»Eileen«: Die Fratze des Glamours

Mit der Verfilmung von Ottessa Moshfeghs Roman »Eileen« holt Regisseur William Oldroyd eine unheilvolle Figur ins Kino

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 5 Min.
Als das Rauchen noch geholfen hat: Eileen (Thomasin McKenzie) und Rebecca (Anne Hathaway)
Als das Rauchen noch geholfen hat: Eileen (Thomasin McKenzie) und Rebecca (Anne Hathaway)

In nur 90 Tagen schrieb Ottessa Moshfegh ihren preisgekrönten Psychothriller »Eileen«. Neben Lob seitens der Literaturkritik schlug ihr 2015 auch eine Welle der Empörung entgegen: Die Titelfigur sei ekelhaft, die bis ins Detail beschriebenen Körperfunktionen Eileens und deren Gerüche verstörend und abstoßend. Dass Protagonistin Eileen damit den Ekel vor sich selbst, ihrem weiblichen Körper, thematisierte, hätten viele Lesende nicht verstanden, erklärte die Autorin anschließend in mehreren Interviews. Regisseur William Oldroyd konzentriert sich in seiner Verfilmung weniger auf die abstoßenden Aspekte, sondern mehr auf den Gegensatz zwischen den beiden Protagonistinnen Eileen und Rebecca, zwei ganz unterschiedlichen Frauen, und erschafft damit einen Neo-Noir-Thriller im Retro-Look. Der düstere Soundtrack stammt von Richard Reed Parry, Mitglied der kanadischen Multiinstrumentalistenband Arcade Fire. In seinem titgelgebenden Track kündigt Parry mit zitternden Streichern spannungsreiche 97 Minuten an – und hält teilweise Wort.

Sehr langsam zeichnet Oldroyd ein Bild von Eileen (Thomasin McKenzie): Grau und unauffällig fristet sie ihr Leben als Sekretärin in einem Gefängnis für junge Straftäter. Soziale Bindungen hat sie keine, stattdessen beobachtet Eileen gerne Menschen. Heimlich begehrt sie den Gefängniswärter Randy (Owen Teague), dem sie aber nur in ihren sexuellen Fantasien nahekommt. In der Anfangsszene verfolgt sie ihn mit ihrem klapprigen Auto bis an die Küste von Massachusetts. Als er Sex mit einer anderen im Auto hat, masturbiert sie. Doch Eileen selbst wird von niemandem beobachtet. Ohnehin ist sie eine fast unsichtbare Außenseiterin. Insgeheim träumt Eileen von einem aufregenden Leben in New York City. Aber anstatt in die große Metropole zu ziehen, verschafft sie sich mit gelegentlichen Ladendiebstählen ein bisschen Nervenkitzel, denn ansonsten ist in ihrem Leben nicht viel los.

Die schüchterne 24-Jährige führt in Massachusetts mit ihrem Vater (Shea Whigham), einem jähzornigen, alkoholkranken Ex-Cop, eine eintönige Existenz. Es sind die 60er Jahre. Ihr Vater lässt keine Gelegenheit aus, Eileen abzuwerten. Sie sei niemand Besonderes. Im Gegenteil: Ihre Aufgabe sei, andere durch ihr farbloses Dasein zum Strahlen zu bringen. Eines Winters tritt durch die Jugendpsychologin Rebecca (Anne Hathaway) Glamour in ihr Kleinstadtleben. Für Eileen ist Rebecca ein Star. Wie eine Schauspielerin weiß Rebecca, wie man sich gut in Szene setzt. Ihr knallrotes Cabrio sticht sofort auf dem Gefängnisparkplatz hervor.

Rebeccas Haare sind, in bester Marilyn-Monroe-Manier, blondiert und mittellang, ihr schwarzer Lidstrich sitzt perfekt. Sie gibt die lässige Frau von Welt und doch steht hinter ihrer Sexyness etwas Berechnendes. In einer Szene visiert sie wie eine Katze ihr Ziel an, richtet ihren Blick auf Eileen, während sie kalten Rauch ausatmet. Wenn Eileen ihren übersüßen Kaffee zubereitet, stichelt Rebecca: »Hast du nicht genug Süße in deinem Leben?« und trifft damit ihren wunden Punkt. Eileen ist fasziniert von der starken Frau, die stets ihre Meinung sagt, und sucht fortan ihre Nähe. Als ihr Vater Eileen fragt, wie ihr Tag war, schwärmt sie: »Mein Tag war der Hammer.« Schon bald verbindet die beiden ein zartes, weibliches Band, doch Rebecca entpuppt sich als unzuverlässige Freundin, die sich nur meldet, wenn sie ein konkretes Anliegen hat oder eben gerade Zeit. Als an Weihnachten das Telefon klingelt, ahnt sie nicht, dass sie bald ein dunkles Geheimnis miteinander verbinden wird.

Wie in der literarischen Vorlage nimmt sich auch Oldroyd viel Zeit, um Eileens inneres Verderben zu zeigen. Sie masturbiert, fährt betrunken Auto und durch den übermäßigen Konsum von Alkohol wacht sie in ihrem eigenen Erbrochenen auf. Das Haus, in dem Eileen mit ihrem Vater wohnt, ist schmuddelig. Ginflaschen liegen im Wohnzimmer herum, das Bad ist dreckig, der Müll wird selten weggebracht. Eileen fährt ein altes Auto, dessen Abgase ins Innere des Autos ziehen, sodass sie wahrscheinlich jeden Morgen auf der Arbeit danach riechen wird. Ottessa Moshfegh hat gemeinsam mit ihrem Ehemann Luke Goebel das Drehbuch verfasst. Insgesamt gibt es etwas weniger hässliche Szenen als im Erfolgsroman.

Die Farben des Films spiegeln Eileens tristes Seelenleben. Erst durch die Ankunft von Rebecca werden die modrigen Farben des Filmes klarer und heller. Rebecca sticht von Anfang an hervor. Sie strahlt in den Bildern heller als Eileen, im Laufe des Films werden sich die beiden Licht und Schatten teilen. Rebeccas Charakter wird im Gegensatz zu dem der Hauptfigur aber nicht weiter herausgearbeitet. Thomasin Mackenzie, die sich von grauer Maus zu leuchtendem Starlet in den Kleidern von Eileens verstorbener Mutter aufschwingt, stiehlt Schauspielerin Anne Hathaway fast lautlos die Show. Ihre ruhige Art bereitet zu späterer Stunde großes Unbehagen, was die Frage aufwirft, ob sie jemals harmlos war.

»Eileen« ist kein klassischer Thriller, denn Regisseur William Oldroyd beschäftigt sich über viele Szenen hinweg mit der Konturierung seiner Charaktere. Eileen sexuelle Fantasien überschneiden sich mit der Realität ihres tristen Alltags. Doch ihre innere und äußere Ödnis zu beschreiben, könnte selbst schnell recht öde werden. Deshalb ist es auch für die Zuschauenden schön, dass Rebecca in ihr Leben tritt. So baut sich langsam aber sicher ein Spannungsbogen auf, der bis zum fatalen Höhepunkt in guter alter Hitchcock-Manier führt. Gegen Ende folgt Oldroyd einem eher konventionell erzähltem Muster mit wenig Überraschungen. Das Ende selbst hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Trotzdem ist »Eileen« ein durchaus sehenswerter Thriller, denn optisch und schauspielerisch überzeugt der Film auf ganzer Linie.

»Eileen«: USA 2023. Regie: William Oldroyd, Buch: Ottessa Moshfegh und Luke Goebel. Mit: Thomasin McKenzie, Shea Whigham, Anne Hathaway. 97 Minuten, Start: 14. Dezember.

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