Theorie zu Weihnachten

Glühweinkater, Festtagsvölle und Familienstreit: Trost in der Weihnachtszeit spenden selbstgeschenkte Wissenschaftsbücher

  • Jörg Sundermeier
  • Lesedauer: 3 Min.
Es ist nicht alles schlecht an der Weihnachtszeit, zumindest wenn man sich selbst ein gutes Buch zu schenken weiß.
Es ist nicht alles schlecht an der Weihnachtszeit, zumindest wenn man sich selbst ein gutes Buch zu schenken weiß.

Wir lieben es an den Feiertagen: Sich zu überfüllten Weihnachtsmärkten schleppen, auf denen die Profis schon morgens den Glühwein litern, sich in menschenbedrängten Fußgängerzonen schubsen lassen, sich in Buchhandlungen mit honorigen Mitgliedern der gebildeten Schichten darüber zu streiten, wer denn das letzte Exemplar eines Buches im Regal »zuerst gesehen« hat, dann an den Feiertagen sich zu überfressen und anschließend zu betrinken, um sich mit der lieben Verwandtschaft im Streit über Nahost, Asylpolitik und anderen Familienangelegenheiten an die Gurgel zu gehen. Die Tage am Ende des Jahres – sie sind die schönste Zeit.

Als Theodor W. Adorno 1951 konstatierte: »Die Menschen verlernen das Schenken!«, meinte er eben nicht, dass es darum gehe, seinen Lieben mit möglichst vielen, möglichst großen Produkten der Kulturindustrie die Aufwartung machen zu sollen, sondern gegenteilig die zu Beschenkenden als Subjekte zu denken, als Menschen zu sehen, und sie nicht auf einen Anlass für den Kaufrausch zu reduzieren. Über siebzig Jahre später hat sich das Konsumverhalten jedoch nicht gebessert, und alle kennen den Moment, in dem kleine Kinder – von vielen Verblendungszusammenhängen noch weitgehend unverdorben – die iPads und Schokoladenberge ignorieren und stattdessen mit jenen kleinen Dingen intensiv spielen, die man nur als Dreingabe unter den Baum gelegt hat.

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Frustriert von der fehlgeleiteten Schenkerei sind viele Menschen inzwischen dazu übergegangen, sich am Jahresende einfach selbst zu beschenken. Die meisten glauben, sich gut zu kennen, daher kehren neben iPads und Schokobergen plötzlich solche Bücher ins Haus ein, die sich nicht auf den Bestsellerlisten finden lassen und auch nicht aus dem Buchhandlungsregal mit der Beschriftung »Das originelle Geschenk« oder gar »Freche Frauen« geklaubt wurden.

Besonderes Glück hat daher diejenige, der ein gut geschriebenes Wissenschaftsbuch gegönnt wurde (oder die es, wie man heute sagt, »sich selber gönnte«). So kann der vom Festtagstrubel und Familienstreit geschundene Mensch sich zurückziehen in die Einsamkeit der Lesenden. In der man allerdings nicht asozial agiert, da Lesende dem sozialen Alleinsein frönen, ein gutes Buch bringt immer auch Gesellschaft mit sich, im doppelten Wortsinn.

Gut geschrieben sollte dieses Weihnachtswissenschaftsbuch unbedingt sein, da das, was einen intellektuell heben sollte, bestenfalls auch in einer Sprache verfasst ist, die man lesen mag. Ich habe mir für die Feiertage das Buch »Suhrkamp Theorie. Eine Buchreihe im philosophischen Nachkrieg« von Morten Paul mitgenommen, erschienen bei Spector Books. Der Autor untersucht darin die weitgehend vergessene Buchreihe, die immerhin 20 Jahre lang erschien und in der viele Klassiker des modernen Denkens verlegt wurden – er beschränkt sich jedoch nicht auf die Nacherzählung der Verlagsgeschichte, sondern fragt, inwieweit theoretische Texte Relevanz entwickeln können. Sehr gut geschrieben ist der Text selbstredend auch.

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