Von deutschen Antisemiten vertrieben

Stefanie Mahrer erinnert an Salman Schocken, Kaufhausgründer, Kunstmäzen, Verleger und liberaler Politiker

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde das Karl-Marx-Städter Centrum-Warenhaus von vielen als das »Kaufhaus Schocken« bezeichnet. Die Erinnerung an ein Kaufhaus, in dem alles zu bester Qualität und mit einem ausgezeichneten Service zu erhalten war, blieb auch dann noch wach, als dieses Haus dem ursprünglichen Besitzer gar nicht mehr gehörte. Das 1930 eröffnete Kaufhaus war eins der drei, die nach den Plänen des bekannten Architekten Erich Mendelsohn für die Brüder Simon und Salman Schocken erbaut worden war. Mit dem Sitz im sächsischen Zwickau gehörte die Schocken KG zu den vier erfolgreichsten Kaufhausketten Deutschlands. Für seine ca. 6000 Mitarbeiter ließ Schocken Personalbibliotheken und im vogtländischen Rautenkranz ein Erholungsheim errichten. Während der Reichspogromnacht 1938 wurde das Kaufhaus wie andere jüdische auch geplündert und anschließend enteignet. Das Kaufhaus blieb unter Nazi-Regie erhalten und wurde nach 1945 zunächst in ein HO-Warenhaus, dann in das schon erwähnte Centrum-Warenhaus umgewandelt.

Salman Schocken (1877–1959) war aber nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann, sondern auch Verleger, dessen Verlag, der Schocken-Verlag, bis 1938 in Deutschland existieren konnte. Die etwa 250 Bücher des Verlags, vornehmlich Judaica, sind auch Ausdruck der zionistischen Bestrebungen Schockens, der helfen wollte, die Vorstellungen Theodor Herzls zu verwirklichen, den in alle Welt verstreuten Jüdinnen und Juden eine nationale Heimstätte zu schaffen. Das geschah getreu seinem Credo: »Jahrtausende von Tinte, nicht Blut und Boden, haben die Juden zu einer Nation geschmiedet.« So war es nur folgerichtig, dass er, als er 1943 aus Deutschland emigrieren musste, sich in Palästina niederließ, sich dort um die Schaffung einer jüdischen Universität verdient machte, wiederum von Erich Mendelsohn eine noch heute existierende Bibliothek in Jerusalem bauen ließ und die noch immer von seinen Nachfahren geleitete, inzwischen einflussreiche Zeitung »Ha’aretz« kaufte.

1940, als die Gefahr drohte, dass das deutsche Afrikakorps auch Palästina angreift, emigrierte Salman Schocken weiter in die USA. 1945 gründete er Schocken-Books. Den größten verlegerischen Erfolg konnte er wohl damit verbuchen, dass er sich die Weltrechte an dem Werk von Franz Kafka sicherte. Eine seiner Lektorinnen war zu dieser Zeit Hannah Arendt, die sich bei seinem Autor Gershom Scholem über Schockens Unentschlossenheit beschwerte. Der Grund dafür war wohl, dass er erst zögerte und es dann ablehnte, die von Arendt als Kopie geretteten berühmten »Thesen über den Begriff der Geschichte« von Walter Benjamin zu verlegen.

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Rathaus am Helene-Weigel-Platz in Berlin-Marzahn
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Stefanie Mahrer, die hier ihre Habilitationsschrift vorlegt, die sie an der Universität Basel verteidigte, macht Salman Schocken nicht zur Ikone, sondern sie konzentriert seine Person auf die Orte, an denen er wirksam und in der Regel auch erfolgreich war. Dieser topografische Ansatz zwingt zu einer größeren Informationsdichte, die für die Leserinnen und Leser überaus gewinnbringend ist. Der Name »Schocken« wird für viele, die in den Orten leben, wo seine Kaufhäuser standen, noch ein Begriff sein, die wenigsten von ihnen aber werden seine Vielschichtigkeit als »Kaufhauskönig«, liberaler Politiker, Mäzen, Büchersammler und Verleger kennen. Er war sicher eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Deutschlands im 20. Jahrhundert und wurde von einer verblendeten Ideologie aus seinem Wirkungsgebiet vertrieben. Diese Ideologie aber, der Antisemitismus, ist geblieben. Auch aus diesem Grund erscheint das Buch von Stefanie Mahrer zur rechten Zeit.

Stefanie Mahrer: Salman Schocken. Topographien eines Lebens. Neofelis-Verlag, 496 S., geb., 24 €.

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