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Kunst trifft Wissenschaft
Das diesjährige Wissenschaftsfestival suchte kreative Zugänge zur Welt der Forschung
Kunst und Wissenschaft, die beiden ungleichen Töchter der menschlichen Kreativität, haben in Berlin auf neue Weise zusammengefunden. Auf der achten »Berlin Science Week«, die am gestrigen Freitag zu Ende ging, waren erstmals auch Künstler dabei, die in unterschiedlichen Darbietungsformen ihre Sicht auf wissenschaftlichen Fortschritt und die Lösung der Weltprobleme teilten.
Wie sich die beiden Kreativwelten gegenseitig berühren und synergetisch verstärken können, wurde gleich am ersten Tag in der Humboldt-Universität demonstriert. Dort malte die Künstlerin Katharina Ziemke in einer Live-Performance vor Publikum ein neues Bild ihrer dortigen Ausstellung »Unwetter«: eine vom Sturm verwüstete Landschaft auf Reispapier. Die Aktion wurde lautmalerisch begleitet von Musikern, die mit Alltagsgegenständen wie Rettungsdecken, Metallrohren, Glocken und Küchenutensilien die Geräusche eines Orkans erzeugen. Im anschließenden Künstlergespräch wurde reflektiert: Was bedeutet die Klimakatastrophe für die aktuelle künstlerische Praxis? In welchem Verhältnis stehen Kunst und Wissenschaft?
»Dass die Wissenschaft auch etwas von der kreativen Szene lernen kann, da bin ich mir absolut sicher«, ist auch die Auffassung von Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra. Aus ihrer Sicht brauche es »emotionale und anschauliche Methoden, um komplexe wissenschaftliche Projekte zu vermitteln«. Themen der über 200 Veranstaltungen, die ganz überwiegend kostenfrei besucht werden konnten, waren unter anderem die Mobilitäts- und Energiewende, Herausforderungen und Zukunft der Arbeit in der Wissenschaft ebenso wie die Fortschritte in Quantentechnologie und Kernfusion.
In der Italienischen Botschaft im Tiergarten wurde etwa über die aktuellen Fortschritte der Kernfusionstechnik wie auch über das geplante Einstein-Teleskop für Gravitationswellen informiert. Über den Standort des Milliardenprojekts ist noch nicht entschieden: Während Italien mit Sardinien ins Rennen geht, favorisiert Deutschland eine Großforschungsanlage in der Lausitz: das Deutsche Zentrum für Astrophysik (DZA).
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Gegen die Desinformation
»Jedes Jahr bringen wir 150 Organisationen, 600 Sprecher und über 20 000 Teilnehmende sowohl online als auch vor Ort zusammen, um Wissen auszutauschen, miteinander in Kontakt zu treten und sich über die neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften zu informieren«, beschreibt Jürgen Mlynek das Konzept der Veranstaltung. Als Vorsitzender der Berliner Falling Walls Stiftung hatte Mlynek, als früherer Präsident der Humboldt-Uni bestens mit der Wissenschaftsszene verbandelt, den Event-Reigen aus der jährlichen »Falling Walls«-Konferenz heraus entwickelt, die immer am 9. November, dem Tag des historischen Berliner Mauerfalls, im Radialsystem die neuesten Durchbrüche der internationalen Forschung präsentiert.
Mit dem Wissenschaftsfestival soll auch das Interesse der breiten Bevölkerung für die Arbeit und die Ergebnisse der Forscher in Hochschulen und Labors gesteigert werden. Keine leichte Aufgabe in Zeiten, da sich durch die schnelle Verbreitung von Desinformation in den sozialen Medien der Anteil der Wissenschaftsskeptiker in Europa auf 20 bis 30 Prozent gesteigert hat. Da stellt sich die Frage, wo die Erfolge von Falling Walls und Berlin Science Week bleiben, diese »Mauer der Dummheit und Ignoranz« einzureißen.
Plädoyer für mehr Science-Fiction
»Ich bin überzeugt, dass Wissenschaft optimistische Visionen für die Zukunft produzieren muss, um Vertrauen zu schaffen«, antwortet Andreas Kosmider als neuer Geschäftsführer der Falling Walls Stiftung. Einzelne Wissenschaftler für kleinteilige politische Ziele in Beschlag zu nehmen, sei dabei nicht hilfreich. »Uns ist der Spirit der Science-Fiction früherer Jahre abhandengekommen«, stellt Kosmider fest. »Wir müssen Bilder von einer Welt von morgen malen, von einer wissensbasierten, freien Zukunft, ohne Kriege und Krankheiten, im Einklang mit der Natur und auf dem Weg zu den Sternen.« Mit Bildung, Forschung und Wissenschaft könne die Menschheit diese Ziele erreichen. Der »Falling Walls Science Summit«, der als eine Art von Weltwissenschaftsgipfel in die drei letzten Tage der Berlin Science Week integriert ist, bringt nach den Worten Kosmiders »genau die Visionäre zusammen, die diese neue Science-Fiction gestalten und munitioniert alle Teilnehmer in ihren jeweiligen Kreisen, Ländern und Umfeldern, um diese Narrative zu platzieren«. Auf diese Weise, so die Zielsetzung des Falling-Walls-Geschäftsführers, »machen wir Menschen mittelbar neugieriger und vielleicht etwas aufgeschlossener und leisten so einen Beitrag, Wissenschaftsskepsis entgegenzutreten«.
Am hippen Holzmarkt-Areal in der Nähe des Ostbahnhofs hatte die Science Week für zehn Tage ein neues Standbein gefunden. Bildete in den Vorjahren für die Wissenschaftsveranstaltungen der »Campus« im Naturkundemuseum einen Schwerpunkt, der viele Vorträge und Exponate bündelte, war nun das »Art & Science Forum« in Zusammenarbeit mit dem Kulturquartier »Holzmarkt 25« hinzugekommen. Unter anderem wurde erstmals die »Art Fair«-Kunstmesse ausgerichtet, auf der 20 Berliner Kunstschaffende ihre Kreationen, die von Wissenschaft inspiriert waren, zum Verkauf anboten. Abends stieg die Performance »Quantum inspired Sounds«, in der Quantenphysiker und Klangkünstler ihre gemeinsamen Kompositionen vorstellten. Auch politisch wurde es: In einer Solidaritätsaktion bemalte die Künstlerin Ute Faber einen Berliner Buddy Bär in den Farben der Ukraine, der später vor der ukrainischen Botschaft aufgestellt wurde.
Dagegen bleiben die Beziehungen zu russischen Forschern, die früher immer auf der Science Week präsent waren, nach dem Überfall auf die Ukraine eingefroren. »Es gibt zurzeit keine Zusammenarbeit mit russischen Einrichtungen«, erklärt Andreas Kosmider auf Anfrage, und ergänzt: »Sobald Russland den Krieg beendet und sich vollständig aus der Ukraine zurückzieht, nehmen wir die Zusammenarbeit umgehend wieder auf.«
Finanziert wird die Berlin Science Week vom Berliner Senat mit 350 000 Euro und zusätzlichen 180 000 Euro für das neue »Art & Science Forum«. Das gesamte »Falling Walls Science Summit«-Budget liegt nach Angaben der Veranstalter bei 3,2 Millionen Euro. 40 Prozent davon sind über öffentliche Gelder finanziert, die restlichen 60 Prozent kommen über das Sponsoring von Partnerorganisationen aus der Wirtschaft und Ticketerlöse.
Kunst fördert die Reflexion
Durchaus möglich, dass mit der neuen Kombination ein Stein ins Rollen kommt. »Dieser neu geschaffene Raum zwischen Kunst, Gestaltung und Wissenschaften fördert die Reflexion und das Entstehen von Neuem, während etabliertes Wissen infrage gestellt wird«, meint jedenfalls Norbert Palz, Präsident der Universität der Künste Berlin. Das »erlebbare alternative Forschen« ermutige dazu, »über Disziplingrenzen und deren implizite Paradigmen hinauszugehen«.
Auch in Zukunft kann sich das Berliner Wissenschaftsfestival weiterentwickeln. So steht im Raum, einen Schwerpunkt auf Europa zu setzen, um die angestrebte technologische Souveränität zu stärken. »Falling Walls plant aktuell verschiedene Formate, um die Themen European Deep Tech Strategy, European Tech Sovereignty und allgemeine Fragen rund um die weitere Ausgestaltung der European Research Area in den Fokus zu nehmen«, lässt Geschäftsführer Kosmider ein wenig ins strategische Nähkästchen blicken.
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