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Zapatisten feiern 30 Jahre Rebellion

Im mexikanischen Chiapas findet Treffen der Gemeinschaftlichkeit statt

  • Luz Kerkeling, San Cristóbal de las Casas
  • Lesedauer: 5 Min.
Unter Beschuss: Zapatist*innen fordern bei einer Demonstration in Mexiko-Stadt im Juni 2023 ein Ende der Gewalt gegen ihre Gemeinden.
Unter Beschuss: Zapatist*innen fordern bei einer Demonstration in Mexiko-Stadt im Juni 2023 ein Ende der Gewalt gegen ihre Gemeinden.

Es ist sonnig und heiß, als wir am 31. Dezember nach der Durchquerung von Nebelfeldern mittags das Caracol (dt.: Schneckenhaus) von Dolores Hidalgo, einem der zwölf autonomen Verwaltungssitze der Basis der linksgerichteten EZLN (Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung), erreichen. Das große Gelände besteht hauptsächlich aus einem weitreichenden flachen Platz, der von beeindruckenden Bergzügen umgeben ist. Die Atmosphäre ist freudig-ausgelassen. Alle Ankömmlinge, die sich zuvor in San Cristóbal in der pro-zapatistischen »Universität der Erde« (CIDECI) aus Sicherheitsgründen registrieren sollten, werden sehr freundlich begrüßt.

Die Zapatistas haben den Ort gut vorbereitet und eine Infrastruktur mit kleinen Restaurants, Kiosken, WC- und Waschgelegenheiten geschaffen, um den rund 5000 Teilnehmenden gerecht zu werden. An beiden Seiten des Platzes entlang sind Hunderte Bänke aufgestellt, die mit einer Holz- und Palmenblattkonstruktion darüber effektiv für Schatten sorgen.

Kulturell, sportlich, politisch

Mehr als 1000 Milizionär*innen, uniformiert und mit Schlagstöcken ausgerüstet, stehen abwechselnd rund um die Uhr Wache, um die Feiernden vor möglichen Angriffen zu schützen. Denn neben den repressiven staatlichen Kräften gibt es immer mehr Einfluss krimineller Gruppen. Wie immer bei den Zapatistas gilt ein absolutes Alkohol- und Drogenverbot, das die Frauen 1993 durchgesetzt haben.

Insgesamt werden über 100 kulturelle, sportliche und politische Aktivitäten, Beiträge und Workshops angeboten, die gut angenommen werden. Der rote Faden bei fast allen inhaltlichen und kulturellen Veranstaltungen ist der neue Leitsatz »El Común«, die Gemeinschaftlichkeit. Die Zapatistas wollen jedwede weitere Landprivatisierung verhindern. Es geht ihnen um die gemeinschaftliche Nutzung auf der Basis von Freiwilligkeit. Auch Arbeiten in anderen gesellschaftlichen Bereichen sollen stärker vergesellschaftet werden. Dazu sind auch Nicht-Zapatistas eingeladen, die den Zielen der Bewegung nahestehen.

Zur Erinnerung: Am 1. Januar 1994 – damals trat das neoliberale Freihandelsabkommen Nafta zwischen Kanada, Mexiko und den USA in Kraft – hatte sich die EZLN gegen Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Naturzerstörung bewaffnet erhoben. Nach zwölf Tagen kam es dank der zivilgesellschaftlichen Proteste gegen die Gewalt des mexikanischen Militärs zu einem Waffenstillstand.

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Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Beim jüngsten Treffen erläuterte Subcomandante Moisés, Sprecher und Militärchef der EZLN, im Namen aller Zapatistas am Abend des 31. Dezembers in seiner Rede die aktuellen Analysen und Vorschläge der Organisation: »Der Kapitalismus kann nicht humanisiert werden. Wir müssen an das Gute denken. Das ist unsere Aufgabe. Das Eigentum muss der Bevölkerung gehören und gemeinschaftlich sein. Und die Bevölkerung muss sich selbst regieren.« Moisés unterstreicht, dass die Zapatisten keine paternalistische Bevormundung dulden: »Diese Leute glauben, dass sie alles wissen. Sie entscheiden über alle Sektoren der Arbeiter*innen. Organisieren wir uns! Dafür brauchen wir kein großartiges Studium. Was nötig ist, ist zu überlegen, wie wir das verändern können. Und das wird uns niemand sagen. Das machen wir selbst, die Bevölkerung. Wir werden diesem Weg weiter folgen. Wir brauchen die Soldaten und die schlechten Regierungen nicht töten. Aber wenn sie kommen, werden wir uns verteidigen.« Moisés unterstreicht, was die Jugendlichen in ihren Theaterstücken herrschaftskritisch vermittelt haben: »Diese Pyramide ist unnütz.« Er schloss mit den Worten: »Dies werden wir in den nächsten Jahren weiter tun: Die Bevölkerung gibt Anweisungen und die (autonome) Regierung gehorcht. Und die Produktionsmittel sind gemeinschaftlich und es ist die Bevölkerung, die sich darum kümmert.«

Totgesagte leben länger

Im Rahmen des Festes wird sich vielfältig ausgetauscht. Valentina, freie Journalistin aus Mexiko-Stadt, betont die Rolle der Jugend und der Frauen: »Seit 30 Jahren bauen die Zapatistas ihre Autonomie auf. Die Bewegung wurde immer wieder totgesagt. Doch hier sehen wir wieder einmal klar, dass neben den Männern viele zapatistische Jugendliche und Frauen äußerst aktiv teilnehmen. Wundervolle Rede-, Theater- und Musikbeiträge, alles hochpolitisch, aber mit viel Spaß, obwohl das Leben in Mexiko wahrlich nicht einfach ist.«

Dorit vom Kollektiv Aroma Zapatista aus Hamburg, das Kaffee von zapatistischen Kollektiven vertreibt, schildert ihre Erfahrungen so: »Mir haben die Beiträge sehr gut gefallen. Toll fand ich, dass es viele Pausengespräche gab. Da lernen sich einfach viele Menschen kennen oder treffen sich wieder. Es entstehen Kontakte und Netzwerke, die oft lange halten. Und es ist schön, dass mehrere Generationen aus vielen Ländern zusammenkommen.«

Hannes, Medienaktivist in Zentralamerika, beschreibt seine Eindrücke wie folgt: »Die Zapatistas haben ein klares Zeichen gesetzt, dass sie noch immer existieren und dass sie viele sind. Und vor allem, dass sie sich weiterentwickeln, also dass ihr Motto ›Fragend schreiten wir voran‹ weiter gilt. Das zentrale Wort des Treffens war ›El Común‹. Der Zapatismus verstärkt das Gemeinschaftliche. Es ist gerade eine neue Etappe, in der sich die Compas (Genoss*innen) mehr öffnen. Sie sind an anderen Vorschlägen interessiert und es gibt eine Einladung zum Dialog.«

Salvador Campanur vom autonomen CNI (Nationaler indigener Kongress) aus dem mexikanischen Bundesstaat Michoacán ist überzeugt: »Wir konnten Kriminalität und staatliche Übergriffe deutlich zurückdrängen. Hier, in Chiapas und auch in anderen Regionen zeigt sich, dass basisdemokratische Strukturen meist tatsächlich besser als staatliche funktionieren. Wir werden weiter vorwärts kommen!«

Die basisdemokratischen Strukturen haben die Zapatistas nach jahrelangen Diskussionen ab November 2023 in ihren Gebieten noch einmal vertieft. Die Dörfer erhalten mehr Befugnisse, bleiben aber weiterhin überregional vernetzt. In Dolores Hidalgo waren weitere positive Entwicklungen deutlich spürbar.

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