Aids: Communitys sollen vorangehen

In Osteuropa breiten sich HIV/Aids stark aus. Hilfe ist besonders in der Ukraine schwierig

Zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember warnen Experten insbesondere vor einer neuerlichen Ausbreitung der Krankheit in Osteuropa. Hier steige die Rate der Neuinfektionen weiter an, warnte unter anderem der Infektiologe Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Zu den besonders betroffenen Ländern gehört neben Russland mit 38,4 Infektionen je 100 000 Einwohner auch die Ukraine mit 29,8 Infektionen auf diese Einwohnerzahl. Zum Vergleich: In West- und Zentraleuropa waren die Infektionsraten in den vergangenen Jahren stets unter 10 geblieben, während Osteuropa im Durchschnitt 30,7 Infektionen je 100 000 Einwohner verzeichnete. Dennoch handelt es sich auch bei diesem Wert um ein Zehnjahrestief.

Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in fast allen EU-Staaten, einschließlich der östlichen, ein Anstieg von HIV-Diagnosen registriert wurde, teils mit Rekordwerten. Experten vom Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten nennen vor allem die Einwanderung von Menschen aus Krisengebieten als Grund für die Anstieg in West- und Zentraleuropa.

Genau auf dieses Problemfeld ausgerichtet war eine Veranstaltung von UN-Aids am Donnerstag in Berlin. Hier wurde der aktuelle Bericht der UN-Organisation zum Welt-Aids-Tag vorgestellt. Er steht unter dem Motto »Let Communities Lead«, auf deutsch in etwa: Lasst die Gemeinschaften führen. Gemeint sind HIV- und Aids-Betroffene mit ihren Organisationen und Hilfsangeboten, die Gemeinschaften bilden und in Gruppen ausstrahlen, die besonders vulnerabel gegenüber Ansteckungen sind; darunter Männer, die Sex mit Männern haben, Sexarbeiter oder Menschen, die Drogen intravenös konsumieren.

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Das Motto, das den Communitys eine führende Rolle zuschreibt, so Peter Wiessner vom Aktionsbündnis gegen Aids, wird vermutlich nicht überall auf Gegenliebe stoßen. Denn Menschen mit HIV oder Aids werden als Gruppen gesehen, die wahlweise Hilfe, Führung, Bildung oder auch Strafe bräuchten. Letzteres treffe aktuell etwa auf Ungarn, Polen, Russland oder Uganda zu.

UN-Aids ist nach dem diesjährigen Report jedoch davon überzeugt, dass das große Ziel, Aids als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis 2030 zu besiegen, mit Hilfe der Communitys erreicht werden kann. Die UN insgesamt haben das mit dem sogenannten 95-95-95-Ziel unterlegt. Das bedeutet, dass 95 Prozent aller HIV-Infizierten von ihrer Infektion wissen, 95 Prozent davon die lebensrettende antiretrovirale Therapie erhalten und dass bei 95 Prozent von diesen keine Virenlast mehr nachgewiesen werden kann. Die Gemeinschaften bräuchten bei der Arbeit für dieses Ziel jedoch die volle Unterstützung der Regierungen und anderer Geldgeber, so der Bericht.

»Die Communitys werden von den Entscheidern als Problem behandelt, das gemanagt werden muss, anstatt sie als Führende anzuerkennen und zu unterstützen. Die Gemeinschaften stehen nicht im Weg, sie erhellen den Weg, der zum Ende von Aids führt«, erklärte etwa Winnie Byanyima, geschäftsführende Direktorin von UN-Aids. Ihre Stellvertreterin, Christine Stegling, war auf der Berliner Veranstaltung anwesend und ergänzt, was die Möglichkeiten der Communitys betrifft: »Sie erinnern die Regierungen an ihre Verantwortung, sie können die notwendigen Gesetze erstreiten.«

Neben Stegling weist auch der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf die Rolle des Ukraine-Notfall-Fonds der Bundesregierung hin. Diese Hilfen würden vor Ort sehr geschätzt, erklärten in Berlin unter anderem Alisa Podolyak von der Botschaft der Ukraine in der Bundesrepublik, und Valeriia Rachinska. Letzte sprach für die Organisation »100 Percent Life Ukraine«. Dieses Netzwerk existiert seit 2001 und arbeitet insbesondere für die Interessen von Menschen in der Ukraine, die mit HIV leben (geschätzt etwa 90 000 Personen), aber auch für Patientinnen und Patienten darüber hinaus. Rachinska schildert eindringlich, wie schwierig es gegenwärtig in der Ukraine ist, angesichts von Stromausfällen, der Zerstörung der Infrastruktur einschließlich des Gesundheitswesens und des Mangels an Schutzräumen oder Nahrungsmitteln dennoch für marginalisierte Menschen, wie eben jene mit HIV oder auch für Drogenabhängige, weiter Unterstützung zu organisieren.

Diese Kriegsrealität ist einerseits in Deutschland schwer vorstellbar, andererseits fanden Flüchtlinge aus der Ukraine zum Beispiel in der Berliner Community rund um die Aids-Hilfe viel Unterstützung. Sie konnten hier nicht nur die nötigen Möglichkeiten medizinischer Behandlung nutzen. Es gelang ihnen auch, in kurzer Zeit selbstständig Strukturen aufzubauen, um ebenfalls HIV-Betroffene zu unterstützen.

Obwohl Deutschland mit relative niedrigen Ansteckungsraten und einem breiten Wissen zu Aids und HIV insbesondere in vielen gefährdeten Gruppen recht gut dasteht, bleiben Stigmatisierung und Diskriminierung der Betroffenen alltäglich. Auch deshalb sucht etwa die Deutsche Aidshilfe mit ihrer Kampagne »Ich bin dran!« Verbündete, die sich schon gegen Ungleichbehandlung einsetzten.

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