»Seht uns normal an und nicht wie Aliens«

Eugenija und Carmela über ihren Einsatz für mehr Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung

  • Julia Belzig
  • Lesedauer: 6 Min.
Eugenija (links) und Carmela (rechts) setzen sich für die Gleichberechtigung von trans Menschen und Menschen mit Behinderung ein
Eugenija (links) und Carmela (rechts) setzen sich für die Gleichberechtigung von trans Menschen und Menschen mit Behinderung ein

Ihr demonstriert am Samstag zur »behindert und verrückt feiern« Pride Parade in Berlin. Wofür?

Carmela: Für Gleichberechtigung und die Menschen und Barrierefreiheit in allen Formen.

Eugenija: Für gleiche Rechte von Behinderten und transsexuellen Menschen.

Carmela: Und damit wir sichtbar werden.
Eugenija: Genau.

Ihr werdet vom Hermannplatz bis zum Kottbusser Tor rollen. Wie ist die Straße so?

Carmela: Gut. Der Asphalt ist auf jeden Fall glatt, es gibt kein Kopfsteinpflaster und wenig lose Steine.

Eugenija: Ich glaube, für uns wird das ganz gut. Aber vielleicht wird es schwierig für die Schieberollis (beide fahren einen elektronischen Rollstuhl, Anm. d. Red.).

Wie rollstuhlgerecht ist Berlin? Was sollte verbessert werden?

Carmela: Ich wünsche mir mehr Fahrstühle und weniger Treppen und Stufen. Am liebsten sind mir Rampen – Rampen gehen nicht kaputt.

Eugenija: Aufzüge gehen wirklich häufig kaputt.

Was für Veränderungen wünscht ihr euch denn in der Gesellschaft?

Eugenija: Es muss noch viel gemacht werden, mit den Menschen. Ich wünsche mir mehr Öffentlichkeit für behinderte Menschen.

Carmela: Ich wünsche mir, dass sie uns normal ansehen und nicht so wie Aliens.

Eugenija: Und uns nicht bemuttern.

Carmela: Ich hasse es, wenn Leute mich behandeln, als ob ich sie nicht verstehen kann. Ich habe nur eine Körperbehinderung, ich bin fit im Kopf. Und eigentlich sind nicht wir behindert, sondern die Gesellschaft.

Ihr vergebt auf der Kundgebung den Negativpreis, die Glitzerkrücke. Sie ist gedacht für Vereine, Unternehmen, Institutionen und Gesetze, die Behinderte und psychisch Kranke besonders ausgrenzen und benachteiligen.

Carmela: Ich stelle den Preis mit vor auf der Bühne, jemand anderes wird sprechen und ich werde auch Schilder zeigen.

Und wer hat sie deiner Meinung nach besonders verdient?

Carmela: Wir haben Leute nach Nominierungen gefragt, das waren so acht oder neun. Und jetzt sind wir dabei, drei auszusuchen. Ich habe eine eigene Nominierung gemacht, nämlich die Berliner Wohnbauten-Gesellschaft Stadt und Land. Bei denen wohne ich hier. Und in meinem Haus funktionieren die automatischen Türen nicht, obwohl ich schon so oft geschrieben habe. Das ist wirklich schwer. Dazu kommt, dass in meinem Haus mindestens sieben andere rollstuhlgerechte Wohnungen und somit behinderte Menschen sind. Und ich habe Schimmel in meiner Wohnung. Ich habe mich wirklich schon oft beschwert und die Probleme werden nicht behoben. Die Deutsche Bahn ist unter anderem auch nominiert. Da gab es auch viele Beschwerden, weil die nicht sehr rollstuhlgerecht sind. In die neuen Bahnen kommen wir aber besser rein.

Eugenija, was ist deine Erfahrung als trans Person mit Behinderung?

Eugenija: Ich komme aus dem Schwabenländle, damals habe ich noch als Mann gelebt. Dann war es Zeit, etwas Neues zu erleben und ich habe eine Wohnung in Berlin gesucht. Seitdem ich hier wohne, hab ich eine Transition gemacht. Aber es gibt kaum öffentliche Beispiele von Menschen, die behindert und trans sind.

Kennst du denn selber viele Leute oder fühlst du dich auch ein bisschen alleine damit?

Die beiden Frauen fangen an, zu überlegen. Eugenija kennt eine Person, aber sie lebt in München. Carmela kennt eine Person, aber sie hat eine unsichtbare Behinderung. Doch dann antworten sie: Sie kennen auf jeden Fall noch eine weitere trans Person, die im Rollstuhl sitzt.

Eugenija, hast du das Gefühl, dass du so akzeptiert wirst, wie du bist?

Eugenija: Manchmal höre ich, wie die Menschen über mich reden. Besonders russische Menschen. Aber die wissen nicht, dass ich Russisch verstehe.

Wie reagierst du dann darauf?

Eugenija: Das ist sehr schwierig, denn ich habe draußen nicht meinen Talker (Sprachcomputer, Anm. d. Red.) dabei.

Carmela: Das kenne ich auch. Mir fällt oft auf, wie Kinder ihre Eltern über mich fragen. Die reagieren manchmal gut und manchmal nicht so gut darauf. Manchmal ignorieren mich die Eltern oder gehen einfach ganz schnell weg.

Welche Reaktion von Eltern fändest du denn gut?

Carmela: Darüber habe ich mir tatsächlich schon viele Gedanken gemacht. Sie könnten den Kindern erklären, dass alle Menschen verschieden sind. Und dass es normal ist, verschieden zu sein. Nicht alle Menschen haben die gleiche Augenfarbe. Nicht alle Menschen haben blonde oder braune oder schwarze Haare.

Eugenija: Vielleicht könnten sie sagen, dass Menschen behindert sind, ist normal. Aber manchmal sagen sie nichts.

Carmela und Eugenija

Die trans Frau Eugenija, 44 und Carmela, 28, sind beide behinderte Aktivistinnen und Mitorganisatorinnen der Pride Parade Berlin, ein Bündnis aus behindertenpolitischen, psychiatriekritischen, feministischen und queeren Einzelpersonen.
Ziel ist es, gemeinsam ein politisches Zeichen zu setzen und gegen Diskriminierung zu demonstrieren und sich selbstbewusst so zu zeigen, wie man ist.

Carmela: Ich habe einen Neffen, er ist eineinhalb Jahre alt. Und als ich ihn kennengelernt habe, habe ich mir Sorgen gemacht, was er über mich denkt. Er ist noch so klein. Aber ich glaube, er wird mich als normal empfinden, wenn er älter ist.

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Kinder sind doch bestimmt auch netter als Eltern, oder?

Eugenija: Nicht netter, aber freier.

Carmela: Ich habe eine kleine Geschichte. Als ich mit meinem kleinen Neffen auf dem Spielplatz war, hat ein ungefähr vierjähriger Junge mich immer wieder gefragt: Warum sprichst du so komisch? Und dann habe ich geantwortet, dass ich nicht anders sprechen kann. Und dann hat er immer wieder gesagt: Ich will sie nicht mehr hören und hat das immer wieder wiederholt.

Das hat dich geärgert.

Carmela: Ich wollte das dem Kind erklären. Aber das hat nicht funktioniert. Ich habe dann versucht, mit der Mutter zu sprechen, aber die war überfordert, weil sie drei Kinder da hatte. Von meinem Assistenten habe ich keine Hilfe bekommen, er sagte nur, ach, Kinder sind halt so. Er meinte, sie lernen etwas über Behinderung in der Schule. Aber Kinder sollten das überall lernen. Nicht nur in der Schule, sondern im Leben.

Vielleicht würden manche Menschen auch einen besseren Umgang finden, wenn es mehr Filme oder Bücher gäbe?

Carmela: Ich finde, es gibt immer mehr Filme und Serien, wo Menschen mit Behinderungen zu sehen sind.

Wie läuft die Arbeit in eurem Bündnis, das die Pride Parade organisiert?

Carmela: Momentan sind wir ungefähr acht bis zehn Leute, die aktiv sind. Wir sind immer auf der Suche nach mehr Leuten, die im Bündnis mitmachen wollen. Und auch für unser Event am Samstag suchen wir noch helfende Hände für alles Mögliche. Aufbau, Abbau, Ordner*innen, Fyler oder Glitzer verteilen. Unser Ziel am Samstag ist das Café Südblock, dort gibt es ein Bühnenprogramm mit Vorträgen, Musik und spoken words. Und: dieses Jahr gibt es ein Jubiläum. Unsere erste Pride Parade rollte vor zehn Jahren durch Berlin.

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