Wenn man niemals entspannen kann

Nicht nerven, wenn er fernsieht: »Die Einladung« von Emma Cline

  • Marit Hofmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Schütteln und rütteln möchte man die Antiheldin dieses Romans in einem fort: Wach endlich auf, Alex! Simon nimmt dich nicht wieder zurück. Du warst für den reichen Kunsthändler, den du dir vermeintlich geangelt hast, um dem Escort-Girl-Dasein zu entkommen, auch niemals eine gleichwertige Partnerin, sondern nur eine austauschbare Gespielin für den Sommer in seinem Strandhaus in den Hamptons, stets zu Diensten und verfügbar.

Dein Job war es, dich nach seinen Vorgaben zurechtzumachen, immer vorzeigbar und begehrenswert auszusehen, sein Ego in jeder Hinsicht zu befriedigen, seine Bedürfnisse zu erahnen, die gesellschaftlichen Codes zu lernen, zu lächeln und zu nicken. Und sonst Klappe halten, unsichtbar sein, wenn er arbeitet, nicht nerven, wenn er fernsieht. Rausschmeißen ließ er dich von seinem Personal, nachdem du sein geliebtes Auto demoliert hattest und bei einer dieser High-Society-Partys leicht angeschickert aus der mühsam antrainierten Rolle als »gesellschaftliches Ausstattungsstück« heraus- und in den Pool gefallen bist.

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Und trotzdem redest du dir ein, du müsstest – obdachlos, pleite und verfolgt von einem wütenden Dealer, den du um Geld und Drogen betrogen hast – nur die paar Tage bis zu Simons legendärer Gartenparty am Labor Day irgendwie überbrücken, da hättest du dann deinen großen Auftritt und würdest Simon im Handumdrehen zurückgewinnen: »Es war nicht Schreckliches passiert, sagte sie sich, nichts Unüberwindbares … ein Teil von ihr wusste, dass alles wieder werden konnte, wie es vorher war, und dass sie bis dahin nur zu überdauern brauchte.« Warum nur findest du ein Leben in der Lüge und in der Abhängigkeit von einem launischen Narzissten sowie von zusammengeklauten Pillen überhaupt so erstrebenswert? Wenn du schon unrealistischen Fantasien hinterherhängst, warum dann nicht eine echte Utopie? Nur »im Wasser war sie genau wie alle anderen. Nichts Ungewöhnliches an einer jungen Frau, die allein im Meer schwamm. Unmöglich zu sagen, ob sie hierher gehörte oder nicht.«

Mit ihrem konsequent aus Alex’ Binnenperspektive geschriebenen zweiten Roman »Die Einladung« provoziert Emma Cline die Leserin permanent durch das Auseinanderklaffen von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Es hat Sogwirkung, dabei zuzuschauen, wie Alex mit dem Aufrechterhalten einer Illusion gegen jede Vernunft beschäftigt ist, wie sie sich in der Gnadenfrist, die die erzählte Zeit des Romans umfasst, an jeden Strohhalm klammert und dabei zwangsläufig auf den unsanften Einbruch der Realität zusteuert. Herausgezögert wird das dicke Ende durch den (bedrohlich zur Neige gehenden) Vorrat an benebelnden Tabletten und ein defektes Handy, das unangenehme Nachrichten kaum zu der Ausgestoßenen durchdringen lässt und das sie schließlich lieber wegwirft: »Also war es doch so, als riefen sie gar nicht an.«

Wie jede Protagonistin in Clines Werk ist Alex in ihrer berechnenden Art, die ebenfalls Opfer fordert, keine Identifikationsfigur. Dennoch ist ihr pragmatischer Blick auf Männerfantasien und Distinktion der Upperclass erfrischend und entlarvend. Ihr von Rollenerwartungen geprägtes Verhalten dürfte vielen Leserinnen bekannt vorkommen.

In einem Essay für das »New York Magazine« offenbart Cline, dass sie selbst auf sexuelle Belästigungen, die sie als junge Schriftstellerin im Literaturbetrieb erlebt hat, nicht adäquat reagieren konnte. Und was ihr nach dem Riesenerfolg ihres Romandebüts über die einem Sektenführer à la Charles Manson hörigen »Girls« widerfuhr, liest sich wie eine bittere Pointe: Ein Exfreund verwickelte Cline (mit Hilfe eines Anwalts von Harvey Weinstein) in einen Plagiatsprozess – verbunden mit der impliziten Drohung, ihr Sexleben öffentlich zu machen. Die Klage wurde abgewiesen, und die Autorin dürfte sich in ihrer feministischen Grundhaltung, die ihre beklemmend starken Bücher durchzieht, bestätigt gefühlt und Stoff für einen neuen Roman in der Tasche haben.

»Frauen würden anders handeln«, heißt es in Clines Essay »The Price of Smiling for the Photos«, »wenn wir glaubten, es gäbe eine andere Möglichkeit, den Launen der Männer unbeschadet zu entkommen. Wir bewegen uns in einer Gesellschaft, die von ihnen bestimmt wird, und leiden darunter. Dennoch werden wir für unsere Versuche, innerhalb dieser Parameter zu überleben, getadelt.«

Diese Worte gelten auch für Alex, die sich in ihr Schicksal fügt, nur in Abhängigkeit von Männern überleben zu können, und deshalb wie eine Aussätzige behandelt wird. Mangels Rauschmitteln sickert schließlich eine brutale Erkenntnis in Alex’ Hirn: »Sie würde niemals entspannen können, niemals wirklich … Vielleicht konnten manche Dinge … niemals gelöscht werden. Vielleicht färbten sie den Kern der Erfahrung ein, und selbst wenn man die Oberfläche freischabte, hatte sich darunter schon Fäule entwickelt.«

Cline verweigert am Ende den Showdown, auf den alles zuzusteuern schien. Die Katastrophe, die Alex’ Leben ist, ist nicht sensationell.

Emma Cline: Die Einladung. A. d. Engl. v. Monika Baark. Hanser. 320 S., geb., 26 €.

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