Wünschen wir uns was!

Das Weihnachtliche muss in die Politik zurückkehren, fordert Leo Fischer

Letztlich basiert unsere ganze Wirtschaft auf Wünschen. Die meisten davon sind hochgradig irrational, ja direkt pathologisch. Das Kapital wünscht sich zweistellige Profitraten, die Arbeiter*innen wünschen sich eine Ausbeutung mit menschlichem Antlitz. In zehntausend Marketing-Agenturen wird täglich ausgeheckt, was sich die Menschen als Nächstes wünschen sollen, sinnloserweise. Nur in einer Branche hat das Wünschen einen ausnehmend schlechten Ruf: in der Politik. Ausgerechnet in dem Forum, das, nach Rousseau, die Wünsche aller zum allgemeinen Wunsch erhebt, soll das Wünschen nicht mehr helfen. Überall liest man derzeit Gestänker gegen eine sogenannte Wünsch-dir-was-Politik, vom Bund der Steuerzahler bis zur Union; letzteres meist im Zusammenhang mit der Debatte um Schuldenbremse und Sparpolitik.

Mit der Geste des grimmen Gutsherren werden da die lächerlichen Bedürfnisse der groben Masse weggewischt: Nichts gibt’s! Keine Geschenke dieses Jahr! Hier wird Politik als kühles Kalkulieren inszeniert, das sich zeitweilig aufflackernden Begehrlichkeiten stolz entzieht, als etwas, das in höheren Sphären stattfindet, wo erleuchtete Geister die großen Verantwortlichkeiten abwägen, wo in Jahrzehnten, ach was, Jahrhunderten gedacht wird.

Es wäre ja auch wirklich zu schön: eine Union, die keine Geschenke mehr verteilt oder auch nur verspricht, nicht an die Fossillobby, nicht an die Agrarmafia, auch nicht an sich selbst. Wäre die Austerität wenigstens allumfassend! Aber im Merz’schen Privatjet, in Spahn’schen Villen oder auf Lindner’schen Partys wirken enger geschnallte Gürtel nur als Fashion-Statement oder gar als ironisches Fetisch-Accessoire.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Tatsächlich ist doch eher das Gegenteil der Fall: Wünsch-dir-was ist der Inbegriff der Politik, ist es schon immer gewesen! Sehr viel Anderes als Geld mit der Gießkanne verteilen kann Politik heute doch schlichtweg nicht mehr machen. Jede Direktive, die übers Geldausgeben hinausgeht, wird sofort von den Medien kassiert, im Verwaltungsapparat zerrieben und von tausend Jurist*innen auseinandergenommen. Was geschieht denn, wenn der Kanzler von seiner berühmten Richtlinienkompetenz Gebrauch macht? Das Geld wird anders verteilt, sonst nichts. Keine Legionen marschieren auf, keine reitenden Boten preschen durchs Land – es werden lediglich ein paar Umbuchungen durchgeführt.

Nein, es geht vor allem darum, wie das Geld verteilt wird! Also darum, wessen Wünsche wie erfüllt werden. Und es geht darum, das allgemeine und oft etwas chaotische Durcheinanderwünschen zu organisieren, zu durchdenken und dann entschlossen durchzusetzen. Wir müssen lernen, gemeinsam Wunschzettel an die Politik zu schreiben! Ganz oben müssen die ganz großen, »unrealistischen« Wünsche stehen. Wer seine Wünsche der möglichen Ablehnung anpasst, den Kompromiss antizipiert, hat sie im Grunde schon abgeschrieben, lässt sie sich ausreden wie das Kind an der Supermarktkasse die Quengelware.

Vielleicht ist das doch gerade die Quelle der sogenannten Politikverdrossenheit: dass das Wünschen nichts mehr hilft. Würde der Kanzler meinetwegen jährlich in einem seltsamen Kostüm mit einem Schlitten herumfahren und Mandarinen verteilen: Es würde mir paradoxerweise etwas mehr Vertrauen einflößen als ein Luftblasen absondernder Anzugmann, der mir jedes Jahr aufs Neue erklärt, dass nichts mehr geht. Das Weihnachtliche in die Politik zurückbringen! Wähler*innenaugen zum Leuchten bringen! Das muss wieder Ziel aller Politik werden.

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