Nahost im Klassenzimmer

Lehrkräfte in Hamburg berichten von ihren Erfahrungen mit den Schülern

  • Guido Sprügel, Hamburg
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Nahost-Konflikt findet auch an Schulen seinen Niederschlag: Die Berliner Polizei hat Pro-Palästina-Parolen an der Zürich-Grundschule in Neukölln mit Kreidespray übersprüht.
Der Nahost-Konflikt findet auch an Schulen seinen Niederschlag: Die Berliner Polizei hat Pro-Palästina-Parolen an der Zürich-Grundschule in Neukölln mit Kreidespray übersprüht.

Jüngst warnte die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, vor »einer starken Zunahme von antisemitischen, israelfeindlichen und islamistischen Parolen« in deutschen Schulen. Seit dem Beginn des Terrorkriegs der Hamas werde das Klima im Klassenzimmer rauer, sagte sie gegenüber dem »Tagesspiegel«. Antisemitismus sei in muslimischen Communities weit verbreitet. Viral ging auch das Video aus einer Schule in Berlin-Neukölln: Dort zeigten Schüler die palästinensische Fahne auf dem Schulhof. Von einem Lehrer darauf angesprochen, attackierten die Schüler den Lehrer mit Fußtritten; dieser soll selbst einen Schüler geohrfeigt haben. Der genaue Ablauf und wer mit der körperlichen Gewalt begonnen habe, scheint immer noch nicht geklärt. Unabhängig bliebt die Frage: Sind dies Einzelphänomene oder droht ein Übergreifen auf weitere Schulen?

Beratung bei antisemitischen Vorfällen

Ein genauerer Blick auf die Schullandschaft erscheint angebracht – in diesem Fall auf Hamburg. Hier treffen, ähnlich wie in Berlin, die unterschiedlichsten Kulturen aufeinander. Und je nach Stadtteil gibt es große Unterschiede. »Wir haben bisher keine akuten Fälle vorliegen. Diskussionen schon, aber es ist erstaunlich ruhig«, berichtet Christoph Berens, der am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) in Hamburg den Bereich Demokratiepädagogik leitet. Bei ihm melden sich in der Regel Schulen, die mit Diskriminierungen wie Antisemitismus zu kämpfen haben. Vor einigen Jahren wurde eigens eine Beratungsstelle für antisemitische Vorfälle in seinem Fachbereich angesiedelt.

Die Ruhe am Institut ist jedoch nur eine relative – denn viele Schulen bearbeiten Vorkommnisse zunächst in Eigenregie. »Wir beobachten seit einigen Jahren schon eine deutliche Zunahme von antisemitischen Äußerungen in unserer Schule«, berichtet Ricarda R., die als Lehrerin an einer Hamburger Stadtteilschule in Osdorf/Lurup arbeitet. Der Einzugsbereich der Schule ist kein reicher Stadtteil. Es gibt Viertel in sozialer Schieflage, viele Menschen mit Migrationshintergrund leben dort.

Zunahme judenfeindlicher Äußerungen

»Antisemitische Äußerungen und Bemerkungen kommen in der Regel von muslimischen Schülern. Mit Beginn der Auseinandersetzungen in Israel haben die Vorfälle deutlich zugenommen«, erzählt Ricarda R. weiter. Da werde Israel die Schuld an dem Konflikt gegeben und offen auf Juden geschimpft. »Neulich fragte ein Schüler aus der 6. Klasse, warum die Deutschen immer Probleme mit Hitler hätten. Er hätte doch nur die Juden ausgerottet«, erzählt die 52-Jährige. Sie arbeitet seit 20 Jahren an ihrer Schule und fühlt sich insgesamt wohl. Die Zunahme von judenfeindlichen Äußerungen stimme sie jedoch zunehmend nachdenklich.

Im eher wohlhabenden Stadtteil Bergedorf erlebt der 57-jährige Pädagoge Christian P. an seinem Gymnasium eher das Gegenteil: »Ich erlebe eine große Anteilnahme gegenüber Israel. Da ist viel Solidarität zu spüren.« Es gebe viele nachdenkliche und besorgte Kommentare. In Gesprächen hört der Pädagoge viele reflektierte Gedanken, die den Konflikt in seiner Gesamtheit sehen. »Da wird selten vorschnell Partei für eine Seite ergriffen«, erzählt er weiter. Das Einzugsgebiet seines Gymnasiums? »Eher wohlhabend und mit recht geringem Migrationsanteil.«

Familiäre Anknüpfungspunkte

An einer Förderschule im zentral gelegenen Stadtteil Altona ergibt sich wieder ein anderes Bild. »Wir haben deutlich mehr Probleme mit diskriminierenden Äußerungen gegenüber Juden von muslimischen Schülern seit dem Beginn des Konflikts in Nahost«, erzählt Daniel S., der seit 15 Jahren an seiner Schule arbeitet. Dabei hätten einige Wortmeldungen einen biografischen Bezug und zeugten von tradierten Einstellungen – nicht unbedingt von offenem Hass. »Eine syrische Schülerin berichtete, dass ihr Vater auf den Golanhöhen geboren wurde. Heute darf er seinen Geburtsort nicht besuchen. Sie äußert keinen Hass auf Israel, sondern berichtet von der Trauer ihres Vaters«, so der Sonderpädagoge. Es gebe aber auch Kommentare, die eindeutig antiisraelisch oder antisemitisch seien. Die Juden würden ›aufmucken‹ und Jerusalem für sich allein beanspruchen.

»Und dann gibt es stellenweise eine unglückliche Vermischung mit deutscher Politik. Aus den Solidaritätsbekundungen der Bundesregierung wird dann schnell: Olaf Scholz verbietet uns Muslimen das Demonstrieren«, erzählt der 50-Jährige weiter. Die Schule habe gerade alle Hände voll damit zu tun, die komplizierten Fakten zu sortieren. Sie arbeitet dabei auch gegen Tiktok und Co. an, die in kurzen Videos vermeintlich die ganze Wahrheit präsentieren. Mit diesem Problem haben alle Schulen zu kämpfen. Denn auch die Pädagogen aus Bergedorf und Osdorf/Lurup berichten von der Herausforderung mit den sozialen Medien in diesem Konflikt.

Pauschalisierungen sind realitätsfern

Irrt die Bundesbeauftragte, wenn sie pauschal von einer Zunahme antisemitischer Vorfälle an Schulen spricht? Bei einer genaueren Betrachtung wie am Beispiel Hamburg zeigt sich, dass Pauschalisierungen fast nie die Realität abbilden. Nicht an allen Schulen wird der Ton rauer. Was jedoch auch am Beispiel dieses Konfliktes deutlich wird, sind die tiefen Gräben, die sich mittlerweile zwischen den verschiedenen Schulformen ergeben. Sie bedrohen den sozialen Zusammenhalt wahrscheinlich ebenso wie die Manifestierung von Verschwörungsmythen.

*vollständige Namen und Schulen der Personen sind der Redaktion bekannt

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