World Health Summit in Berlin: Viel Industrie, viel Glanz

Der World Health Summit in Berlin spiegelt die fragmentierte internationale Gesundheitsarchitektur wider

Das WHS gehört mittlerweile zu den wichtigsten gesundheitspolitischen Veranstaltungen.
Das WHS gehört mittlerweile zu den wichtigsten gesundheitspolitischen Veranstaltungen.

Seit Sonntag findet in Berlin zum 15. Mal der sogenannte World Health Summit (WHS) statt. Ausgerichtet wird er von der Stiftung gleichen Namens, einer 100-prozentigen Tochter der Charité, die 2009 zum 300-jährigen Jubiläum des Traditionskrankenhauses gegründet wurde. Das Ereignis selbst, das als »eine der weltweit wichtigsten strategischen Konferenzen für Global Health« firmiert, bietet jede Menge internationaler gesundheitspolitischer Prominenz auf. Geladen und vor Ort sind unter anderem diverse Fachminister, nicht nur aus Deutschland, sondern auch mehrere afrikanische Politiker sowie hochrangige Vertreter internationaler Organisationen. Per Video zugeschaltet ist Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Mehr Glanz geht eigentlich nicht. Aber was ist der Nutzen dieses bis Dienstag laufenden hochkarätigen Treffens – und wer profitiert davon? In diesem Jahr präsentieren rund 300 Rednerinnen und Redner ihre Lehren aus der Corona-Pandemie, unter anderem für die Verhinderung künftiger Pandemien oder die bessere Vorbereitung auf solche Ereignisse. In mehr als 60 Unterveranstaltungen geht es um diverse weitere Fragen, auch um Gleichheit und Sicherheit beim Zugang zu Gesundheitsleistungen. Das Motto des Treffens bleibt indes reichlich vage: »Ein entscheidendes Jahr für globale Gesundheitsmaßnahmen«.

Die Vernetzungsmöglichkeiten am Rande der Großveranstaltung dürften jedoch ganz im Sinne der vielen Industriepartner sein, darunter elf Pharmahersteller wie Abbott, MSD, Sanofi, Pfizer und Gilead. Beim WHS-Sponsoring gibt es verschiedene Stufen. Hier findet sich auch die öffentlich-private Partnerschaft Cepi, die sich über die Entwicklung von Impfstoffen der Bekämpfung von Pandemien und Epidemien verschrieben hat. Zu den Investoren gehören hier die Bill & Melinda Gates Foundation, der Spendenfonds der Investmentbank Goldman Sachs oder Nestle. Hauptgeber sind bei Cepi aber die Regierungen von 35 Staaten, allen voran der Bundesrepublik, Japans, Norwegens und Großbritanniens, sowie die EU-Kommission.

Aus Industriekreisen beteiligen sich neben Pharmaherstellern auch der italienische Energiekonzern Eni sowie weitere Unternehmen, Stiftungen und Verbände am WHS. Außerdem sind das Bundesgesundheitsministerium und der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen dabei, dem es unter anderem um reproduktive Gesundheit und Familienplanung geht.

Schon die Liste der Sponsoren, die die Veranstaltung mit ermöglichen, zeigt sich sehr heterogen. Aus der Politik im weitesten Sinne mischen vier Bundesministerien wie auch die WHO mit, um nur einige zu nennen. Hinzu kommen Forschungseinrichtungen und Studierendenverbände. Laut der WHS-Stiftung hat das alles seine Ordnung: »Etwa 40 Prozent der Erlöse steuern die öffentliche Hand auf Bundes- und Landesebene bzw. internationale Organisationen bei, weitere 40 Prozent stammen aus Beiträgen des Privatsektors«, wie es in einer Antwort auf eine nd-Anfrage heißt. »Die übrigen 20 Prozent resultieren im Wesentlichen aus Beiträgen wissenschaftlicher Einrichtungen, privater Stiftungen sowie aus Eintrittsgeldern.« Zudem trage kein einzelner Partner aus dem Privatsektor mit mehr als 4 Prozent zur Gesamtfinanzierung des World Health Summit bei. Eine Gesamtsumme wird jedoch trotz Anfrage nicht genannt.

Die relative Unübersichtlichkeit bei den Stakeholdern, wie Interessengruppen gern genannt werden, griff kurz vor der Konferenz die katholische Hilfsorganisation Misereor auf. Die Weltgemeinschaft habe seit Jahrzehnten mit den Herausforderungen einer stark fragmentierten globalen Gesundheitsarchitektur zu kämpfen, heißt es in der Stellungnahme, die auch von Brot für die Welt und dem Global Policy Forum unterstützt wird. Das habe insbesondere die unkoordinierte Reaktion auf die Covid-19-Pandemie deutlich gemacht, wie Klaus Schilder, Referent für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor, erläutert: »Die globale Multi-Stakeholder-Initiative ›Access to Covid-19 Tools Accelerator‹ (ACT-A), initiiert unter anderem von der WHO, war als zentraler internationaler Mechanismus zur Eindämmung der Pandemie gedacht. Doch die Initiative scheiterte nicht nur bei der weltweit gerechten Verteilung von Impfstoffen, sondern auch daran, weitere Akteure im Bereich globale Gesundheit erfolgreich zu koordinieren.«

Auch der diesjährige WHS führt das Prinzip der mehrfachen gegenseitigen Verflechtung und Verschachtelung fort. Freiwillige Selbstverpflichtung stehe zudem gegen die eigentlich nötige Verbindlichkeit vonseiten der Regierungen und Unternehmen, moniert Karolin Seitz vom Global Policy Forum, einer Nichtregierungsorganisation, die seit 1993 ein Monitoring globaler Politik betreibt. In den neuen Multi-Stakeholder-Initiativen mit immer stärkerer Einbindung von Unternehmen und privaten Stiftungen sieht Seitz eher das Problem als eine Lösung für die Bekämpfung künftiger Pandemien.

Die Multi-Stakeholder-Initiativen, deren Struktur auch bei den WHS-Partnern durchscheint, erschweren die Abstimmung von Aktivitäten, sie führen zu doppelten Maßnahmen oder zur Konkurrenz um Finanzmittel zwischen den Initiativen und der WHO, fasst Politikwissenschaftlerin Seitz die Kritik zusammen. Letzterer werde zudem weiter die Kompetenz untergraben, es komme unter anderem zu Insellösungen.

Die hohe Zeit der Auseinandersetzung mit der WHS-Konstruktion und ihren Absichten scheint dennoch vorbei. In den ersten Jahren gab es noch Alternativkonferenzen, in denen unter anderem die Stärkung der Rolle der WHO in der internationalen Gesundheitspolitik gefordert und auf die sozialen Ursachen von Krankheiten verwiesen wurde. Die exklusive Tagung, die der WHS im Grunde immer noch ist, wurde damals noch strikter abgelehnt. Heute ist die Zivilgesellschaft zwar bei der Veranstaltung in Berlin vertreten. Aber unter dem Begriff firmieren neben der Welthungerhilfe etwa auch die Münchner Sicherheitskonferenz und auch eine weitere öffentlich-private Partnerschaft, nämlich die Impfallianz Gavi, in die wiederum Hersteller involviert sind.

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