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Unter Kretas blauem Himmel liegen schmerzhafte Erinnerungen

Reisen und gedenken: Eine alternative Route über die so beliebte griechische Insel erinnert an die Schrecken der deutschen Wehrmacht

  • John Malamatinas
  • Lesedauer: 6 Min.
In einem Nebenraum der Kirche von Kandanos erinnert der Kulturverein an die 180 Toten des Wehrmachtsmassakers vom 3. Juni 1941.
In einem Nebenraum der Kirche von Kandanos erinnert der Kulturverein an die 180 Toten des Wehrmachtsmassakers vom 3. Juni 1941.

Wenn im Fernsehen beim »Familien-Duell« 100 deutsche Touristen nach den Top-8 Gründen befragt werden würden, warum sie die Insel Kreta lieben, würden die Antworten vermutlich Sonne, Strand, türkisblaues Meer, Tavernen, gegrillter Oktopus, Raki, Wein und Gastfreundschaft lauten. Manche könnten noch den minoischen Palast bei Knossos mit seinem Delphin-Fresko erwähnen. Viele Deutsche assoziieren nur Idylle mit der so beliebten Ferieninsel.

Wenige wollen etwas mit dem dunklen Teil der Inselgeschichte zu tun haben – obwohl der ein oder andere Vorfahre vielleicht daran teilgenommen hat: die Schlacht um Kreta im Sommer 1941 und die daran anschließende deutsche Besatzungszeit bis 1945. Doch wer die vorgeplanten TUI-Routen (vom Hotel zum Strand und zurück) verlässt, kommt dieser düsteren Ära schnell auf die Spur und entdeckt, wie sehr diese Zeit in das Gedächtnis der Insel eingebrannt ist.

Tipps
  • Kondomari: Zum Besuch des Denkmals den Kulturverein kontaktieren: sillogoskontomari@gmail.com.
    Website auf Griechisch: www.politistikoskontomari.gr
  • Zusatz: Sehenswert ist auch die Synagoge in Chania. Nach der Auslöschung durch die Deutschen hat eine winzige Gemeinde die jahrhundertealte Synagoge wiederaufgebaut.
    www.etz-hayyim-hania.org

Die alternative Rundreise über die Insel beginnt beim Deutschen Soldatenfriedhof in Maleme bei Chania, der zweitgrößten Stadt der Insel. Der Friedhof liegt auf dem Hügel 107, dessen Eroberung durch die deutschen Fallschirmjäger 1941 schlachtentscheidend war. Vor Betreten der Grabanlage lohnt es sich, die erst 2021 eröffnete Ausstellung anzuschauen. Sie ist der Versuch des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge, nach viel Kritik seiner historischen Verantwortung gerecht zu werden. Ein Blick in das Gästebuch offenbart unterschiedliche Reaktionen beim Publikum: Einige finden es gut, dass die deutschen Kriegsverbrechen thematisiert werden. Andere beklagen, die Verbrechen würden fälschlich lediglich als Ergebnis des Widerstands der griechischen Bevölkerung dargestellt.

Beim Begehen der Grabanlage beeindrucken der gepflegte Eindruck und vor allem der Blick über die Bucht aufs Meer. Der Friedhof wurde in den 70er Jahren unter Mitarbeit von Kameradenverbänden wie etwa dem Bund Deutscher Fallschirmjäger errichtet und 1974 eröffnet. Die deutsche Diplomatie machte sich damals berechtigte Sorgen – dies belegen Akten im Archiv des Auswärtigen Amtes –, dass diese Mitarbeit für Negativschlagzeilen sorgen könnte. Nicht zu Unrecht: So wurden 1970 bei einem der Gedenkbesuche doch tatsächlich Grußworte von Kurt Student, ehemals Luftwaffen-General der Wehrmacht, verlesen. Die Empörung war groß; Student war der Hauptverantwortliche für die Gräueltaten auf Kreta, aber in der Bundesrepublik nach Verbüßung einer dreijährigen Haftstrafe zum Präsident des Bundes Deutscher Fallschirmjäger gewählt worden.

Auf dem Weg von Maleme zurück nach Chania bietet sich ein Zwischenstopp an der alten Hauptstraße an. Gegenüber einer Tankstelle befindet sich eine zunächst unscheinbare steinerne Treppe, die zwischen Häusern auf ein verstecktes Denkmal führt. Die Aufschrift lautet »Zur Erinnerung an die im Jahre 1941 hier gefallenen deutschen Fallschirmjäger.« Darüber ist ein eisernes Kreuz. Auf einer Plakette steht »Euch Toten gehört der Dank, die ihr fern der Heimat getreu eurem Fahneneid das Leben gabet unserem Großdeutschland«. Über dem Denkmal thronte früher ein großer Adler – das Symbol der Fallschirmjäger. Die Einheimischen nannten den Adler den »bösen Vogel«.

Mittlerweile ist der Adler weg, die Plakette beschädigt und das Denkmal mit Farbe beschmiert. Das Denkmal befindet sich auf einem Privatgrundstück und der Streit um seine Zukunft dauert bis heute an. Ab und zu besuchen es Nazi-Nostalgiker*innen und ab und an auch Bundeswehr-Soldat*innen. Vor Kurzem wurde die Plakette von Unbekannten über Nacht neu angebracht, nur um von griechischen Antifaschist*innen am nächsten Tag wieder zerstört zu werden.

Im Wissen um diese Dinge macht man sich auf den Weg zu den Ortschaften, die schwer unter der grausamen deutschen Besatzung litten. Bereits am 31. Mai 1941 erließ Student den Befehl über Vergeltungsmaßnahmen gegen die griechische Bevölkerung: »Es kommt nun darauf an, alle Maßnahmen mit größter Beschleunigung durchzuführen, unter Beiseitelassung aller Formalien und unter bewusster Ausschaltung von besonderen Gerichten. Bei der ganzen Sachlage ist dies Sache der Truppe und nicht von ordentlichen Gerichten. Sie kommen für Bestien und Mörder nicht in Frage.«

Giannis Vasilakis zeigt Besuchern die Partisanen-Verstecke im Aravanes-Wald.
Giannis Vasilakis zeigt Besuchern die Partisanen-Verstecke im Aravanes-Wald.

Das erste Massaker, bei dem 23 Zivilisten hingerichtet wurden, fand am 2. Juni 1941 in der Ortschaft Kondomari statt. Kondomari ist ein verschlafenes Örtchen, in dem die Hunde aufmerksam jedes vorbeifahrende Auto anbellen. In der Mitte des Dorfes, in der Nähe der Kirche, befindet sich das Denkmal in Gedenken an die Ermordeten. Dort warten Mitglieder des örtlichen Kulturvereins, die erzählen, dass genau an dieser Stelle auch die Hinrichtung passiert sei.

Das Massaker von Kondomari wurde von Franz-Peter Weixler, der als Kriegsberichterstatter in der Propagandaabteilung der Wehrmacht diente, mit seiner Kamera festgehalten. Weixler wurde wenig später aus der Armee entlassen und wegen Hochverrats angeklagt, weil er einigen Kretern zur Flucht verholfen und einige der in Kondomari aufgenommenen Fotos veröffentlicht hatte. Unmittelbar nach dem Krieg sagte er im Nürnberger Prozess als Zeuge der Anklage gegen Hermann Göring aus und besuchte 1955 das Märtyrerdorf, wo er von den Bewohnern empfangen wurde. Weixlers Fotomaterial blieb bis 1980 im Bundesarchiv vergraben, bis es von griechischen Journalisten entdeckt und mit dem Massaker von Kondomari in Verbindung gebracht wurde.

Der Kulturverein hat mittlerweile einen Raum neben der Kirche und versucht, ihn zu einem Veranstaltungs- und Schulungsraum umzuwandeln. 2022 wurde erstmals ein Fest des Gedenkens veranstaltet, wie Antonis Akrotirianakis vom Kulturverein sagt: »Als wir klein waren, haben die Älteren nie Details erzählt von dem, was passiert ist. Wir versuchen, die Erinnerung wachzuhalten«. All das geschieht ohne große staatliche Mittel.

Etwa 50 Kilometer weiter Richtung Süden befindet sich die Ortschaft Kandanos. Wie Kakopetros oder Floria wütete auch hier die deutsche Wehrmacht mit mörderischer Unnachgiebigkeit. Der Dorfplatz von Kandanos sieht an einem Sonntag mit seinen Tavernen und Cafés am zentralen Platz fröhlich und belebt aus. In der Mitte befindet sich das Denkmal, das an die Ermordung der 180 Einwohner*innen und die komplette Zerstörung des Dorfes am 3. Juni 1941 erinnert. Daneben hängt als Mahnung auch die eine Kopie der Texttafel der deutschen Besatzer: »Hier stand KANDANOS. Es wurde zerstört als Sühne für die Ermordung von 25 deutschen Soldaten.«

Die originale Tafel kann man im Kulturzentrum von Kandanos besichtigten. In der Ausstellung entdeckt man einige Artefakte – wie etwa Helme oder Waffen der Deutschen – aus der Zeit. Giannis Fiotakis, ehemaliger Vizebürgermeister, führt durch die Ausstellung. In den 1960er Jahren seien deutsche Helfer der Aktion Sühnezeichen gekommen: »Sie errichteten die Wasserzufuhr des Dorfes.« Beim anschließenden Raki drehen sich die Gespräche um den neuen Vorsitzenden der Linkspartei Syriza, Stefanos Kasselakis, »einem Millionär aus Miami« und dem Zustand Griechenlands nach der Finanzkrise.

Die deutschen Soldaten konzentrierten sich während der Besatzung vor allem auf die Städte Kretas. Die Besuche bei den Dörfern dienten der Plünderung und den Vergeltungsmaßnahmen gegen die Partisanen. Jene versteckten sich in den Bergen und Hügeln Kretas. Das Psiloritis-Massiv ist mit 2456 Metern die höchste Erhebung Kretas. Am nordwestlichen Fuß befindet sich inmitten des saftig-grünen Aravanes-Waldes die kleine Kapelle des Heiligen Georgios. Man findet sie am besten mit einem einheimischen Führer wie etwa Giannis Vasilakis. Beim Passieren friedlicher Schafherden auf dem Feldweg erzählt Vassilakis von der Zeit, als die Deutschen den Kampf in den Bergen scheuten: »Sie kamen nur einmal hierher und entdeckten schnell, dass sie in Unterzahl sind. Hier war eine Oase für die Partisanen, denn es gab in der Nähe eine Quelle, Schutz durch den Wald und gute Aussicht auf den ankommenden Feind.«

Abends in der Nähe von Rethymno erzählt ein Tavernenbesitzer, er finde, dass auch einigen Einheimischen »der Besuch dieser Orte guttun« würde. Er erinnert an einen der großen Söhne der Insel, geboren 1883 in der Iraklio (heute Heraklion): Nikos Kazantzakis, Jurist, Staatsrechtler, Schriftsteller. 1945 wurde Kazantzakis von der griechischen Regierung beauftragt, die Kriegsverbrechen auf Kreta zu untersuchen. 1946 erschien sein berühmtester Roman: Alexis Sorbas. Den kennen wiederum viele Deutsche.

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