Klimaklatsche nach BVerfG-Urteil: So geht’s jetzt weiter

Karlsruhe-Beschluss zum Sondervermögen Klima der Ampel könnte weitreichende Folgen haben

Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro waren eigentlich fest für Klimaschutzmaßnahmen eingeplant – das Geld stammt aus einem Coronakrisentopf, der als Ausnahme zur Schuldenbremse beschlossen wurde. Die CDU machte der Ampel einen Strich durch die Rechnung und klagte gegen die Umschichtung der Mittel. Pünktlich zur Haushaltswoche im Bundestag gab das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Konservativen Recht.

Das Gericht argumentierte, der Nachtragshaushalt verstoße gegen die Ausnahmeregel der Schuldenbremse, die 2009 im Grundgesetz verankert wurde. Die Ampel-Regierung habe unzureichend begründet, was die Coronakrise, also der Grund für die in Notlagen erlaubte Kreditaufnahme, und die Klimaprogramme miteinander zu tun hätten. Außerdem könne man in Notlagen aufgenommene Kredite nicht einfach weiternutzen, ohne dass sie auf die Schuldenbremse angerechnet würden. Und zuletzt: Der Beschluss sei zu spät gekommen. Ein Nachtragshaushalt müsse vor Jahresende beschlossen werden.

Ein bitterer Schlag für die Ampel-Parteien, der den Grundsatz der Schuldenbremse neu infrage stellt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Lindner und dessen FDP wollen an ihr festhalten, während die Grünen und auch die SPD als Partei immer wieder eine Reform der Regel fordern.

Auch die Linksfraktion macht ihre grundlegende Kritik an dem Sparprinzip klar. »Diese finanzpolitischen Verrenkungen waren nur nötig, weil Union, SPD, Grüne und FDP die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben und damit Investitionen ausgebremst haben,« so Linke-Chefin Janine Wissler. Es werde Zeit, diesen Fehler zu beheben. »Die Schuldenbremse verhindert Investitionen in den klimagerechten Umbau der Gesellschaft.«

In erster Konsequenz aus dem Debakel haben die Haushälter des Bundestages nun beschlossen, den finalen Ausschuss-Beschluss des Etats für 2024 um eine Woche zu verschieben – aufgrund der entstandenen Lücke von 60 Milliarden Euro im Klimasondervermögen. »Wir können angesichts des Urteils nicht business as usual machen, so wie es die Ampel tut«, betonte Unions-Haushälter Christian Haase. Die Verschiebung sei zwingend geboten. Der Beschluss über den Etat im Ausschuss soll dann am kommenden Donnerstag in einer digitalen Sondersitzung fallen.

Über den Fortgang der Haushaltswoche hinaus sind einige Fragen offen: Fallen die 60 Milliarden jetzt einfach weg? Was bedeutet die Entscheidung für die Klimaschutzprojekte, die eigentlich gefördert werden sollten?

Welche Maßnahmen sind betroffen?

Der Klima- und Transformationsfonds (KTS), einer der vielen Sondertöpfe neben dem Haushalt, beinhaltet Programme für mehr Klimaschutz, für die Ansiedlung von Zukunftstechnologien und die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Bürger und Unternehmen werden aus dem Fonds bei den Strompreisen entlastet. Es gibt eine Kaufprämie für Elektroautos. Weitere Mittel fließen in die Wasserstoffwirtschaft und den Ausbau von Schienenwegen.

Auch staatliche Fördergelder für die Ansiedlung großer Halbleiter-Fabriken wie die des US-Chipherstellers Intel in Magdeburg kommen aus dem KTF. Ebenso wird Forschung zu klimaneutralem Fliegen und klimafreundlicher Schifffahrt gefördert.

Was passiert mit den Mitteln?

Die 60 Milliarden Euro waren im KTF bereits fest verplant – und sind jetzt nicht mehr da. Nach dem Urteil löschte Finanzminister Christian Lindner die Kreditermächtigungen, also die Erlaubnis, die Kredite aufzunehmen. Ganz leer ist der Topf aber nicht, wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher am Mittwoch auf »X« betonte. Deshalb werde die Entscheidung nicht unmittelbar zu Problemen führen.

Jetzt will die Regierung erst einmal Prioritäten setzen: Auf jeden Fall sollen im kommenden Jahr die Fördermittel für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen gezahlt werden. Auch die geplanten Förderprogramme für klimafreundlichen Neubau und die Wohneigentumsförderung für Familien seien nicht vom Stopp betroffen, betonte Bauministerin Klara Geywitz.

Ab 2025 könnten einige der Klimaschutzprogramme zumindest in Teilen wegfallen. Bis 2027 waren im KTF eigentlich Programmausgaben von mindestens 211,8 Milliarden Euro geplant.

Das Ende der Schuldentrickserei?

Bisher galten die Sondervermögen als Allzwecktrick der Bundesregierung, um der strikten Schuldenbremse zu entkommen und so mit zusätzlichen Mitteln zu haushalten. Ob das Verfassungsgerichtsurteil noch weitreichendere Folgen für die Haushaltspolitik der Ampel – konkret den Umgang mit schuldenfinanzierten Sondervermögen – haben könnte, wird aktuell vom Gericht geprüft.

Aus seinem Beschluss geht etwa hervor, dass die Sondervermögen grundsätzlich das Prinzip der Jährlichkeit einhalten müssten. Demnach dürften Ermächtigungen nur bis zum Ende des Haushaltsjahres in Anspruch genommen werden. Dieses und weitere Kriterien könnten einige der Sondervermögen, etwa die der Länder, nicht einhalten und sind somit ebenfalls gefährdet, als verfassungswidrig erklärt zu werden. Alleine ein Gericht kann darüber entscheiden.

Der Bund unterhält aktuell 29 Sondervermögen mit Verschuldungsmöglichkeiten in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro. Die Union sieht zumindest das 200 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Energiepreisbremsen von einer Ausweitung des Beschlusses betroffen.

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