Tod nach Polizeieinsatz in Berlin: Warum starb Danny Oswald?

Zum Tod nach einem Polizeieinsatz bleiben Fragen offen

  • Felix Schlosser
  • Lesedauer: 6 Min.
Polizeiauto auf Einsatzfahrt
Polizeiauto auf Einsatzfahrt

Danny Oswald starb am 11. Juli im Sana-Klinikum Lichtenberg. Vorausgegangen war ein Polizeieinsatz in Friedrichshain, bei dem der psychisch instabile und durch verschiedene Drogen intoxikierte Oswald einer Atemnot erlag. Die Staatsanwaltschaft stellte die in einem solchen Fall üblichen Ermittlungen gegen die beiden ausführenden Polizisten wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung nach sieben Tagen ein.

Die Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader (beide Die Linke) haben zu dem Fall eine schriftliche Anfrage an den Senat gestellt, in der es auch darum geht, wie die Polizei mit Menschen umgeht, die sich in psychischen Notsituationen befinden oder unter dem Einfluss von Drogen stehen. Die Antworten werfen einige Fragen auf. Handelten die Einsatzkräfte korrekt?

Laut einer gemeinsamen Meldung von Polizei und Staatsanwaltschaft soll Danny Oswald am 11. Juli 2023 »randalierend und belästigend« in einem Ladengeschäft aufgetreten sein. Anschließend soll er auf einer nahegelegenen Baustelle einen Baucontainer betreten, wirr geredet und die Tasche eines Zeugen in ein Gewässer geworfen haben. Daraufhin soll der Mann von Polizisten wegen »gewalttätigen Verhaltens« zu Boden gebracht und gefesselt worden sein. Er habe über Atemnot geklagt, woraufhin die Beamten die Fesseln sofort wieder gelöst, erste Hilfe geleistet und Notärzte alarmiert hätten, heißt es in der Erklärung. Es folgten ein Transport ins Krankenhaus sowie der Versuch der Reanimation – ohne Erfolg.

Von dem Moment der Festnahme Oswalds existieren keine Videoaufnahmen. Zwar ist die Baustelle überwacht und es gibt Aufnahmen, die ihn an dem Ort zeigen, jedoch fand die versuchte Fixierung in einem Baucontainer statt. Der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft zu den Ermittlungen gegen die beiden Beamten beschreibt, dass Rechtsmediziner anhand der Obduktion erklärt hätten, dass »der Geschädigte aufgrund seiner körperlichen wie gesundheitlichen Verfassung im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz« gestorben sei. In der Gesamtschau stelle sich der tragische Tod als Ergebnis eines schicksalhaften Verlaufes, nicht hingegen eines strafbaren Verhaltens der Beschuldigten dar.

Sicher ist, dass Oswald unter schweren gesundheitlichen Vorerkrankungen und einer Sucht litt. Dies bestätigten Vertraute Oswalds sowie ein toxikologischer Befund, der nach seinem Versterben angefertigt wurde.

Unklar ist aber, ob die gewaltsame Fixierung von Oswald, die wohl den Ausschlag für die Atemnot und den damit in Verbindung stehenden Tod gab, nötig war. Den Bericht der Staatsanwaltschaft zum Ermittlungsverfahren gegen die beiden eingesetzten Polizeibeamten konnte »nd« einsehen. Er beschreibt, dass Oswald, als die Beamten die Baustelle erreichten, »auf dem Boden kniend« in einem Container angetroffen wurde.

Widersprüchlich ist dagegen die Darstellung, die die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz auf die Anfrage der Abgeordneten Helm und Schrader liefert. Dort heißt es: »Der später Verstorbene saß zwar auf dem Boden, trat jedoch um sich.« Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die beiden Beamten darüber bewusst waren, dass Oswald sich in einer psychischen Ausnahmesituation befand – davon zeugen nahezu alle Beschreibungen von ihm und verschiedenen Zeug*innen.

Stellte Oswald also beim Eintreffen der Beamten eine Gefahr dar? Im Bericht heißt es, dass sich die Beamten dazu entschlossen, Oswald zu fesseln, weil er ein als »aggressiv angesehenes Verhalten« an den Tag legte. Ein Mensch, der sich am Boden eines Containers befindet – hätte nicht vorher ein mit einer solchen Situation erfahrener Notdienst verständigt werden können? Hätte die Ingewahrsamnahme nicht durch Polizeikameras dokumentiert werden können?

Auch vor dem Hintergrund einer weiteren Antwort auf die schriftliche Anfrage wirft das Verhalten der Beamten die Frage auf, ob der Tod Oswalds hätte vermieden werden können. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz erwähnt dort die »Arbeitshinweise über polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit hilflosen Personen vom 17. Februar 2022«. Darin heißt es: »Sofern intoxikierte hilflose Personen polizeilich bekannt werden, obliegt den Polizeidienstkräften unter Beachtung der Eigensicherung das Einleiten lebensrettender und gesundheitserhaltender Sofortmaßnahmen, das Organisieren medizinischer Hilfe, die Gefahrenabwehr in Hinblick auf Eigen- und Fremdgefährdung sowie das Verfolgen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.«

Das Verfolgen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sei nachrangig zu jeder Hilfeleistung umzusetzen. Gerade deshalb darf bezweifelt werden, ob diese Arbeitsanweisungen im Fall Danny Oswald tatsächlich befolgt wurden – was in der Anfrage ohne weitere Ausführungen bejaht wird. Eine Anfrage von »nd« zu dem Fall und der schriftlichen Anfrage konnte die Senatsverwaltung für Justiz nicht in der gesetzten Frist von drei Werktagen beantworten.

Um künftig ein sensibleres Vorgehen im Kontakt zwischen Einsatzkräften und Menschen in psychischen Notsituationen zu schaffen, wären laut Helm und Schrader mehr Schulungen und Weiterbildungen für die Polizei nötig. Deshalb wollten die Abgeordneten in der Anfrage auch wissen, welche Art der Ausbildung Polizeieinsatzkräfte im Umgang mit Menschen in psychischen Not- und Ausnahmesituationen bekommen und von wie vielen Einsatzkräften diese Möglichkeit wahrgenommen wurde.

Dirk Feuerberg von der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz antwortete, dass »sowohl in der Ausbildung des mittleren Polizeivollzugsdienstes als auch im Rahmen des Studiums zum gehobenen Polizeivollzugsdienst (…) jeweils mehrtägige verpflichtende Verhaltenstrainingsseminare zu Kommunikation sowie Konflikt- und Stressbewältigung« stattfinden. Dabei werde auch der Umgang von Polizeidienstkräften mit Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten umfassend bearbeitet.

Seit der Einführung im Jahr 2014 hätten 618 Dienstkräfte an dem Seminar »Umgang mit Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten im Spannungsfeld zwischen Kommunikation und Zwangsanwendung« teilgenommen. Bei insgesamt 18 558 Beschäftigten im Polizeivollzugsdienst entspricht das jedoch nur etwa 3,33 Prozent. Einberechnet sind dabei Polizist*innen, die ihren Dienst nach 2014 beendet oder verlassen haben, die tatsächliche Anzahl dürfte also geringer ausfallen.

Die am Einsatzgeschehen um Oswald beteiligten Beamten gehörten nicht dazu. »Der Polizeikontakt mit intoxikierten Personen mit Vorerkrankungen ist für die Betroffenen wie die Dienstkräfte eine große Belastungssituation. Wenn der Senat aber angibt, dass seit 2014 nur gut 600 Dienstkräfte eine entsprechende Fortbildung gemacht haben, muss die Polizei hier deutlich mehr machen«, kommentiert Innenexperte Niklas Schrader (Linke) die Anfrage. Dass keine Daten dazu erhoben werden, wie oft die Polizei zusammen mit dem Krisendienst bei Einsätzen war, bezeichnet der Abgeordnete als »Black Box«. Dazu brauche es dringend ein umfangreiches Monitoring.

Auch Anne Helm reagierte ernüchtert auf die Antworten des Senats: »Wir haben die Berliner Polizei gefragt, ob nach diesem Einsatz Maßnahmen ergriffen werden, um vulnerable Menschen zu schützen, für die eine einfache Gewalteinwirkung schwere körperliche bis tödliche Folgen haben kann. Dies ist nicht der Fall.« Insbesondere mit Blick auf die Hinterbliebenen erwarte sie mehr Sorgfalt von der Polizei.

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