Guterres fordert sofortigen humanitären Waffenstillstand

Israelische Armee meldet Einkesselung von Khan Junis und die Umzingelung des Hauses des Hamas-Chefs

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.

Israels Armee hat Khan Junis, die größte Stadt im Süden des Gazastreifens, nach eigenen Angaben eingekesselt und das Haus des Kommandeurs der islamistischen Hamas im Gazastreifen umstellt. Jahja Al-Sinwar könne fliehen, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, »aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn finden«. Khan Junis gilt aus Sicht Israels als Hochburg der Hamas.

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben indessen im UN-Sicherheitsrat einen neuen Resolutionsentwurf mit der Forderung nach einem Waffenstillstand vorgelegt. »Die Vereinigten Arabischen Emirate rufen zur dringenden Annahme einer Resolution für einen humanitären Waffenstillstand und haben eben einen Entwurf beim UN-Sicherheitsrat eingereicht«, teilte die Ständige Vertretung des Golfstaats am Donnerstag per Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) mit. Die Situation im Gazastreifen sei katastrophal und beinahe unumkehrbar. »Wir können nicht warten. Der Rat muss entschlossen handeln mit der Forderung nach einem humanitären Waffenstillstand«, so die Mitteilung weiter. Ähnliche Vorstöße waren bislang am Widerstand der USA gescheitert.

Guterres macht seltenen Schritt

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Zuvor hatte UN-Generalsekretär António Guterres in einem seltenen Schritt den Weltsicherheitsrat dringend aufgefordert, sich für die Abwendung einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen einzusetzen. In einem Brief an den Sicherheitsrat berief sich der UN-Chef dazu am Mittwoch erstmals seit seinem Amtsantritt 2017 auf den Artikel 99 der UN-Charta. Dieser erlaubt dem Generalsekretär, den Sicherheitsrat auf »jede Angelegenheit hinzuweisen, die seiner Meinung nach die Gewährleistung von internationalem Frieden und Sicherheit gefährden kann«, und ist den UN zufolge seit Jahrzehnten nicht angewandt worden. »Ich wiederhole meinen Aufruf, dass ein humanitärer Waffenstillstand ausgerufen werden muss. Das ist dringend. Der zivilen Bevölkerung muss größeres Leid erspart bleiben«, schrieb er an den Sicherheitsrat.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schloss sich dem Aufruf von Guterres an und rief die EU-Mitglieder im UN-Sicherheitsrat dazu auf, den Vorstoß zu unterstützen. Der Sicherheitsrat müsse unverzüglich handeln, um einen kompletten Kollaps der humanitären Situation zu verhindern, schrieb Borrell am Donnerstag auf X.

Israel kritisiert erneut UN-Chef Guterres

Israels Außenminister übte dagegen erneut scharfe Kritik an UN-Generalsekretär Guterres. »Sein Antrag, Artikel 99 zu aktivieren, und die Forderung nach einem Waffenstillstand in Gaza stellen eine Unterstützung der Terrororganisation Hamas dar«, so Eli Cohen auf X. »Jeder, der den Weltfrieden unterstützt, muss die Befreiung Gazas von der Hamas unterstützen.« Guterres Amtszeit gefährde den Weltfrieden.

Direkte Folgen hat eine Berufung auf den Artikel nicht. Es sei aber zu erwarten, dass der Sicherheitsrat noch diese Woche zusammenkomme, so ein Sprecher. Guterres hatte immer wieder auf die prekäre Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen hingewiesen. Augenzeugen zufolge sind Tausende Familien von Khan Junis nach Al-Mawasi geflohen. Auch dort fehlten Nahrungsmittel, Wasser und Unterkünfte. »Es gibt keine ›sichere‹ Zone. Der ganze Gazastreifen ist zu einem der gefährlichsten Orte der Welt geworden«, so das UN-Hilfswerk für die Palästinenser (Unrwa) auf X.

Israel erlaubt nun die Einfuhr von mehr Treibstoff in den Süden des Gazastreifens. Das Sicherheitskabinett habe einer Empfehlung des Kriegskabinetts zugestimmt, teilte Netanjahus Büro mit. Eine Erhöhung der erlaubten Mindestmenge sei erforderlich, »um einen humanitären Zusammenbruch und den Ausbruch von Epidemien zu verhindern«, hieß es. Unklar war, um wie viel die Treibstoffmenge, die täglich in den Gazastreifen gebracht werden darf, erhöht werden soll.

Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist seit Beginn des Kriegs nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 17 177 gestiegen. 46 000 Menschen seien verletzt worden, teilte das Ministerium mit. Am Dienstag hatte die Behörde noch von 16 248 Toten gesprochen. Die Opferzahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen, die Uno und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.

Durchbruch bei Khan Junis

Derweil vermeldete die israelische Armee am Abend aus der Stadt Khan Junis den Durchbruch durch die dortigen Verteidigungsanlagen der Hamas. Die Soldaten hätten Angriffe gegen zentrale Stellungen der Terroristen gestartet und stießen nun tiefer in die Stadt vor, wo sich auch Sinwars Haus befindet. Sinwar verstecke sich im Untergrund, sagte Israels Armeesprecher Daniel Hagari. Die Umstellung seines Hauses zeige jedoch, dass die Armee jeden Ort in Gaza erreichen kann.

Experten vermuten, dass sich die Führung der Hamas und Tausende ihrer Mitglieder in einem weit verzweigten Tunnelnetz verschanzt haben könnten. Auch zahlreiche der noch festgehaltenen Geiseln werden dort vermutet. Seit dem Terrorangriff der Hamas und anderer Gruppen auf israelischem Gebiet am 7. Oktober, bei dem rund 1200 Menschen getötet wurden, steht Sinwar ganz oben auf Israels Abschussliste.

Sollte die israelische Regierung den Tod von Sinwar und anderer Hamas-Führer verkünden können, »würde sie viel Kapital daraus schlagen und behaupten können, dass ihre militärischen Ziele erreicht worden sind«, sagte Hugh Lovatt von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations im »Wall Street Journal«. Dies könne dazu beitragen, »die Bedingungen für ein Ende des Krieges zu schaffen«.

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