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Griechenlands Fußball versinkt in geduldeter Gewalt
Tote Fußballfans, verletzte Polizisten: In Griechenland sind Hooligans, Mafia und Politik eng verbunden
Mindestens zwei Monate müssen die Fußballklubs der griechischen Super League auf ihre Fans verzichten. Anlass dafür ist allerdings ein Vorfall in einer anderen Sportart. Am 7. Dezmeber wurde am Rande des Volleyballspiels zwischen den verfeindeten Vereinen Olympiakos Piräus und Panathinaikos Athen ein 31-jähriger Polizeibeamter von einer Leuchtrakete getroffen und lebengefährlich verletzt. Medienberichten und Augenzeugen zufolge griff eine Gruppe von 150 Personen außerhalb der Halle die Polizei mit Molotowcocktails und Pyrotechnik an. Der Polizist befindet sich seitdem in kritischem Zustand im Krankenhaus.
Das erlassene Zuschauerverbot läuft vorerst bis zum 12. Februar und gilt neben den Geisterspielen im Fußball auch für Risikospiele in anderen Sportarten. Warum nach einem Volleyballspiel überhaupt der Fußball in den Fokus der Repression geraten ist, erklärt sich aus der Tatsache, dass es in Griechenland üblich ist, dass organisierte Fußballfans verschiedene Sportarten ihres Vereins besuchen.
Nach dem Vorfall nahm die Polizei 424 Personen vor Ort fest, um die Beteiligten zu identifizieren. Die gesammelten Beweise und Berichte halfen dabei, einen 18-jährigen Mann ausfindig zu machen, der gestand, die Leuchtrakete geworfen zu haben. Am vergangenen Montag wurde er der Staatsanwaltschaft vorgeführt.
Es gibt mehrere Hinweise, »die uns optimistisch stimmen«, sagte der Minister für Bürgerschutz, Yannis Economou, über die weitere Suche nach den Organisatoren des Angriffs. »Ich denke, dass sehr bald weitere Erkenntnisse auftauchen werden. Wir haben einen Raketenwerfer, Werkzeuge, Fingerabdrücke und DNA-Beweise gefunden. Ich denke, dass daraus wahrscheinlich weitere Beweise entstehen werden, die Licht auf diesen tragischen Fall werfen werden«, fügte er hinzu und betonte, dass Hooligans »ohne Zweifel kriminelle Organisationen mit einer Struktur, einem Programm, einem Plan und einer Hierarchie bilden«.
Bis zum Februar werden nun verschiedene Maßnhamen geprüft, allen voran die Installation von hochauflösenden Kameras in allen Stadien der Super League und die Möglichkeit der Kontrolle und Nutzung des Materials durch die zuständigen Behörden. Auch elektronische Einlass-Systeme mit gleichzeitiger Identitätsüberprüfung sind im Gespräch. Darüber hinaus wird der Sportminister innerhalb dieser zwei Monate eine Reihe von Verwaltungsmaßnahmen ankündigen, darunter automatische Sanktionen gegen Klubs bei Zwischenfällen – zusätzlich zu den in der Sportgerichtsbarkeit vorgesehenen Strafen.
Auf breite Kritik stieß das Zuschauerverbot in der griechischen Sportwelt, Öffentlichkeit und Politik. So schrieb Ilias Magklinis in Greichenlands größter Tageszeitung »Kathimerini«: »Diese Entscheidung scheint mehr ein Versuch der Effekthascherei als der Substanz zu sein. Außerdem ist sie ungerecht, weil sie in erster Linie die normalen Fans trifft, die bereits im Voraus – und teuer – für elektronische Dauerkarten bezahlt haben. Sie sind die Mehrheit, und sie sind die Einzigen, die keine Schuld trifft.« Der Vizepräsident und Geschäftsführer von PAOK Thessaloniki, Makis Gagatsis, schlug auf der Sitzung der Super League vor, den Staat aufzufordern, die »geschlossenen Tore« aufzuheben, aber die Stadien für die gesamte Saison für diejenigen zu schließen, die Vorfälle verursachen.
Der jüngste Gewaltexzess ist tatsächlich kein Einzelfall in der Geschichte des griechischen Sports. Im August wurde der 29-jährige Michalis Katsouris in Athen nach einer Auseinandersetzung zwischen Fußballfans von AEK Athen und Dinamo Zagreb mit einem Messer ermordet. Damals waren trotz eines Reiseverbots zum Qualifikationsspiel der Champions League Hunderte Zagreb-Fans, darunter auch zahlreiche Neonazis, angereist. Zusammen mit befreundeten Anhängern von Panathinaikos Athen haben sie dann vor dem Stadion von AEK zugeschlagen. Danach geriet die griechische Polizei in die Kritik: Sie habe angeblich von diesem geheimen Plan gewusst. Von der Grenzschutzpolizei Montenegros wurde sie jedenfalls darüber informiert, dass viele kroatische Fans in privaten Autos auf der Anreise waren.
Zu einem weiteren Todesfall war es im Februar 2022 gekommen, als der 19-jährige Alkis Kampanos von Fußballfans von PAOK Thessaloniki ermordet wurde. Es ist somit schon das dritte Mal im Laufe der vergangenen zwei Jahre, dass die Regierung Maßnahmen zur Bekämpfung von Fan-Gewalt angekündigt hat. Und dabei geht es meistens um Kollektivstrafen: Nach dem Tod von Katsouris hatte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis im August angekündigt, alle Fanklubs verbieten zu wollen.
Wie bei vielen Ankündigungen dieser Art scheitert es an der Umsetzung. Der neue Vorsitzende der Linkspartei Syriza, Stefanos Kasselakis, kritisierte jetzt die politische Praxis: »Auch zuvor kündigte die Regierung Mitsotakis Maßnahmen an – und seither gab es den Mord an einem Fan und einen Polizisten, der jetzt um sein Leben kämpft.« Diesmal scheint die Regierung gewillt, einen Schritt weiterzugehen. Minister Economou hat dem Staatsanwalt des Obersten Gerichtshofs eine Liste von 200 Personen mit Namen und Adressen übergeben, die insgesamt fünf potenziell kriminelle Organisationen mit jeweils etwa 40 Personen betreffen. Dabei geht es um Fans der fünf griechischen Topklubs: Olympiakos, Panathinaikos, AEK, PAOK Thessaloniki und Aris Thessaloniki.
Laut Kritikern wird dieser Versuch erneut im Nichts enden, weil diese Strukturen mit der griechischen Mafia in Verbindung stehen, die wiederum tief verflochten mit dem Staat, ob Polizei oder Politik, ist. Von den Fussballklubs werden sie auch geduldet. Diese Strukturen sind bezeichnend, nicht nur für den Zustand des griechischen Sports, sondern insgesamt für die Gesellschaft und die Politik, die von Korruption, Erpressung und Bedrohungen gekennzeichnet sind.
Mittlerweile ist der Chef der Super League, Evangelos Marinakis, zurückgetreten. Er ist zugleich Besitzer von Olympiakos und Nottingham Forest – und stand in der Vergangenheit schon mehrfach wegen dunkler Machenschaften in der Kritik. Ermittelt wurde gegen ihn 2011 im Rahmen eines Manipulationsskandals, 2012 als geistiger Anstifter eines Sprengstoffanschlags gegen die Bäckerei eines Schiedsrichters oder 2014 wegen eines Kabinenbesuchs beim Schiedsrichter. In seiner Vita finden sich auch Verbindungen zum Rauschgiftschmuggel, wie etwa die Aufdeckung eines Herointransports mit einem Schiff, das mit ihm in Verbindung stand. Bislang ist er jedesmal mit einer Einstellung des Verfahrens oder einem Freispruch davongekommen.
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