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Fonds für Arbeitskämpfe: Lohnräuber entwaffnen

Der Verein Payday unterstützt Arbeiter*innen, die aufgrund ihrer Organisierung um den Lohn geprellt werden

Besonders prekär Beschäftigten fehlen Mittel, sich gegen Union Busting zu wehren. Der Fonds Payday will hier unter die Arme greifen.
Besonders prekär Beschäftigten fehlen Mittel, sich gegen Union Busting zu wehren. Der Fonds Payday will hier unter die Arme greifen.

Nur drei Monate war Duygu Kaya für den Lieferdienst Gorillas im Sattel, bis sie 2021 mit einigen Kolleg*innen in den wilden Streik trat und in der Folge gekündigt wurde. Ursprünglich entzündete sich der Streik an der Entlassung eines anderen sogenannten Riders. Der Protest entwickelte sich im Laufe des Jahres weiter, griff andere Missstände auf. Es ging auch um ausstehende Löhne. »In der Zeit, in der ich für Gorillas fuhr, wurde mir selbst kein Lohn vorenthalten, aber fast allen, mit denen ich zusammengearbeitet habe«, blickt Kaya im Gespräch mit »nd« zurück. Sie spricht von einer »Taktik«: »Wenn das Management mitbekam, dass du zum Beispiel in der Betriebsratsgründung aktiv warst, bekamst du dein Geld wahlweise zu spät, nur teilweise oder gar nicht.«

Johanna Schellhagen erinnert sich: »Nachdem sich der Betriebsrat gegründet hatte, stimmten plötzlich alle Lohnabrechnungen nicht mehr, alle Beteiligten bekamen zu wenig Lohn.« Schellhagen ist Gründungsmitglied des Vereins Payday. Er sei ein »Solidaritätsfonds für Leute, die sich in ihrem Betrieb organisieren, in irgendeiner Art, zum Beispiel einen Betriebsrat gründen oder zum Stammtisch einladen, und deswegen weniger Lohn bekommen«, sagt sie »nd«. Der Verein bezeichnet das Phänomen als »Lohnraub«.

Trotz alledem – Wie Menschen gemeinsam für ihre Rechte kämpfen

Für Millionen Menschen war 2023 geprägt durch Kriege, Flucht und materielle Unsicherheit. Hetze gegen die vermeintlich Anderen grassiert. Die EU grenzt Flüchtlinge zunehmend aus. Derweil steigen Mieten und Löhne sinken. Doch 2023 gab es auch Bewegungen, die sich all dem widersetzen.

Russen wenden sich gegen den Krieg, Beschäftigte streiken gemeinsam für ihre Rechte, Mieterinnen kämpfen für bezahlbares Wohnen. In »nd.DieWoche« stellen wir einige Initiativen und Bewegungen vor, die auf Solidarität und Versöhnung setzen. Mehr auf www.nd-aktuell.de/die-woche

Das sei natürlich illegal, sagt Schellhagen, allerdings könne sich ein juristisches Verfahren, um an die Rückstände zu kommen, bis zu zwei Jahre hinziehen. »Deswegen springen wir da ein: Wir füllen die Lücke, damit die Leute im Betrieb bleiben können und mit dieser Organisationsarbeit weitermachen können.« Ex-Gorillas-Arbeiterin Kaya verdeutlicht die Auswirkungen der Arbeitgeberpraxis auf die Beschäftigten der Lieferdienstbranche: »Die Menschen, die dort arbeiten, sind in der Regel in vielen Lebensbereichen prekär.« Oft seien sie erst seit kurzer Zeit in Deutschland, sprächen kaum Deutsch und verstünden das bürokratische System nicht, seien von ihm eher abgeschreckt. »In solch einer Lebenslage ziehst du einen Anwalt oder ein Gerichtsverfahren nicht in Erwägung«, sagt Kaya. »Stattdessen schreibst du E-Mails über E-Mails, um an dein Geld zu kommen. Du bist der Gnade deines Bosses ausgeliefert.« Wenn das monatelang erfolglos bleibe, wechselten viele das Unternehmen. Kaya sagt: »Das ist, worauf Gorillas gesetzt hat: dass die Beschäftigten das Unternehmen verlassen und das fehlende Geld vergessen.«

Eine statistische Erfassung von entgangenen Löhnen gibt es nicht. Man kann sich von verschiedenen Seiten nähern, um einen Eindruck der Dimension zu bekommen. So konstatiert das Arbeitsgericht Berlin 4000 Verfahren mit dem Streitgegenstand »Arbeitsentgelt«, die 2023 eingingen. Darin enthalten sind allerdings auch Klagen von Arbeitgebern auf vermeintlich zu viel gezahlte Löhne. Das Beratungszentrum Migration und gute Arbeit (Bema) berät in Berlin Migrant*innen aus der EU und Drittstaaten sowie Geflüchtete. Das Bema wird von der Senatsverwaltung für Arbeit gefördert, die angibt, dass allein durch arbeitsrechtliche Beratung »mehr als 100 000 Euro brutto Arbeitslohnforderungen für die Ratsuchenden« im Jahr 2022 durchgesetzt werden konnten. Die Verdi-Betriebsgruppe an der Freien Universität Berlin schätzt, dass nur am Institut für Veterinärmedizin durch Nichtausbezahlung von tariflich vorgesehenen Zuschlägen Lohnrückstände von einer Million Euro aufgelaufen sind.

Lohnrückstände vor Gericht einzutreiben, ist kein leichtes Unterfangen. So erklärt die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, dem »Spiegel«, dass mit Blick auf die Entgelte in den Revisionsverfahren häufiger die Arbeitgeber gewännen. »Das liegt einfach daran, dass der Arbeitnehmende für Entgeltfragen die Darlegungs- und Beweislast trägt«, sagt Gallner. Das Lohngefüge sorgt dafür, dass jeder den Arbeitnehmer*innen fehlende Euro in der Tasche der Arbeitgeber verbleibt.

Auch Payday hat keine Zahlen über den Umfang. »Wir wissen es nur von unserem Umfeld, vom gewerkschaftsaktiven Milieu, in dem wir uns bewegen, und von dem, was wir teilweise selbst erlebt haben. Das ist gang und gäbe«, sagt Schellhagen. Und das Phänomen kann weitaus vielfältiger gefasst werden denn als einfache Differenz zwischen Gehaltszettel und Kontoauszug. So entgehen Beschäftigten ebenfalls Löhne, wenn sie zu Unrecht gekündigt werden. Hinzu kommen falsch berechnete Überstunden, Lohn- und Krankheitstage, mangelhafte Arbeitsmittel, die durch angemessenen Ersatz aus der eigenen Tasche ersetzt werden müssen, sowie die Benachteiligung bei der Vergabe von Schichten.

Und wie kann festgestellt werden, dass es sich um ein bewusstes Vorgehen der Arbeitgeber – also um Lohnraub – handelt? »Wir glauben den Beteiligten, wenn sie sagen, dass die Lohnlücke als Union Busting zu verstehen ist«, sagt Schellhagen. Union Busting meint im Wortsinn die Zerschlagung von gewerkschaftlichen Strukturen durch Arbeitgeber, wird aber auch auf nichtgewerkschaftliche Organisierung angewandt.

Payday ist eine Interessengemeinschaft. »Wir sind eine Gruppe von Leuten, die sich für Arbeitskämpfe interessieren und von denen die meisten selbst welche geführt haben«, sagt Schellhagen, die als Angestellte des Filmkollektivs Labournet TV, das Filme zu Arbeitskämpfen produziert, selbst noch keine Arbeitskonflikte hatte. »Ich hoffe, dass Payday einen Modellcharakter entwickelt, sodass wir als Arbeiter*innen mehr Durchschlagskraft und Sicherheit an unserem Arbeitsplatz bekommen, uns mehr trauen und erfolgreicher werden und dass dadurch insgesamt das Selbstbewusstsein in der Klasse wächst«, sagt sie.

Das Jahr 2023 habe Payday vor allem dafür genutzt, sich strukturell gut aufzustellen, Förderkriterien festzulegen, ein transparentes und einfaches Verfahren der Antragstellung und Entscheidtung zu entwickeln und das Ganze in rechtssichere Strukturen zu gießen. Der Antrag kann online gestellt werden. Per Durchklickfragebogen sollen die Betroffenen einen ersten Eindruck bekommen, ob sie prinzipiell für eine Förderung in Frage kommen. Entscheidende Kriterien sind dabei die Organisierung am Arbeitsplatz und Lohnrückstände, die infolge dieser Organisierung aufgelaufen sind. Darüber hinaus müssen die um ihren Lohn Geprellten eine Klage vor dem Arbeitsgericht einreichen. Wenn alle Kriterien erfüllt sind, wird der Antrag bewilligt. Und gewinnt die betroffene Person in Gänze oder zum Teil, fließt das Geld zurück in den Fördertopf. Um eine gute rechtliche Betreuung sicherzustellen, arbeitet Payday gerade daran, Kooperationen mit Gewerkschaften aufzubauen und Betroffenen so zu einer Rechtsschutzversicherung zu verhelfen.

Bereits 2023 hat Payday einen ersten Arbeitskampf unterstützt. Bei einem anderen Lieferdienst wurden Fahrer*innen tatsächlich oder nur zum Schein bei einem Subunternehmen beschäftigt, arbeiteten dort drei Monate, ohne jemals Geld dafür zu sehen – weder vom Tochter- noch vom Mutterunternehmen. Während des Gerichtsverfahrens zahlte Payday den Kläger*innen Geld, das der Verein über eine Stiftung eingesammelt hatte. Muhammad, einer der Fahrer, sagt »nd«, er habe vor Gericht am Ende 1000 Euro bekommen. Geklagt hatte er auf 5000 Euro. »Ich war de facto zwölf Monate arbeitslos. Während dieser Zeit unterstützte mich Payday mit 2400 Euro, von denen ich einen Teil meiner Miete und andere Lebenshaltungskosten zahlen konnte«, sagt Muhammad. Das Thema sei deshalb sehr relevant, weil sich »weder eine staatliche Organisation noch eine NGO dafür interessiert, wenn, wie in unserem Fall, Arbeiter*innen ihr Geld nicht bekommen«.

Zugleich konnte Payday 2023 den Geldtopf füllen. Mittlerweile ist er auf 14 000 Euro angewachsen. Ein großer Teil davon macht der ehemalige Streikfonds des Gorillas Workers Collective aus. Der Fonds wurde zuletzt für andere Rider-Kollektive geöffnet und von ihnen verwaltet, unter anderem auch von Ex-Gorillas-Rider Kaya. Allerdings habe es Probleme gegeben, dieses Geld weiterhin sinnvoll einzusetzen. Daher habe es Sinn ergeben, das Geld an Payday zu spenden, sagt Kaya. Sie und ein befreundeter Rider vom Flink Workers Collective seien dann selbst Teil von Payday geworden.

Der Fonds könne dabei in Zukunft in zweierlei Richtung wirken, sagt Kaya: »Um organisierte Arbeiter*innen im Betrieb zu halten und um Arbeiter*innen für die Organisierung zu gewinnen, indem wir ihnen eine Perspektive aufzeigen.«

Payday sehe sich gut aufgestellt, 2024 die reguläre Arbeit anzugehen, die ersten echten Fälle anzunehmen und weitere aktive und Fördermitglieder zu gewinnen, sagt Schellhagen. Der Verein strebt an, die Fördermöglichkeiten auf weitere sogenannte Union-Busting-Methoden wie beispielsweise entgangene Löhne nach unrechtmäßigen Kündigungen auszuweiten. Zurzeit ist eine Förderung nur möglich, wenn der Lohnzettel mehr Geld ausweist, als tatsächlich ausbezahlt wurde.

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