Keine Abschiebung: Irakischer Flüchtling darf vorerst bleiben

Betroffener ist von homofeindlicher Gewalt bedroht und psychisch erkrankt. Laut Bayerischem Flüchtlingsrat wird wieder mehr in den Irak abgeschoben

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Eigentlich sollte Haul an diesem Mittwoch per Flugzeug in den Irak gebracht werden. In sein Heimatland, aus dem er vor sechs Jahren geflohen ist, in dem er in der Vergangenheit sexuelle Gewalt erfahren hat und das für ihn als homosexuellen Mann lebensgefährlich ist. Doch am Morgen heißt es dann: »Der Abschiebeflug wurde gecancelt«, wie Lisa Hermann von BUD Bayern dem »nd« mitteilt.

BUD (Beratung, Unterstützung, Dokumentation), eine bayernweite Anlaufstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, begleitet und unterstützt Haul seit eineinhalb Jahren. Der Name Haul ist ein Pseudonym, sein echter Name soll aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich genannt werden. Seit einer Woche befand sich der Iraker im Ausreisegewahrsam. In der Nacht vor dem angesetzten Abschiebetermin hat er sich laut Hermann selbst verletzt, dann soll ein vorläufiges Abschiebeverbot erwirkt worden sein. »Wie es ihm gerade geht, ist nicht klar«, sagt sie.

Haul werde aufgrund einer diagnostizierter Depression und einer Posttraumatischen Belastungsreaktion medikamentös therapiert. »Er hat auch schon suizidale Gedanken geäußert, aufgrund von Angst und Unsicherheit«, berichtet Hermann. Bereits vor der Nacht auf Mittwoch befürchtete der BUD eine Selbstgefährdung Hauls aufgrund der immensen psychischen Belastung. »Niemand kann wirklich nachvollziehen, wie ich mich gerade fühle«, soll er gesagt haben.

Am 25. Oktober sei Haul bei der Ausländerbehörde erschienen in der Annahme, seine Duldung verlängern zu können – doch stattdessen habe ihn dort die Polizei erwartet und in die Abschiebehaft nach Hof gebracht. Hauls Partner habe das festgestellt, indem er dessen Handy ortete. In der Zwischenzeit habe er ihn jedoch auch besuchen können.

BUD und Bayerischer Flüchtlingsrat kritisieren diese Vorgehensweise der Behörden, die kein Einzelfall sei: Immer wieder würden Betroffene unter Angabe falscher Gründe vorgeladen, um dann ohne jede Vorwarnung in Abschiebehaft zu landen. »Die Behörden erwarten zu recht, dass Asylbewerber*innen mit ihnen kooperieren und entsprechende Termine wahrnehmen«, so Franziska Sauer vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Dass diese Kooperationsbereitschaft dann so ausgenutzt werde, »ist menschenfeindlich«. Und es schüre Misstrauen unter Geflüchteten, sagt Sauer zum »nd«. Vom Landesinnenministerium fordert der Flüchtlingsrat ein Verbot solcher Verfahren.

Als Haul 2017 nach Deutschland kam, sei sein Asylantrag abgelehnt worden, weil er damals aus Scham und Angst nicht gesagt habe, dass er schwul ist. Da Homosexuelle in der irakischen Gesellschaft diskriminiert werden und von ihnen keine Unterdrückung ihrer sexuellen Neigung verlangt werden kann, sei diese laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin eigentlich ein Grund, um Asyl zu gewähren. »Der Irak ist für Homosexuelle kein sicheres Herkunftsland«, betont Hermann von BUD.

Nach einer erfolglosen Klage gegen die Ablehnung des Asylantrags im Jahr 2019, stellt Hauls Anwalt nun einen Asylfolgeantrag aufgrund drohender Verfolgung wegen Homosexualität, dessen Zulässigkeit derzeit geprüft werde, aber nach Sauers Einschätzung gute Chancen haben sollte.

Die Entscheidung der Behörden, Haul an diesem Mittwoch abzuschieben, könnte negativ durch einen Vorfall von vor zwei Jahren beeinflusst worden sein, vermutet Hermann. Damals soll er von zwei anderen Irakern queerfeindlich beleidigt und angegriffen worden sein. Er habe zurückgeschlagen, um sich zu wehren – und sei dafür zu einer für seine Verhältnisse hohen Geldstrafe verurteilt worden. Vor den Behörden gilt er also als »Straftäter«.

Unabhängig davon wäre es aus humanitären Gründen jedoch »nicht zumutbar für Haul, wieder im Irak zu leben«, sagt Hermann. Sauer findet das auch vor dem Hintergrund unverständlich, dass es vom Auswärtigen Amt seit kurzem eine Reisewarnung für den Zentral-Irak gibt, Deutschen also von Reisen in das Land abgeraten wird, weil es zu gefährlich sei. Eigentlich müsste es dementsprechend einen allgemeinen Abschiebestopp für den Irak geben.

In den vergangenen Jahren sei auch kaum in den Irak abgeschoben worden, daher habe der Flüchtlingsrat vielen von dort Geflüchteten geraten, sich ihre Pässe zu organisieren, die ihnen hier in Deutschland Bleibeperspektiven eröffnen könnten. Nun gebe es wieder mehr Abschiebeflüge in den Irak und die Pässe haben den gegenteiligen Effekt: Sie verraten den Behörden das Herkunftsland, in das sie die Betroffenen abschieben können. Täglich bekomme der Flüchtlingsrat Anrufe und Mails von Betroffenen, denen die Abschiebung droht, berichtet Sauer. Viele von ihnen hätten bereits Arbeitsverträge in Deutschland – genau wie Haul, der als Friseur arbeitet.

Sauer kann sich das nur damit erklären, dass die Politik ihr »Versprechen« einlösen will, mehr abzuschieben – egal wohin. »Und Bayern ist mal wieder vorne mit dabei«, meint sie. Die aktuelle Verschärfung der Asylregelungen bringe Betroffene in »existenzielle Nöte«, sagt Hermann. Viele würden sich nicht mehr trauen, ihre Wohnungen zu verlassen. Für Haul wendet sich das Blatt womöglich zum Guten. Doch prinzipiell sollen alle Menschen »eine Chance bekommen, hier zu leben«, findet sie.

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