Mögliche Fußgängerzone: Déjà-vu an der Friedrichstraße in Berlin

CDU kritisiert mögliche Fußgängerzone am Ende der Friedrichstraße

Wo Beton auf Blech trifft: Im südlichen Abschnitt der Friedrichstraße könnte eine Fußgängerzone entstehen.
Wo Beton auf Blech trifft: Im südlichen Abschnitt der Friedrichstraße könnte eine Fußgängerzone entstehen.

Kommt die Fußgängerzone in der Friedrichstraße doch noch? Eigentlich hatte Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) das Experiment einer autofreien Zone an der zentralen Einkaufsstraße beendet und den Bereich wieder für den Verkehr freigegeben. Vorangegangen war ein jahrelanger Streit: Amtsvorgängerin Bettina Jarasch (Grüne) hatte die Friedrichstraße für den Autoverkehr gesperrt und Sitzmöbel aufgestellt, Anwohner und CDU hatten protestiert. Jetzt könnte eine Fußgängerzone doch wieder Thema werden – allerdings an anderer Stelle. Statt um den Abschnitt zwischen Leipziger Straße und Französische Straße geht es nun um eine Sperrung am südlichen Ende der Friedrichstraße.

Die Idee wird in einem Dossier des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, zu dem die Friedrichstraße in diesem Straßenabschnitt gehört, vorgeschlagen. Unter dem Titel »Xhain beruhigt sich« werden dort Ideen für verschiedene Verkehrsberuhigungsmaßnahmen diskutiert. Neben Einbahnstraßen und neuen Zebrastreifen findet sich der mögliche neue Anlauf für eine Sperrung der Friedrichstraße in dem Abschnitt zur westlichen Friedrichstadt. Weitere Fußgängerzonen sieht das Konzept unter anderem am Paul-Linke-Ufer und an der Reichenberger Straße vor.

Die Friedrichstraße hat in diesem Bereich nur wenig mit dem prominenten Streckenabschnitt in Mitte zu tun. Die Straße ist hier von Wohnbebauung und wenigen Bürogebäuden geprägt. Unter anderem die Tageszeitung »Taz« und die albanische Botschaft haben hier ihren Sitz. Gewerbe gibt es im Gegensatz zum nördlichen Straßenabschnitt nur wenig. Statt der Galeries Lafayette wirbt hier ein Kik um Kunden, statt nobler Restaurants gibt es hier schlichte Imbisse. Am Ende der Friedrichstraße existiert bereits eine Fußgängerzone, die fließend in den ebenfalls autofreien Mehringplatz übergeht.

»Mit einer Fußgänger*innen-Zone vom Theodor-Wolff-Park bis zum Besselpark kann eine ruhige Verbindung zwischen zwei Grünflächen entstehen«, heißt es auf der Webseite von »Xhain beruhigt sich«. »So kann in diesem hochverdichteten Bezirksgebiet der dringend benötigte öffentliche Raum von den Anwohner*innen besser genutzt werden.«

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Wie auch schon die Sperrung im nördlichen Bereich der Friedrichstraße kommt die Idee nicht bei allen gut an. In einem Einwurfzettel für Anwohner warnen die CDU-Abgeordneten Timur Husein und Kurt Wansner vor der »Sperrzone« in der Friedrichstraße. »Verkehrsstadträtin Annika Gerold (Grüne) macht die Friedrichstraße dicht«, heißt es in dem Schreiben. »Ohne die Bürger vorher zu fragen! Ohne Bürgerbeteiligung!«

Für den CDU-Abgeordneten Kurt Wansner sind die angedachten Maßnahmen Ausdruck des »Autohasser-Syndroms des Bezirksamts«, wie er »nd« sagt. »Ich will hier keine Dorfidylle.« Rund um diesen Teil der Friedrichstraße gebe es eine konzentrierte Wohnbebauung und damit auch einen großen Bedarf an Parkplätzen. Von einer Fußgängerzone würde nach vergangenen Erfahrungen vor allem die Gastronomie profitieren, während andere Geschäfte litten. »Wir wollen hier keine weiteren Gewerbetreibenden verlieren«, sagt Wansner. Bei einer Veranstaltung der zwei Abgeordneten habe es vonseiten der Anwohner eine große Ablehnung des Vorhabens gegeben. Einige, vor allem jüngere und mobilere Anwohner hätten sich aber auch von der Idee angetan gezeigt, sagt Wansner.

Wann und ob die Fußgängerzone überhaupt kommt, ist aber noch unsicher. Bei den auf der Webseite dargestellten Maßnahmen handele es sich um ein »erstes Gesamtkonzept«, heißt es in einer Antwort der Pressestelle des Bezirksamts auf eine nd-Anfrage. »Vor der Umsetzung müssen noch mehrere Schritte gegangen werden.« Dazu gehöre auch die Beteiligung der Anwohner. Die mögliche Fußgängerzone sei eine mittelfristige Maßnahme, die erst nach anderen, weniger invasiven Maßnahmen ergriffen werden soll. Ob der autofreie Bereich Fußgängern vorbehalten oder auch für Radfahrer nutzbar sein soll, sei noch nicht entschieden worden, ebensowenig gebe es einen Zeitplan.

Also alles nur ein Sturm im Wasserglas? Daran glaubt Wansner nicht. »Wir kennen das Muster schon von anderen Verkehrsplanungsverfahren im Bezirk«, sagt er. »Man lässt einen Testluftballon steigen und guckt, wie die Stimmung ist. Wenn sich nicht genügend Widerstand zeigt, schafft man Tatsachen.« So sei es bei der Verkehrsberuhigung im Graefekiez abgelaufen, wo sich viele Anwohner von den Beteiligungsmaßnahmen des Bezirks nicht abgeholt gefühlt hätten.

Dabei lehnt Wansner Verkehrsberuhigung in dem Bereich nicht grundsätzlich ab. An diesem Teil der Friedrichstraße gebe es etwa auch eine Schule, vor der zusätzliche Fußgängerübergänge geschaffen werden müssten. Es sei durchaus angemessen zu diskutieren, wie die von einer eher schwierigen sozialen Lage bestimmte Gegend belebt werden könnte. »Es gibt da viele Dinge, über die man reden kann«, sagt Wansner. »Aber das muss gemeinsam mit den Anwohnern geschehen.«

Die Senatsverkehrsverwaltung teilt auf Anfrage mit, dass aktuell noch keine konkrete Planung für den Bereich vorläge. Stellung will man zu dem Vorschlag vorerst nicht nehmen. »Analog zu anderen Maßnahmen mit möglichen Auswirkungen auf das übergeordnete Straßennetz wäre auch hier zunächst eine Auswirkungsanalyse nötig, um eine fundierte Einschätzung abgeben zu können«, teilt eine Sprecherin mit.

Am Ende könnte das Vorhaben aber nicht an dem Für und Wider einer Fußgängerzone in diesem Bereich scheitern – sondern am schnöden Mammon. »Aufgrund begrenzter personeller Ressourcen liegt der Schwerpunkt derzeit auf der Fortsetzung begonnener Projekte«, teilt das Bezirksamt mit. Zurzeit konzentriere man sich auf den Ostkreuzkiez, wo es schon konkretere Planungen gibt, um den Verkehr zu beruhigen. Die südliche Friedrichstraße genießt offenbar eine niedrigere Priorität. Weiter heißt es: »Eine schnellere Bearbeitung kann nur erfolgen, wenn mehr Personal zur Verfügung steht und die Finanzierung gesichert ist« – darauf deutet zurzeit angesichts der Finanzkrise der Bezirke wenig hin. Bis es zur zweiten Runde im Autokampf um die Friedrichstraße kommt, kann also noch ein wenig Zeit vergehen.

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