Feministischer Streik: Nicht nur bessere Arbeitsbedingungen

Baskische Gewerkschaften kämpfen mit einem feministischen Generalstreik für die Vergesellschaftung des Care-Sektors

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 4 Min.
Baskenland: Feministischer Streik: Nicht nur bessere Arbeitsbedingungen

Das Ergebnis des »Feministischen Generalstreiks« im Baskenland vergangene Woche kann sich sehen lassen: Im Rundfunk wurden nur Notprogramme ausgestrahlt, Bahnen und Busse blieben in den Depots, und in zahlreichen Ortschaften war neben Schulen und Verwaltung auch der Einzelhandel geschlossen. Selbst in der metallverarbeitenden Industrie, der Domäne männlicher Beschäftigung, mussten ein Dutzend Fabriken ihre Produktion komplett herunterfahren. Zentrale Forderungen des Generalstreiks waren der Aufbau eines öffentlich-gemeinwohlorientierten Care-Sektors, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften, die Anhebung von Renten sowie die Einführung einer 30-Stunden-Woche, mit der eine Umverteilung der Sorge- und Pflegearbeit zwischen den Geschlechtern angestoßen werden soll.

Dabei war die Mobilisierung für den Generalstreik alles andere als einfach. Die spanischen Gewerkschaften UGT und Comisiones Obreras (die im Baskenland allerdings schwächer sind als die baskischen Dachverbände ELA und LAB) hatten gar nicht erst aufgerufen. Und viele Beschäftigte teilten zwar die Ziele des Streiks, aber wussten mit dem Begriff des feministischen Generalstreiks nichts anzufangen.

»Es war ein zutiefst politischer Streik«, resümiert Elena Beloki von der linken Parteienstiftung Iratzar. »Nicht nur die Arbeitsbedingungen im Pflegesektor, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt wurden thematisiert. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Care-Arbeit ein Querschnittsthema ist. Wenn wir die Ausbeutung von Pflegekräften beenden wollen, kommen wir sofort auf die Migrationspolitik zu sprechen. Denn Frauen, die keine Aufenthaltspapiere haben, müssen für niedrigste Löhne arbeiten.«

Dass der Care-Bereich – also vor allem die Alten- und Krankenpflege sowie die Kinderbetreuung – im Baskenland in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte gerückt ist, hat nicht zuletzt mit Corona zu tun. Während der Pandemie wurde deutlich, welche Arbeiten gesellschaftlich unverzichtbar sind: nämlich die schlecht bezahlten und überwiegend von Frauen geleisteten Pflege- und Sorgearbeiten. Dazu kommt außerdem, dass die baskische Gesellschaft an Überalterung leidet. Ein wachsender Teil der Bevölkerung benötigt Pflege, gleichzeitig sind die Bedingungen in den meisten Altenheimen katastrophal.

Ein Hauptanliegen des Generalstreiks war deshalb der Aufbau eines nicht profitorientierten, öffentlichen Pflegesystems. »Wir haben als feministische Bewegung dabei nicht einfach die Verstaatlichung des Care-Sektors gefordert, sondern sprechen von öffentlich-gemeinschaftlichen Infrastrukturen«, erklärt Beloki. »Der Staat muss die Mittel für die Grundversorgung bereitstellen. Die Einrichtungen selbst sollten jedoch genossen- oder gemeinschaftlich getragen werden. Und Care muss auch in Nachbarschaften und Freundeskreisen organisiert werden.« In einigen links regierten baskischen Gemeinden wird damit schon seit einigen Jahren experimentiert: Kommunalverwaltungen nehmen keine Pflegekonzerne unter Vertrag, sondern unterstützen die Gründung von Genossenschaften durch Pflegekräfte oder fördern nachbarschaftliche Strukturen zum Beispiel durch alternative Formen des Wohnungsbaus.

Der Anstoß für den Generalstreik ging nicht von den Gewerkschaften, sondern von einem feministischen Bündnis namens »Denon Bizitzak Erdigunean« aus. Hinter dem unscheinbaren Motto »Das Leben von uns allen in den Mittelpunkt stellen« versteckt sich eine dezidierte Kapitalismuskritik. Ausgangspunkt des Bündnisses war die These, dass in einer profitorientierten Ökonomie die menschlichen Grundbedürfnisse auf der Strecke bleiben und Lebensgrundlagen systematisch zerstört werden.

Ganz ähnlich wie die feministischen Streiks, die seit einigen Jahren am 8. März stattfinden, sollte auch der baskische Generalstreik für eine Aufwertung der reproduktiven Arbeit sorgen und damit eine grundlegende gesellschaftliche Transformation anschieben. Anders als bei den Frauenstreiks der Vergangenheit wollte der feministische Generalstreik aber auch die männlich dominierten Industriebelegschaften mobilisieren. In der Vergangenheit hatte sich die feministische Bewegung im spanischen Staat mehrmals gegen diesen Ansatz entschieden, weil man befürchtete, dass die gemischtgeschlechtlichen Gewerkschaften die Mobilisierung für sich instrumentalisieren könnten.

Vor diesem Hintergrund wurde im Baskenland jetzt vereinbart, dass das feministische Organisationsbündnis federführend bleibt. Zugleich appellierten die Gewerkschaften aber an den Feminismus der Männer. Jede und jeder werde irgendwann im Leben gepflegt und besitze deshalb ein Interesse an einem radikalen Umbau des Care-Sektors, so die gewerkschaftliche Argumentation. Zudem wurde zu Solidarität aufgerufen: Gut bezahlte, meist männliche Industriebelegschaften sollten auch deshalb streiken, weil schlecht bezahlte, meist weibliche Pflegekräfte ihre Arbeit oft gar nicht niederlegen können.

In diesem Sinne habe der Generalstreik auch sehr konkrete Ziele verfolgt, betont Amaia Zubieta, eine der Sprecherinnen des Organisationsbündnisses. »Ein Generalstreik ist kein Selbstzweck.« Geplant sind jetzt Verhandlungen mit den Autonomieregierungen der baskischen Gemeinschaft und in der nordspanischen Region Navarra. »Die Arbeitsbedingungen für viele Frauen sind untragbar. Das muss gesetzlich reguliert werden, damit diese Art extremer Ausbeutung ein Ende hat«, so Zubieta.

Die in der baskischen Autonomiegemeinschaft regierende Christdemokratie hat auf den Druck der Straße bereits reagiert. Obwohl die Baskisch-Nationalistische Partei in den vergangenen Jahrzehnten die Privatisierung der öffentlichen Grundversorgung massiv vorangetrieben hat, erklärte der scheidende Ministerpräsident Iñigo Urkullu nach dem Streik, seine Regierung sei einem »staatlich gelenkten öffentlichen und gemeinschaftlichen Pflege- und Sorgesystem« verpflichtet. In Anbetracht der im Frühjahr anstehenden Wahlen will die politische Rechte zumindest rhetorisch keine Angriffsfläche bieten.

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