Abgrenzung von den Gegnern

Im Hessenwahlkampf schielt die FDP zur CDU und Tarek Al-Wazir von den Grünen nach ganz oben

»Ich hatte vor der Ampel viele Vorbehalte gegen die Grünen«, erzählt Bijan Djir-Sarai, vor knapp zwei Dutzend Anhängern, die zur Wahlkampfveranstaltung der FDP ins nordhessiche Witzenhausen gekommen sind. »Und ich muss sagen, sie sind alle bestätigt worden.« Rumms. Der Generalsekretär der Partei teilt aus.

Die heiße Phase im hessischen Wahlkampf hat begonnen. Am 8. Oktober wird ein neuer Landtag gewählt. Die Liberalen liegen derzeit bei mageren 6 Prozent in den Umfragen. Seit der Bundestagswahl läuft es bei ihnen nicht. Es hat einen Dämpfer nach dem anderen gegeben. In Berlin, Niedersachsen und dem Saarland scheiterte die FDP an der 5-Prozent-Hürde. In Bremen war das Ergebnis mit 5,1 Prozent denkbar knapp. Offenbar färbt der Dauerstreit in der Berliner Ampel-Koalition auf die Länder ab. Der Magenta-Effekt der Partei, die sich einen jugendlichen Anstrich in ihrem Logo verpasst hat, ist verblasst.

Eine Randerscheinung

Stefan Naas, FDP-Spitzenkandidat in Hessen, bleibt dennoch optimistisch. Noch ein wenig müsse die Partei zulegen, sagte er unlängst. Sein Ziel sind mindestens 7,5 Prozent. Dann könne die CDU von ihrem jetzigen Koalitionspartner, den Grünen, »befreit werden« und eine »Deutschlandkoalition« aus CDU, SPD und FDP gebildet werden.

Wie die liberale Agenda aussieht, das erklärte der Generalsekretär Djir-Sarir: Wohlstand sei kein Naturgesetz, sondern müsse hart erarbeitet werden, sagt er und moniert, dass der Sozialstaat in den vergangenen Jahren stark angewachsen sei. »Viele finden das ungerecht, vor allem die, die mittlere und geringe Einkommen haben, weil das Lohnabstandsgebot aufgeweicht wird.« Der Generalsekretär steht nicht einfach da und referiert, vielmehr performt er eine Rede aus dem Stegreif, wie es typisch ist für die liberale Parteielite. Er füllt den Raum aus, der ihm gegeben wird. Und er ist nicht zimperlich.

Abgesehen hat er es besonders auf Familienministerin Lisa Paus von den Grünen. Noch immer regt er sich darüber auf, dass sie das von den Liberalen eingebrachte Wachstumsförderungsgesetz im Kabinett blockiert hatte, weil die FDP die Finanzierung für eine Ausgestaltung der Kindergrundsicherung verweigerte. Wer ihm zuhört, dem fällt auf, dass das Verhältnis in der Koalition mit den Grünen zerrüttet ist, und es drängt sich die Frage auf, ob Djir-Sarai seinen Parteifreunden in Hessen in dieser toxischen Verfassung überhaupt helfen kann. Immerhin, viel Porzellan zerschlagen kann er nicht. Dafür bleiben die Liberalen an diesem Tag in Witzenhausen weitgehend unter sich. In vielen ländlichen Räumen in Hessen sind sie ohnehin nicht mehr als eine Randerscheinung.

Anders dagegen die Grünen. Seit zwei Wahlperioden regieren sie mit der CDU. In den Umfragen werden ihnen 19 Prozent vorhergesagt. Als der Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir ein paar Tage später nach Witzenhausen kommt, spricht er nicht in einem versteckten Konferenzraum, sondern auf einer Wiese an der Werra unter einem Sonnensegel vor rund 60 Zuhörern. Loslösen vom Koalitionspartner wolle er sich, verkündet er. Sein Ziel ist schließlich ein großes: Nichts weniger als Ministerpräsident will er werden. Das dürfte allerdings schwer werden, denn die CDU unter dem Regierungschef Boris Rhein erhält derzeit den größten Zuspruch und führt mit 29 Prozent die Umfragen an. Gefolgt von der SPD, der 20 Prozent vorausgesagt werden. Eine Wechselstimmung liegt nicht in der Luft.

Das weiß auch Al-Wazir, der mit einer grünen Programmatik zu überzeugen versucht. Er redet über Investitionen in die Bildung und eine Stärkung des Nahverkehrs im ländlichen Raum. Jedes Dorf solle künftig mindestens einmal die Stunde angefahren werden. Die Wirtschaft müsse klimaneutral werden. Dafür brauche es einen Transformationsfonds, der insbesondere kleine und mittlere Betriebe unterstützt.

Schieflage in der Diskussion

Mit dem Programm der FDP gibt es nur wenige Schnittmengen. In der Bildungspolitik betonen die Liberalen das Leistungsprinzip und bemängeln, dass in der Schule zu wenig Wirtschaftskompetenz vermittelt werde; der öffentliche Nahverkehr spielt keine Rolle, und der Klimawandel ist in der neoliberalen Leistungsgesellschaft noch immer angekommen. Eine Ampelkoalition in Hessen, mit der auch Nancy Faeser als Spitzenkandidatin der SPD liebäugelt – nicht unter dem Vorbild in Berlin, wie sie betont, sondern in Mainz – scheint nur schwer vorstellbar.

Al-Wazir weiß, dass er bei seinem Abstecher nach Witzenhausen auch Gegenwind erfahren wird. Die Klimaschutzbewegung zweifelt nämlich schon lange an der Ernsthaftigkeit, mit der die grüne Landtagsfraktion in Wiesbaden Umweltpolitik betreibt. Ja, er habe geradezu auf die »Frage nach den Autobahnen« gewartet, sagt er, und verteidigt dann den Weiterbau der A49 durch den Dannenröder Forst ebenso wie den Ausbau einer umstrittenen Bundesstraße in Witzenhausen, mit der künftig der Schwerlastverkehr durch die Stadt verlaufen soll. Beides sei vom Bund beschlossen worden, und er als Landesminister habe keine Handhabe, um die Vorhaben abzublasen. Würde er sich das herausnehmen, dann sei das die Willkür eines Ministers, womit »die Demokratie in eine Schieflage« gerate.

Al-Wazir skizziert seinen Handlungsspielraum, der immer eingebettet sein müsse in einer »sozialen und ökologischen Marktwirtschaft«. Alternativen dazu sieht er nicht. Vielmehr verweist auf die Umweltsünden der DDR, etwa beim Kalibergbau im benachbarten Thüringen. »Früher ist noch viel mehr Salz in die Werra eingeleitet worden.« Von seinen Anhängern erhält er viel Applaus dafür. Aber nicht von allen. Sein historischer DDR-Vergleich stößt auch auf Unverständnis. Als sei der untergegangene Staat die einzige Alternative zu einer Wirtschaft, die auf Wachstum basiert und weit über ihren Verhältnissen lebt. Auf diese Kritik der Klimabewegung geht er nicht ernsthaft ein.

An diesem Nachmittag wird vielmehr deutlich, wie sehr sich Al-Wazir von den Wurzeln seiner Partei entfernt hat. Billigend nimmt er das in Kauf, dafür sind die Grünen im bürgerlichen Lager angekommen. Und tatsächlich sind seine Aussichten nicht schlecht, eine dritte Amtszeit in Hessen mitzuregieren. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass er Ministerpräsident wird.

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