Russell Brand und Co.: Das Ende der Boysclub-Boyfriends

Nadia Shehadeh über schwere Vorwürfe gegen den Ex-Comedian Russell Brand

Vor ein paar Jahren warf ich beim Streaming-Dienst meines Vertrauens die Dokumentation »Katy Perry: Part of Me« an und rechnete mit etwa anderthalb Stunden poppiger Gute-Laune-Unterhaltung. Ich wurde enttäuscht. Denn statt einer schillernden Doku über das Pop-Business mit einer Pop-Prinzessin mittendrin geht es in »Part of Me« vor allem um eine junge Frau, die in ihrer Ehe mit ihrem damaligen »schlauen, sexsüchtigen Ehemann« (O-Ton Perry) immer unsicherer und fragiler wird, nebenbei trotzdem versucht, ihrer beruflichen Passion nachzugehen und am Ende vor einem ihrer wichtigsten Auftritte von ihrem Partner, der danach nie wieder ein Wort mit ihr wechselte, via SMS abserviert wird. »Traumatisiert« habe sie die SMS-Scheidungsankündigung, sagte Perry anschließend in Interviews – und wer die Doku schaut, wird daran keinen Zweifel haben.

»Was für ein unfassbarer Typ«, dachte ich, als ich Katy Perry dabei zusehen musste, wie sie am Silvesterabend 2011 hinter der Bühne auf einer Liege bitterlich schluchzte, da sie gerade besagte Textnachricht erhalten hatte. Um sie herum ihr Team, das ratlos war und versuchte, sie zu trösten. »Du kannst die Show jetzt canceln oder da rausgehen und dein Bestes geben«, sagt nach einer schieren Unendlichkeit jemand aus der Crew zu ihr. Perry mobilisiert nochmal die letzten Kräfte, um sich trotzdem auf die Bühne zu hieven – und schafft es trotz des Schocks, eine phänomenale Show abzuliefern.

Abserviert hatte Perry damals Russell Brand. Er ist früher mal Comedian, Moderator und Schauspieler gewesen und wurschtelt sich jetzt mit Millionengefolgschaft als Polit-Wellness-Guru durch. Über sechseinhalb Millionen Menschen folgen ihm bei YouTube. Die einen halten ihn für einen hyperintelligenten Humoristen, der politisch kluge Dinge zu sagen hat, die anderen für einen narzisstischen Scharlatan, der sich rechten und verschwörungstheoretischen Diskursen nur zu gern anbiedert. Ich selbst weiß nicht so genau, was Brand auf YouTube erzählt – seit ich die Perry-Doku gesehen habe, hielt ich ihn für einen toxischen und überbewerteten Menschen. Damit will ich mich nicht nach dem Motto »Ich wusste immer schon, dass dieser Mann ein Problem ist!« selbst loben. Nein, ich fand es, nachdem ich »Part of Me« gesehen hatte, nur sehr einfach, einen Mann zu ignorieren, der vor den Augen der Weltöffentlichkeit seine Partnerin massiv verunsichert, klein gehalten und am Ende auf beschämende Weise vor den Bus geworfen hatte. Russell Brand war für mich eine Nulpe, die sehr viele für mega-clever und unterhaltsam hielten, während Katy Perry oft als Hohlnudel-Pop-Sängerin gebrandmarkt wurde – und das, obwohl sie ungefähr hundert Mal erfolgreicher war als ihr Ehemann.

Nadia Shehadeh

Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Zuletzt hat Shehadeh bei Ullstein das Buch »Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« veröffentlicht. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.

Mitte September wurde Brand nach einer Recherche der »Sunday Times« und des »Channel 4« von vier Frauen der Vergewaltigung, sexualisierter Übergriffe und des emotionalen Missbrauchs beschuldigt. Die mutmaßlichen Ereignisse sollen sich zwischen 2006 und 2013 zugetragen haben. Brand bestreitet die Vorwürfe. Dabei werden sich viele pop-affine Menschen erinnern können, wie er in diesen Jahren öffentlich wahrgenommen wurde: als ein Gaga-Comedian mit fragwürdigem Humor, der seine cis-männliche Hypersexualität in den Fokus stellte, mit fragwürdigen Aktionen für Skandale sorgte und am Ende auf der Katy-Perry-Erfolgswelle mitritt – um dann am Ende zu behaupten, er habe etwas gegen die Künstlichkeit des Pop-Business.

Bereits 2006 bezichtigte Sängerin Dannii Minogue ihn öffentlich sexueller Belästigungen, nachdem sie in seiner Show zu Gast war. Brand war einfach ein verwegen aussehendes Ekelpaket, ein Provokateur, der sich in den Ausläuferjahren des offenen Sexismus nochmal richtig in allem suhlte, was der schlechte Geschmack hergab. Und in denen er, so wird sich jetzt in der Presse an diese Jahre erinnert, vielleicht auch selbst auf der Bühne andeutete, was er privat für ein angemessenes Verhalten hielt. Sich an Frauen zu verlustieren »bis die Mascara« läuft – davon erzählt er belustigt in einer seiner Bühnenshows. Und er ist damit überhaupt nicht weit von den Übergriffsbeschreibungen einer der mutmaßlich betroffenen Frauen entfernt.

Alle Frauen, die Brand in der Recherche beschuldigen, standen in einem privaten Verhältnis zu ihm – meist als Partnerinnen. Fast alle wollen anonym bleiben – was verständlich ist, wenn man sich anschaut, wie in den vergangenen Jahren auf Frauen losgegangen wurde, die von Beziehungsgewalt in Partnerschaften mit berühmten Männern direkt (oder indirekt) berichteten. Im Fall der US-Schauspielerin Angelina Jolie sickerten FBI-Akten an die Öffentlichkeit, die andeuteten, dass ihr damaliger Mann, Bad Pitt, gegenüber ihr und den gemeinsamen Kindern handgreiflich geworden sei. Evan Rachel Wood machte unter anderem in einer Dokumentation öffentlich, wie sehr sie als junge Frau in der Beziehung mit dem damals deutlich älteren Rocksänger Marilyn Manson gelitten hat. Und Amber Heard hatte 2018 in der »Washington Post« einen Text veröffentlicht, in dem sie – ohne Namen zu nennen – darüber schrieb, so etwas wie ein Postergirl für häusliche Gewalt geworden zu sein. Jahre später wurde sie dafür von einem Ex verklagt – Johnny Depp.

In ihrem Buch »Die stille Gewalt« erläutert die Rechtsanwältin Asha Hedayati, dass mindestens »jede vierte Frau« einmal in ihrem Leben Gewalt in der Partnerschaft erlebt. Wahrscheinlich, so Hedayati, »kennen wir alle ein Opfer oder einen Täter persönlich«. Würden Taten und Übergriffe jedoch als privater Konflikt eingestuft, blieben Hilfe und Unterstützung zumeist aus.

Und auch den Boulevard betreffend sind wir noch weit von einem »Beziehungs-Metoo« entfernt – auch, wenn in den vergangenen Jahren immer mehr Frauen, die teilweise selbst prominent sind, ihre Erfahrungen mit Männern aus der Unterhaltungsbranche publik gemacht haben. Es scheint, als wolle man in Hollywood und Umgebung nicht so recht wahrhaben, dass es auch in den Partnerschaften der Reichen und Schönen sowie im Umfeld der Prominenten Gewalt, Übergriffe und Grenzüberschreitungen geben kann.

Als in diesem Jahr der Schauspieler Daniel Peter »Danny« Masterson zu einer Mindeststrafe von 30 Jahren Haft verurteilt wurde, da er 2017 von vier Frauen der Vergewaltigung beschuldigt wurde, hagelte es Zuspruch auch von Kollegenseite: Unter anderem schrieben Mila Kunis und Ashton Kutcher einen solidarischen Brief, indem sie bescheinigten, Masterson sei ein toller Mensch, Freund und Pfundskerl. Erst nach massiver öffentlicher Kritik äußerten sie sich zerknirscht – ihnen sei es nicht darum gegangen, Vergewaltigungen zu verharmlosen, sondern nur darum, einen Freund zu unterstützen.

Es scheint, als wüsste weder das Unterhaltungsumfeld noch die aufgebrachten Fans, die sich teilweise passioniert hinter ihre einstigen Idole stellen, wie man mit den neuerlichen Enthüllungswellen umgehen soll, die Hollywood gefühlt monatlich ereilen. Die Abwehrreaktionen allerdings sind massiv: Brand stellte schon vor Erscheinen der »Sunday Times«-Recherche klar, dass es sich nur um eine Verschwörung gegen ihn handele, da er die klassischen Medien kritisiere und Gegenpositionen zu politischen Mainstream-Ideen vertrete – und holte damit viele seiner Zuschauer*innen ab, die in den sozialen Medien gegen die Enthüllungen wettern. Dass jemand, der schon seit über einem Jahrzehnt selbst mit seinem Schwerenöter-Image kokettiert und immer wieder offen über seine Notgeilheit gesprochen hat, tatsächlich das getan haben könnte, was ihm vorgeworfen wird, scheint sehr vielen immer noch zu abwegig.

Dass sich aber die Zeiten geändert haben und nun im Nachhinein bekannte, sichtbare und gefeierte Menschen Rechenschaft über ihre problematische Vergangenheit ablegen müssen, halten nicht wenige für obszön. Dabei ist das wirklich Obszöne nur eines: Dass die jahrelange Kultur heterosexueller Beziehungsgewalt erst jetzt in anfänglichen Schritten kritisiert wird, die nach wie vor Übergriffigkeiten und Gewalt gegen (vor allem auch sehr junge) Frauen als gängiges Verhaltensrepertoire oder zumindest Bagatelle vorsieht, Rape Culture prägt und Victim Blaming betreibt. Wer damals genau hingesehen hätte, hätte wahrscheinlich erkannt, was für ein Mensch Russell Brand ist, denn das hat er allen gezeigt. Auch in der Katy-Perry-Doku.

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