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Eine kleine Schicksalswahl

Für die Linkspartei hängt von der hessischen Landtagswahl einiges ab

In Hessen geht es um viel für Die Linke – da müssen auich Janine Wissler und Gregor Gysi ran.
In Hessen geht es um viel für Die Linke – da müssen auich Janine Wissler und Gregor Gysi ran.

Wer in den letzten Wochen einen Wahlkampfstand der hessischen Linken aufsuchte, konnte dies und jenes nach Hause tragen. Neben Wahlprogramm und Flyern gehören zu den Devotionalien mit Parteilogo auch Kugelschreiber, Feuerzeuge und Taschentücher. Noch weiß niemand, wie die Wahl für Die Linke ausgeht und ob es am Sonntagabend Tränen zu trocknen gilt. In den Umfragen pendelte die Partei zwischen drei und vier Prozent, das lässt alles offen. Sollte die Linkspartei rausfliegen aus dem Wiesbadener Landtag, wäre das mehr als irgendeine Wahlniederlage.

Hessen ist für Die Linke ein Symbol, auf das in der parteiinternen Auseinandersetzung viele schauen. Denn es war das erste westdeutsche Flächenland, in dem Anfang 2008 die Linkspartei die Fünf-Prozent-Grenze durchbrach. Es ist der bisher nachhaltigste Beweis dafür, dass Die Linke im Westen auch jenseits der kleinen Stadtstaaten bestehen kann. Nach Hessen kamen und gingen linke Landtagsfraktionen in Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Hessen war fast schon einmal das Pilotprojekt für ein rot-grün-rotes Regierungsbündnis im Westen, das dann aber an ein paar SPD-Dissidenten scheiterte. Und Hessen, das ist die Heimat der Linke-Vorsitzenden Janine Wissler – allein schon deshalb ist der Kampf um den Wiedereinzug in den Landtag symbolisch aufgeladen.

Denn unweigerlich wird das hessische Linke-Ergebnis zum Gegenstand, vielleicht zum Katalysator der Auseinandersetzung in der zerrissenen Partei. Scheitert Die Linke, wird das Wagenknecht-Lager dies als weiteren Nachweis für die vermeintliche Verirrung der Parteispitze nehmen. Der Hauptvorwurf: Vernachlässigung der sozialen Frage. Ob das stimmt, dürfte Ansichtssache sein. Der Wahlkampfslogan der Partei heißt »Macht Hessen gerecht. Stimme für soziale Gerechtigkeit – Die Linke«. Im Wahlprogramm setzt sich die Hessen-Linke »für ein soziales, gerechtes, ökologisches, friedliches und vielfältiges Land« ein – in dieser Reihenfolge.

Zu den wichtigsten Forderungen gehören soziale Sicherheit, gute Arbeit und bezahlbare Mieten. Auf einem der vorderen Listenplätze kandidiert ein Gewerkschaftssekretär von der IG Metall. Und eine größere Gruppe von Gewerkschaftsfunktionären unterstützt Die Linke mit einem Wahlaufruf. Der Linke-Wahlkampf widerlege »unübersehbar die Behauptung, die Wissler-Gefolgschaft interessiere sich nur noch für die angeblichen Luxusprobleme eines großstädtischen Bürgerkinder-Milieus«, schrieb Stefan Hebel, jahrzehntelang für die »Frankfurter Rundschau« tätig, jüngst in der Wochenzeitung »Freitag«.

Was nicht heißt, dass die hessische Linke sich nicht auch anderweitig hervorgetan hätte. Sie bemühte sich beispielsweise hartnäckig um Aufklärung im NSU-Komplex. Und Janine Wissler machte sich überregional einen Namen als scharfe Kritikerin des CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch sowie der nachfolgenden schwarz-grünen Koalition.

Die Hessen-Wahl ist eingebaut in eine Dramaturgie der linken Debatte, bei der alle auf einen Schritt warten, von dem Sahra Wagenknecht schon sehr lange spricht. Nicht unwahrscheinlich, dass sich zwischen der Wahl am Wochenende und dem Europa-Parteitag der Linken Mitte November etwas tut in Sachen Parteigründung. Möglicherweise legt Wagenknecht – anders als bei der »Aufstehen«-Bewegung – Wert darauf, dass es wie eine basisbewegte Gründung aussieht. Diesen Eindruck legen einige Parteiaustritte von linken Kommunalabgeordneten in Nordrhein-Westfalen nahe.

Folgt man Wagenknechts bisheriger Taktik, dürfte sie es nicht allzu eilig haben mit einem endgültigen Bruch. Zwar schwingt die Entschlossenheit zu einer Neugründung bei ihr immer deutlicher mit – neulich sprach sie in einem Interview sogar schon vom Regierungsanspruch ihrer Partei. Aber der jetzige Zustand ist für sie so komfortabel, dass sie ihn noch eine ganze Weile erhalten könnte: als Abweichlerin im Gespräch bleiben, ihre bisherige Partei weiter verunsichern, im Hintergrund eine neue aufbauen. Den Satz »Wenn man etwas kaputtmacht, dann sollte man das nur machen, wenn man schon weiß, dass man etwas Neues aufbauen kann«, sagte sie in einer Talkshow ganz gewiss nicht unbedacht.

Auch für eine Linke ohne Wagenknecht ist das hessische Wahlergebnis ganz und gar nicht egal. Weil es etwas bedeuten wird für das Machtgefüge an der Parteispitze. Und für die Frage, ob Die Linke den gesamtdeutschen Anspruch aufrechterhalten kann oder doch auf eine Ostpartei zurückschnurrt.

Viermal in Folge schaffte die hessische Linke den Einzug in den Landtag – eine für die Westlinke seltene Kontinuität. Knapp war es immer, aber offenbar gibt es eine stabile Wählerbasis. Insofern herrscht bis zum Sonntag das Prinzip Hoffnung. Die Taschentücher mit dem Parteilogo könnten in jedem Fall gute Dienste leisten. Es gibt ja auch Freudentränen.

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