Geflüchtete: Menschenrechte für Schönwetterlagen

Sheila Mysorekar über die deutsche Debatte zum Thema Zuwanderung

Man kann vieles ergebnisoffen debattieren: ob Zwiebelmettbrötchen lecker sind oder ekliges rohes geschreddertes Schwein (ich finde sie lecker), ob Taylor Swift eine großartige Sängerin ist oder nicht (uninteressant), oder ob Köln die netteste Stadt in Deutschland ist (selbstverständlich!). Was man aber nicht ergebnisoffen diskutieren kann: Ob Asylsuchende menschenwürdig behandelt werden sollen oder nicht.

Theologen des Marktes unterwerfen alles der Einteilung in »nützlich« und »unnütz«. In dieser Logik sind Geflüchtete, die erst die Sprache lernen müssen, nicht sofort einsetzbar auf dem Arbeitsmarkt, also unnütz. Außerdem bekommen sie Unterkunft, Essen, medizinische Versorgung und deren Kinder auch Schulunterricht; alles, ohne dass sie unmittelbar »nützlich« für den deutschen Arbeitsmarkt sind. Ein Gräuel für die Verfechter der neoliberalen Leistungsgesellschaft. So in dem Sinne: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.

So funktioniert das aber nicht.

Sheila Mysorekar

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem Netzwerk postmigrantischer Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Schwarz auf Weiß«. Darin übt sie Medienkritik zu aktuellen Debatten in einer Einwanderungsgesellschaft.

Der größte zivilisatorische Durchbruch in der Geschichte der Menschheit ergab sich als Konsequenz aus den maximalen Grausamkeiten des deutschen Faschismus: 1948 wurde von den Vereinten Nationen die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« verabschiedet, als neue Grundlage für die menschliche Gemeinschaft. Weltweit. Vertreter*innen aller Länder legten fest, dass jeder Mensch »frei und gleich an Würde und Rechten geboren« sei. Seither werden jedem Menschen die gleichen Rechte garantiert – unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, sexueller Orientierung, Identität oder Vermögen. Menschenrechte stehen jedem Menschen zu, weil er*sie ein Mensch ist. Punkt. Ebenso so simpel wie radikal.

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Das gilt auch für Menschen aus dem Sudan oder Syrien, die übers Mittelmeer flüchten. Artikel 3 der Menschenrechte lautet: »Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.« Und Artikel 14: »Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.«

Damit ist die Sache klar: Das deutsche Grundgesetz orientiert sich an den Menschenrechten. Auch wir haben das Asylrecht im Grundgesetz – in der Erinnerung an deutsche Verfolgte während der Nazizeit, die in anderen Ländern keinen Schutz fanden. Die Gründungsväter und -mütter der Bundesrepublik wollten nicht, dass dies anderen Schutzsuchenden ebenfalls zustoßen könnte.

Wenn nun Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in der Talkshow von Markus Lanz sagt, dass man »Asylbewerbern weh tun muss«, dann ist das ein Skandal. Und weiter: »Aber da sind uns die Hände gebunden, weil das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass die Menschenwürde es gebietet, dass wir den Menschen nach deutschem Standard das Existenzminimum bieten.«

Mit anderen Worten: Der deutsche Bundesjustiz(!)minister greift die Grundlagen der Verfassung an, und ist zudem der Ansicht, dass Geflüchteten nicht einmal das Existenzminimum zum Leben zusteht. Sollen sie verhungern? Wieso bleibt dieser Mann Bundesjustizminister? Er steht offensichtlich nicht mit beiden Beinen auf dem Boden der Verfassung.

Und wieso ziehen deutsche Medien bei derlei Äußerungen nicht sofort die Reißleine? Die einzige mögliche Antwort ist: Dies verstößt gegen das Grundgesetz und die Menschenrechte. Die Menschenrechte sind jedoch unser gesellschaftlicher Grundkonsens; wenn wir den aufgeben, geben wir unsere Demokratie auf. Wir müssen also nicht das Für und Wider diskutieren oder »beide Seiten zu Wort kommen lassen«; das ist einfach Neutralitätssimulation.

Manchmal wird nicht einmal ein Pro und Kontra diskutiert, sondern Politiker und Journalist*in überbieten sich in Vorschlägen zu einer »Obergrenze« für Schutzsuchende, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die ARD-Journalistin Caren Miosga in den »Tagesthemen«: Die schweigende Übereinkunft des Interviews war offensichtlich, dass Migration schlecht sei; darüber wurde gar nicht mehr geredet. So weit sind wir schon.

Bei der AfD und ihren medialen Sprachrohren wundert es mich nicht. Aber anscheinend gibt es bürgerliche Politiker und Medien der sogenannten Mitte, für die Menschenrechte nur in Schönwetterlagen gelten: Menschenrechte in Europa schön und gut, aber die gleichen Rechte für Tausende von Flüchtenden, die in Verzweiflung auf seeuntüchtige Gummiboote steigen, um ein Meer zu überqueren – nein, das geht dann doch zu weit. Wer so redet, ist Steigbügelhalter für Faschisten.

Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Da darf es keine Pro-und-Kontra-Diskussion geben. Jedes ergebnisoffene »Nachdenken« darüber öffnet Rassisten und Faschisten weitere Türen im Diskurs. Die Konsequenz daraus sehen wir in diesen Landtagswahlen. Eigentlich ist dies eine Selbstverständlichkeit, aber ich erinnere nochmal daran: Wir brauchen einen menschenrechtsbasierten Journalismus.

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