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  • »Mein Sohn, der Soldat«

Vater, was hast du getan?

»Mein Sohn, der Soldat« verhandelt interessante Familienkonflikte im Ersten Weltkrieg – auf überraschungsarme Art und Weise

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Lebensgefährlich: In den Krieg ziehen, um dem eigenen Vater gerecht zu werden.
Lebensgefährlich: In den Krieg ziehen, um dem eigenen Vater gerecht zu werden.

Im Ersten Weltkrieg verband Frankreichs Militär zweierlei Brutalität: Kolonialismus und Zwangsrekrutierung. Die französische Armee rekrutierte im Ersten Weltkrieg in Afrika, unter anderem im Senegal, Soldaten. Die Einheimischen wurden gejagt, ohnmächtig geprügelt und dann in den Militärdienst gezwungen, wie man in Mathieu Vadepieds Film »Mein Sohn, der Soldat« sehen kann. Die auf diese Weise gebildeten Bataillone nannte man »Tirailleurs sénégalaisy«. Mathieu Vadepied erzählt von dieser eher unbekannten Seite des Krieges und verbindet sie mit einem Vater-Sohn-Konflikt.

Der 17-jährtige Thierno (Alassane Diong) wird zwangsrekrutiert. Sein Vater Bakary (Omar Sy) meldet sich freiwillig zum Dienst, um seinen Sohn vor dem Schlimmsten zu bewahren. Von hier ausgehend fährt das Script sozusagen auf zwei Schienen. Einerseits funktioniert »Mein Sohn, der Soldat« als allerdings recht konventionell inszenierter Kriegsfilm: Grabenkämpfe, die Verwurstung von Soldaten beim Kampf um ein paar Meter Frontlinie. Der Soldat als entindividualisiertes Kanonenfutter: kein Heldentum, nirgends.

Parallel dazu erzählt »Mein Sohn, der Soldat« davon, wie sich ein junger Mann von seinem Vater zu emanzipieren versucht. Thiemo befreundet sich mit dem Leutnant Chambreau (Jonas Bloquet), einem Franzosen, der ihm eine jede Herkunftsfrage und damit jeden Rassismus hinter sich lassende Kameradschaft verspricht. Thierno akzeptiert den Leutnant als einen Ersatzvater und wird zum Dank von ihm befördert. Was heißt, dass er nun seinem echten Vater als militärisch Ranghöherer Befehle geben darf. Das geht natürlich nicht lange gut, und bald überwerfen sich Vater und Sohn.

Leider findet »Mein Sohn, der Soldat« nicht nur für das Kriegsgeschehen, sondern auch für die Erzählung dieses Ablösungsversuchs eine eher schematische Sprache und Bildsprache. Die Schlachten sind mit dem im kriegskritischen Kriegsfilm spätestens seit »Saving Private Ryan« etablierten Überwältigungsgedonner inszeniert (wenngleich auch um einiges unspektakulärer, aber die Eröffnungssequenz von Steven Spielbergs Film bleibt eben auch generell unerreicht). Auch der Versuch Chambreaus, in Eigeninitiative heldenhaft einen Unterschied zu machen und einen umkämpften Hügel einzunehmen, ist noch mit einer in diesem Fall destruktiven Familiendynamik verbunden: alles, um dem eigenen Vater gerecht zu werden und ihn endlich zu beeindrucken, einem Militär, der seinen Sohn zum Kämpfen beordert.

Der eine Vater schickt seinen Sohn in den Krieg, die alte Generation versucht, die junge zu entsorgen und nennt das Heldentod. Der andere versucht seinen Sohn vor dem Tod auf dem Feld zu bewahren. Leider ist dieser eigentlich ja nicht unspannende Konflikt zwischen dem Sohn, der vom sich opfernden Vater loskommen will, und dem Vater, der alles versucht, um ihn zu retten und ihn damit natürlich wieder in die Kind-Position drängt, so vorhersehbar erzählt, dass man sich wirklich an keiner Stelle auch nur ansatzweise gefordert und konfrontiert fühlt. Was eben auch bedeutet, dass es »Mein Sohn, der Soldat« leider nicht gelingt, eine wirkliche empathische Verbindung zwischen Zuschauer*in und den Figuren herzustellen. Stattdessen schreitet der Film zielstrebig, aber eben komplett überraschungsarm und ohne jeden Plotpoint durch die Handlung.

Am Ende aber schenkt »Mein Sohn, der Soldat« den gefallenen Zwangsrekrutierten der Tirailleurs sénégalaisy eine nachgeholte, viel zu späte, in ihrer Konsequenz zum Schluss des Films dann aber doch noch einmal überraschende Volte, die auf eine späte symbolische Ehrung und Anerkennung hinausläuft. Eine Ehrung und Anerkennung nicht als vergessene Helden, sondern als koloniale Opfer des Ersten Weltkrieges, die zum Sieg Frankreichs beigetragen haben.

»Mein Sohn, der Soldat«, Frankreich, Senegal 2022. Regie: Mathieu Vadepied; Buch: Olivier Demangel, Mathieu Vadepied, mit Omar Sy., Joans Bloquet, Alassane Diong, Bamar Kane. 101 Min. Jetzt im Kino.

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