Yoga hat die Tupper-Party gekillt

Die Revolution wird leider auch nicht in Nachbarschafts-Apps organisiert

Yoga macht gesund ... und so manchen Nachbarn offenbar auch etwas reicher.
Yoga macht gesund ... und so manchen Nachbarn offenbar auch etwas reicher.

Nichts hat mir die Irrationalität des herrschenden Wirtschaftssystems je besser illustriert als die Versorgung der Bevölkerung mit Bohrmaschinen. 48,71 Millionen Menschen haben eine Heimwerker- oder Bohrmaschine zu Hause, sagt eine Statistik aus dem Jahr 2021. Das ist eine enorme Zahl, sie entspricht ungefähr jener der Kühlschränke in Privatbesitz. Doch während der Gebrauch individueller Kühlschränke komplett einleuchtet, ist ein teures Elektrogerät, das vielleicht einmal im Jahr zum Lärmmachen eingesetzt wird und sonst im Schrank verrottet, objektiv überflüssig, pure Verschwendung.

Eine einzige Bohrmaschine pro Mietshaus, bedarfsweise an die Bewohner*innen verliehen, würde komplett ausreichen. Das Bedürfnis, selbst eine Bohrmaschine zu besitzen, ist vollkommen künstlich erzeugt; es wird von Marketing-Strateg*innen zugleich an Bilder toxischer Männlichkeit geknüpft, in denen der selbstwirksame, keiner Hilfe bedürftige DIY-Mann jederzeit in der Lage sein muss, seine Wohnung eigenverantwortlich in Schutt und Asche zu legen.

Leo Fischer
Leo Fischer

Foto ist privat, kein Honorar

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Dieser Unfug hat mich lange beschäftigt – zumal ihm technisch leicht abzuhelfen wäre. Deswegen habe ich mich experimentell auf einer Nachbarschafts-App angemeldet. Vielleicht, so meine Hoffnung, blüht ja schon eine klandestine Kollektivwirtschaft, in welcher nicht jeder Haushalt ein halber Baumarkt sein muss, in welcher sich Menschen solidarisch Bohrmaschinen teilen, winzige Widerstandszellen der Vernunft, strahlend im Vorschein einer vernünftigen Gesellschaft?

Nach acht Wochen Test kann ich resigniert feststellen: Die Revolution wird nicht auf Nachbarschafts-Apps organisiert. Obwohl alle Funktionen zur Verfügung stünden, Haushaltsgeräte zum Leihen anzubieten, dreht sich der Diskurs jedenfalls meines Viertels um anderes: Eine streunende Katze wurde gefunden, wer kennt sie? Schon wieder Pizzakartons im Park, so geht es ja nicht! Da war ein seltsamer Knall gestern um 23 Uhr, hat den noch wer gehört?

Doch alles, alles wird übertönt von Eigenmarketing: Ich biete Yoga an. Yoga für Schwangere. Tiefenentspannung mit Yoga Nidra. Yoga-Pilates. Heißes Yoga im Hausbesuch. Resilienzyoga nach Liebscher-Bracht. Es geht zu wie auf den Portalen der Bildungsurlaub-Anbieter*innen, wo Yoga längst Sprachen oder Museumsbesuche verdrängt hat. Dabei sind es keine Studios, sondern Selfmade-Therapeut*innen, die ihre (vermutlich unversteuerten) Yogakurse Nachbar*innen aufschwatzen wollen. Yoga hat die Tupper-Party gekillt.

Es ist aber auch nur logisch: Die Zumutungen eines irrationalen Wirtschaftssystems machen die Leute krank, sie fühlen sich gestresst. Ihre kleinbürgerliche Zurüstung macht es ihnen zugleich unmöglich, einander helfend gegenüberzutreten – sie können dies nur wieder in merkantiler Form. Niemand will helfen, sondern Stunden berechnen. Niemand will sich helfen lassen, sondern lieber ein dem Distinktionsgewinn dienendes Gelenkpflegeprogramm erwerben, das die Tristesse des Alltags ein paar Tage länger erdulden hilft. Kurzum: Yoga saniert die Bohrmaschinenindustrie.

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