»Kommunikation, Information und Medien gehören zur Kriegsführung«

In gegenwärtigen Krisen zeigt sich, welche Bedeutung strategische Desinformation hat. Medienwissenschaftler Martin Löffelholz im Gespräch

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Es herrscht auch der Krieg der Narrative.
Es herrscht auch der Krieg der Narrative.

Welche Rolle spielt die Verbreitung falscher Informationen aktuell im Nahen Osten?

Gezielte Desinformationen gehören seit Langem zum Nahost-Konflikt. Mit dem brutalen Angriff der Hamas auf ein friedliches Musikfestival und andere Israelis wird aber deutlich, wie sehr Handyvideos, soziale Medien und Künstliche Intelligenz Bestandteil der strategischen Kriegsführung geworden sind. Bei den systematisch geplanten Morden und Geiselnahmen sowie in der laufenden gewalttätigen Auseinandersetzung mit den Israelischen Streitkräften nutzt die Hamas Desinformationen, Gewaltvideos oder gefälschtes Bildmaterial als Waffen im Krieg der Narrative.

Wie sieht das im Vergleich dazu im Krieg Russlands gegen die Ukraine aus?

Kommunikation, Information und Medien gehören seit jeher zur Kriegsführung – auch in der Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine. Weil dieser Krieg jedoch weitgehend konventionell geführt wird, vor allem mit Waffen, die über längere Distanzen wirken, finden wir weniger Bildmaterial, welches das Töten unmittelbar aus Sicht der Angreifer zeigt. Zudem bekommen wir aus Russland trotz Zensur weiterhin Informationen, die nicht immer die Haltung Putins und seiner Regierung widerspiegeln – nicht nur über westliche Journalisten, die aus Russland berichten, sondern etwa auch von russischen Militärbloggern, die den Angriffskrieg zwar begrüßen, teilweise aber deutliche Kritik an der Kriegsführung oder sogar der militärischen Führung üben. Bei der straff autoritär organisierten Hamas in Gaza werden interne Konflikte hingegen kaum nach außen sichtbar.

Was ist der Unterschied zwischen Begriffen wie Desinformation und Fake News?

Umgangssprachlich werden die englischen Begriffe »Desinformation«, »Misinformation« und »Malinformation« zusammenfassend als »Fake News« bezeichnet. Zudem wird der Terminus »Fake News« – ähnlich wie in Deutschland der Begriff »Lügenpresse« – als politischer Kampfbegriff benutzt, mit dem Ideologen wie Donald Trump versuchen, als Gegner verstandene, für die Meinungsbildung aber bedeutsame Medien pauschal abzuqualifizieren. Als Desinformation bezeichnen wir unwahre Informationen, die darauf abzielen, Menschen, Organisationen oder die Bevölkerung ganzer Länder zu manipulieren, zu schädigen oder in die Irre zu führen und sich dadurch von unbeabsichtigten Fehlern etwa in journalistischen Nachrichten abgrenzen. Als »Misinformation« werden Informationen bezeichnet, die zwar falsch sind, aber keinen Schaden verursachen sollen. Der eher selten gebrauchte Begriff »Malinformation« schließlich bezieht sich auf Informationen, die zwar der Wahrheit entsprechen, zumindest teilweise, aber so übertrieben sind, dass sie in die Irre führen und Schäden verursachen können.

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Fake News gab es schon vor den sozialen Medien. Trotzdem haben die neuen digitalen Plattformen zu Veränderungen geführt. Welche sind das?

Gezielt gestreute Desinformationen verbreiten sich auf sozialen Medien erheblich schneller, es gibt kaum Qualitätsfilter, basale journalistische Prinzipien wie das »audiatur et altera pars«, also auch die andere Seite zu hören, gerade in einem Konflikt, sind außer Kraft gesetzt. Zudem sind die Quellen kriegsrelevanter Informationen oft nicht nachvollziehbar. Neben klassischen Akteuren im Krieg, also staatlichen, militärischen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Rotes Kreuz oder Roter Halbmond, ermöglichen soziale Medien allen, die Zugang zu mobiler Kommunikation haben, am Kriegsdiskurs teilzunehmen – mit der Folge einer infodemischen Verbreitung propagandistischer, irreführender oder sogar tödlich wirkender Informationen.

Welche Rolle spielt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz?

Der Einsatz von Software, die als Künstliche Intelligenz bezeichnet wird, beschleunigt die Verbreitung von Desinformationen und erschwert das Erkennen des Wahrheitsgehalts einer Information. Zum Beispiel sind KI-Programme, mit denen Videos fabriziert werden, die vorgeben, reale Personen oder Ereignisse zu zeigen, tatsächlich aber gefälscht sind, schon heute verfügbar und von hoher Qualität. In Verbindung mit Systemen der automatisierten Kommunikation, heute zum Beispiel als Chatbots bekannt, können videobasierte Informationsangriffe zukünftig nahezu in Realzeit erfolgen. Konkret: Videos, die reales Geschehen zeigen, werden mit kaum merklicher Verzögerung mit Videos gekontert, die scheinbar Gleiches zeigen, aber im Sinne des Angreifers manipuliert sind.

Welchen Unterschied macht es, ob Fake News von staatlichen, medialen oder zivilgesellschaftlichen Akteur*innen verbreitet werden?

Um bewusst fabrizierte Desinformationen zu entlarven, ist oft ein hoher Rechercheaufwand erforderlich, der im Alltagsleben kaum geleistet werden kann. Die Einschätzung, ob eine Information als wahr oder falsch einzustufen ist, beruht daher nicht zuletzt auf der Vertrauenswürdigkeit einer Informationsquelle. Vertrauen verspielen können dabei nicht nur staatliche Organisationen, sondern ebenso Medien oder zivilgesellschaftliche Akteure, die zuvor als Lügner oder Verbreiter anderer Fehlinformationen entlarvt wurden. Um den Wahrheitsgehalt einer Information über die Bewertung der Vertrauenswürdigkeit einer Organisation einzuschätzen, ist es deshalb sinnvoll zu fragen, welche Interessen ein Informationslieferant im Hinblick auf einen Konflikt verfolgt und wie stark er den Verlauf eines Konfliktes beeinflussen kann – je stärker, desto skeptischer sollten Rezipienten sein.

Welche Möglichkeiten gibt es, Desinformation zu entlarven?

Wer an ernsthafter Aufklärung interessiert ist, sollte bei der Nutzung sozialer Medien besonders skeptisch sein, wenn der Inhalt stark emotionalisiert, einseitige oder außergewöhnliche Behauptungen aufgestellt werden, keine Quellen genannt werden, nicht oder kaum differenziert argumentiert wird, unprofessionelle Logos, Farben, Abstände oder animierte Gifs verwendet werden und Inhalte von unbekannten Accounts oder auf wenig vertrauenswürdigen Plattformen verbreitet werden. Bei Bildmaterial kann eine umgekehrte Bildersuche durchgeführt werden, um zu klären, ob das Material anderweitig kopiert wurde oder aus anderen Kontexten stammt. Weiterhin hilft es, unklare Informationen nicht sofort an den eigenen Bekanntenkreis weiterzuleiten, sondern zunächst nach anderen Quellen zu suchen, die sich mit dem jeweiligen Thema beschäftigen. Umgekehrt müssen Informationen, die aus dem Freundeskreis kommen, keineswegs immer korrekt sein. Diverse Organisationen und Medien bieten zudem im Internet Faktenprüfungen an, die besonders gravierende Falschinformationen nachrecherchieren und richtigstellen.

Was kann getan werden, um die Verbreitung von falschen Informationen zu verhindern?

Um Desinformationen zu verhindern oder zumindest zu reduzieren, sind mehrere Ebenen bedeutsam. Es ist António Guterres, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, zuzustimmen, dass die Bekämpfung von Desinformation dauerhafte Investitionen in den Aufbau gesellschaftlicher Resilienz und eine erweiterte Medien- und Informationskompetenz der Bevölkerung erfordert – angefangen im Kindergarten und in der Schule. Regulatorische Eingriffe des Gesetzgebers, die die Betreiber der Plattformen sozialer Medien deutlich stärker in die Verantwortung nehmen, waren bisher wenig erfolgreich. Die Vereinten Nationen und andere empfehlen deshalb, dass die Plattformen ihre Strategien zur Bekämpfung von Desinformation offenlegen, mehr Transparenz schaffen, Zugang zu relevanten Daten gewähren, ihre Faktenprüfung ausbauen und Desinformation erheblich schneller entfernen oder zumindest als solche kennzeichnen.

Interview

Martin Löffelholz ist Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Journalismus, Kriegs- und Krisenkommunikation, politischer Kommunikation, Organisationskommunikation sowie interkulturellen und internationalen Aspekten. Außerdem ist er als Gutachter, Berater und Dozent in der internationalen (Entwicklungs-)Zusammenarbeit tätig.

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