Individuen im Kollektiv

Auf Alabaster DePlumes sechstem Studioalbum machen mal wieder alle, was sie wollen

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Cover für Musik, die man perfekt nennen würde, wollte sie das überhaupt sein.
Ein Cover für Musik, die man perfekt nennen würde, wollte sie das überhaupt sein.
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Der Sänger, Saxofonist und Gitarrist Angus Fairbairn ist einst von Manchester nach London gezogen, hat sich den latent albern, aber eben auch erhaben klingenden Künstlernamen Alabaster DePlume zugelegt und seitdem einen ganzen hierzulande leider noch kaum bekannten Schwung Musik produziert. Ein sehr originelles, eigentlich auch tatsächlich einzigartiges musikalisches Gewerk ist da bis jetzt entstanden. Ein Jazz-Album auf dem weltbesten Jazzlabel International Anthem zum Beispiel, »To Cy & Lee: Instrumentals Vol. 1«, elektronische, gemeinsam mit dem britischen Synthesizer-Künstler Danalouge eingespielte Musik (»I was not sleeping«) und vor allem vier Alben mit Songs, in denen sich Folk, weirder Pop, Kunstmusik und Jazz auf ganz bezaubernde Weise ineinander mischen.

Jazz und Folk sind hier nicht nur im Sound präsent, sondern auch in der Herangehensweise, also in der Produktion. Alabaster DePlume geht es immer um »the people« – seine Mitmusiker*innen, das Publikum, die alle teilhaben und mitwirken an der Entstehung der Musik und sie nicht nur aufführen beziehungsweise konsumieren sollen. Auch wenn DePlume mit Akustikgitarre den Singer-Songwriter gibt oder gemeinsam mit Danalogue ein Album mit knarziger Electronica fabriziert, ist das immer alles Jazz. Wobei man mit den Referenzen und Verweisen in der Beschreibung immer ein bisschen aufpassen sollte: Schnell verdeckt der Hinweis auf das, was es schon gab, dass hier einer etwas sehr Neues fabriziert hat. Und irgendwie ist die Musik von Alabaster DePlume vielleicht auch einfach postmoderner, agnostischer Gospel. Der nicht, oder nur selten (zum Beispiel in ein, zwei Stücken auf dem Album »Gold«, das den programmatischen Untertitel »Go Forward in the Courage of Your Love« trägt) wie Gospel klingt.

Das neue, sechste Studioalbum von Alabaster DePlume hat den schönen Titel »Come With Fierce Grace« und ist wieder in offenen Jam-Sessions entstanden. Die Musiker*innen haben ohne Vorgaben Musik aufgenommen, zwei Wochen lang, die DePlume dann zu Tracks zusammengebastelt und -geformt hat. Kein Plan vorab und keine Ausarbeitung des Eingespielten im Studio.

Das Ergebnis, zwölf Stücke, ist vergleichsweise spartanisch geraten, gerade im Vergleich mit dem opulenten, wild durch alle Stile surfenden »Gold«. Perkussives bestimmt den Ton: Trommeln, Glöckchen, Trommelränder. Jazz, der aber in dem Insistieren auf Loops und wiederkehrenden Mustern immer wieder wirkt, als würde hier Electronica auf sogenannten echten Instrumenten gespielt. Zu den Ergebnissen dieses gemeinsamen Spiels gehören unter anderem dekonstruierte Jazz-Balladen (»Fall On Flowers«), inspiriertes Improvisieren um eine einzige Note herum (»What Can it Take«, »What Can it Take Naked Like Water«) und verschrobene Poesie (»Did You Know«).

Diese Wiederholung hat nichts Maschinelles, sondern gibt eine Struktur vor, innerhalb derer dann alle machen können, was sie wollen (so lange sie es nur gemeinsam tun). In ihr gehen Individualität und Kollektivität zusammen, und die immense Schönheit dieser Musik kommt aus dieser spannungsreichen Verbindung. Wenn Perfektion nicht gerade das wäre, was die Musiker*innen hier von der Musik und den Menschen gerade nicht wollen, könnte man sagen, dass »Come With Fierce Grace« ein perfektes Album ist. Stattdessen einfach so: das Leben feiernde Musik, die Elend und Unglück nicht zukleistern muss.

Alabaster DePlume: Come With Fierce Grace (International Anthem/Indigo)

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