für Frauen eine größere Bedeutung zukomme. Doch Fachleute kritisieren, dass sowohl bei den Angeboten für Frauen als auch für Männer nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen und teils gekürzt werden. »Berlin erfüllt noch lange nicht die Vorgaben der Istanbuler Konvention«, sagt Torsten Siegemund. Bedeutsam sei es dabei, die Formen von Gewalt nicht gegeneinander aufzuwiegen, sondern für alle Betroffenen genügend Unterstützungsformen anzubieten.

Eine große Hürde für viele Betroffene ist das große Tabu, das über dem Thema schwebt. Die Gesellschaft steht vor der Herausforderung, sich von starren Rollenbildern zu lösen. Viele können sich nur schwer vorstellen, dass einem Mann häusliche Gewalt widerfahren kann. Siegemund erinnert sich an einen Fall, in dem ein Mann sich während eines Konflikts mit seiner handgreiflich gewordenen Partnerin nicht gewehrt hätte. Ihm sei bewusst gewesen, dass ein Ausrutscher von seiner Seite viel gravierendere Auswirkungen gehabt hätte, sagt der Fachreferent. Er bewertet es als richtig, dass der Betroffene sich in dieser Situation so verhalten habe. Dennoch sollte Gewalt von keiner Seite eine Option sein, sagt Siegemund.

Expert*innen erachten die Täter*innenarbeit und die Prävention von Gewalt als besonders relevant. Oftmals sei der Griff zur Gewalt ein Zeichen von Überforderung, sagt Janina Klein. Sie gehe auch damit einher, Gewalt beispielsweise in der Kindheit erfahren zu haben oder als Mittel zur Lösung von Konflikten gelernt zu haben. Janina Klein betont daher, dass dem Schutz von Kindern, die in Konflikten zwischen Eltern betroffen sind, eine wichtige Rolle zukommen müsse. »Damit ist nicht nur Betreuung gemeint, sondern auch therapeutische Angebote«, sagt Klein. »Kinder müssen mitgedacht und mitbehandelt werden, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.«

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