Linke im Bundestag: Die Scheidung kommt

Die Fraktion löst sich auf – so könnte es jetzt weitergehen

Bald ist sie vollbracht, die endgültige Scheidung zwischen Linksfraktion und Wagenknecht-Flügel. Zum 6. Dezember, also mitten in der Wahlperiode, wird sich die Fraktion auflösen, wie am Dienstagmittag entschieden wurde. Das hat es so noch nie gegeben.

Ganz ähnlich wie beim Ende einer Ehe wird sich auch die Liquidation der Linksfraktion eine ganze Weile hinziehen – und könnte gravierende finanzielle Einbußen bedeuten. Ähnlich wie bei einer Scheidung ist die Stimmung im Keller, doch zu Trauer und Frust über das Ende mischt sich auch ein Gefühl der Erleichterung – der Neuanfang kann endlich kommen.

»Die Liquidation der Linksfraktion macht mich zutiefst traurig«, erklärte der Linksabgeordnete Sören Pellmann am Dienstag. Der Abschied der »einzigen Fraktion, die soziale Gerechtigkeit im Bundestag mit Leben gefüllt hat«, werde ein spürbarer Verlust sein.

Gesundheitspolitikerin Kathrin Vogler betont gegenüber »nd«, der Beschluss sei wohl niemandem leichtgefallen – der Austritt der zehn Abgeordneten des Wagenknecht-Flügels sei aber notwendig, so Vogler. »Jetzt arbeiten wir daran, aus den 28 verbleibenden Mitgliedern eine schlagkräftige parlamentarische Gruppe zu bilden, die die unsoziale Ampel von links kritisiert und sich dem Rechtsruck entgegenstemmt.« Und wie geht es jetzt weiter?

Schritt eins: Liquidation

Dass die Auflösung nicht sofort, sondern Anfang Dezember erfolgt, erlaubt den Fraktionsabgeordneten, ihre Mitgliedschaft in den jeweiligen Ausschüssen zu behalten. Womöglich möchte man die bestehenden Rede- und Ausschussrechte für die kommende Haushaltswoche bewahren. Dazu sollen die Obfrau des Haushaltsausschusses Gesine Lötzsch und Ausschussmitglied Victor Perli im Plenum sprechen.

Für die Abwicklung der Fraktion sind zwei langjährige Mitarbeiter zuständig: Als Liquidatoren wurden Thomas Westphal und Uwe Hobler bestimmt – der vielleicht undankbarste Job im gesamten Parlamentskosmos. Ganze fünf Jahre wickelte der Liquidator Otto Fricke seine ehemalige FDP-Fraktion ab, nachdem sie 2013 aus dem Parlament geflogen war. Was dann folge, erinnere an ein Unternehmen im Insolvenzverfahren, berichtete er der »Welt«. »Alles aus den Fraktionsräumen musste versteigert werden. Die Tische, die Stühle, die Software-Lizenzen.«

Der wohl härteste Teil der Fraktionsauflösung dürfte die Entlassung des Personals sein – zurzeit beschäftigt die Linksfraktion knapp über 100 Mitarbeitende. Aufgrund bestehender Kündigungsfristen wird ihnen voraussichtlich zum März die Stelle gekündigt. Sollten sich aus den Überbleibseln der Fraktion in einigen Wochen oder gar Monaten parlamentarische Gruppen bilden, werden diese nur einen kleinen Teil der Mitarbeitenden beschäftigen können.

Schritt Zwei: die Gruppenbildung

Jetzt werden sich voraussichtlich zwei parlamentarische Gruppen bilden, für eine Fraktion reicht die Zahl der übriggebliebenen Linksabgeordneten nicht aus. Dazu bräuchte es fünf Prozent der Bundestagsabgeordneten; für eine Gruppe reichen schon fünf Parlamentarier aus – doch diese Konstellation geht mit einigen Einschränkungen einher, politischer und finanzieller Natur.

Grundsätzlich könnten die Kernrechte, die auch einer Fraktion zustehen, bewahrt bleiben. Aus der Geschäftsordnung des Bundestages gehen allerdings keine eindeutigen Regelungen zu den Rechten einer Gruppe hervor. Der Bundestag entscheidet, ob sich eine Gruppe bilden darf und welche Rechte ihr zugesprochen werden.

Vorherige Gruppenbildungen, wie etwa die einer Grünen-Gruppe in der zwölften Wahlperiode, könnten aber als Vorbild dienen. Damals beschloss der Bundestag, der Gruppe folgende Rechte zu gewähren:

  • gekürzte Redezeit, entsprechend ihrer Stärke im Verhältnis zu den Fraktionen des Deutschen Bundestages
  • für die parlamentarische Arbeit erforderliche finanzielle, technische und personelle Unterstützung, bestehend aus der Hälfte des Grundbetrages der ursprünglichen Fraktionsförderung, einem Zuschlag entsprechend ihrer Stärke
  • dem Vorsitzenden der Gruppe werden die Rechte zuerkannt, die ein Vorsitzender einer Fraktion besitzt
  • Benennung eines ordentlichen und eines stellvertretenden Mitglieds für jeden Fachausschuss mit Antrags-, Rede- und Stimmrecht
  • das Recht, Gesetzentwürfe, Anträge, Entschließungsanträge sowie Große und Kleine Anfragen einzubringen

Laut Fraktionskreisen ist es möglich, dass Regierungsfraktionen versuchen werden, den Prozess so lange wie möglich herauszuzögern. SPD und Grüne wollen zumindest abwarten, bis Ende November die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu einer etwaigen Wahlwiederholung der vermasselten Berlin-Wahl vorliegt. Sollte die Wahl tatsächlich wiederholt werden müssen, sind zum einen die drei linken Direktmandate und somit die Gruppenbildung an sich in Gefahr, zum anderen könnte dies den Prozess weiter in die Länge ziehen.

Bis dahin sitzen die 38 Abgeordneten als Fraktionslose im Bundestag – mit massiv eingeschränkten Rechten. Ihr Stimmrecht im Plenum behalten sie, auch dürfen sie in mindestens einem Ausschuss mitarbeiten und haben somit auch Rede- und Antragsrecht. Das Stimmrecht steht ihnen in den Ausschüssen allerdings nicht zu.

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