Agrarpolitik: Satt an Gentechnik, Hunger nach Wende

Tausende demonstrieren in Berlin für umweltgerechte Landwirtschaft und gegen Rechtsextremismus

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine junge Frau sitzt auf einem Spielzeugtraktor, umwickelt von einem Seil, an dessen beiden Enden kräftig gezogen wird. Ihre Peiniger*innen zur Rechten tragen die Namen großer Agrarkonzerne am Jackett, die drei zur Linken sind mit den Supermarktlogos Aldi, Lidl und Netto beschriftet. Dahinter wedeln mehrere junge Menschen mit Christian-Lindner-Maske und Cheerleader-Pompons und skandieren: »Bio statt Bayer! Großkonzerne weg vom Acker!«

Es ist eine Aktion von Jugend-Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden wie BUND-Jugend, Junge Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (ABL) und Fridays for Future, kurz vor Beginn der diesjährigen Großdemonstration des Bündnisses »Wir haben es satt!« am Samstag vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin. »Wir wollen darauf aufmerksam machen, wie Bäuer*innen im Profitinteresse von Agrar- und Einzelhandelskonzernen gefangen sind«, sagt Jona Hornig von der BUND-Jugend zu »nd«. Bundesfinanzminister Lindner (FDP) habe mit seiner Rede bei einer Bauerndemo in der vergangenen Woche deutlich gemacht, dass er lieber das Bürgergeld als diese Profite kürzen würde.

Das wird bei der Demonstration für eine nachhaltige Agrarwende, die schon seit vielen Jahren während der Landwirtschaftsmesse Grüne Woche stattfindet, immer wieder kritisiert. »Wir lassen nicht zu, dass Lindner Bäuer*innen gegen Arbeitslose ausspielt«, erklärt Johannes Kiefl von »Wir haben es satt!« auf der Bühne vor der SPD-Zentrale. Hunderte Menschen unterschiedlichen Alters haben sich trotz Kälte eingefunden und halten Schilder mit Slogans wie »Agrarwende jetzt« oder »Braune Rüben unterpflügen« in die Höhe. Zwischen ihnen sind die traditionellen aufblasbaren Riesen-Kühe und -Schweine zu sehen. Insgesamt beteiligen sich laut Bündnis 8000 Menschen an der Demo.

Hinzu kommen Landwirt*innen, die sich allmählich mit rund 50 Traktoren in der Wilhelmstraße aufstellen, um den Demozug anzuführen. Am Vormittag hatten sie bereits dem internationalen Agrarminister*innengipfel bei der Grünen Woche einen Besuch abgestattet, dessen Vorsitz Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) innehat. Ihm übergaben sie eine Protestnote mit dem Titel »Ungerechtigkeit und Hunger stoppen – bäuerliche Rechte weltweit stärken«, die auch ein zu zaghaftes Vorgehen der Bundesregierung bei der Finanzierung von mehr Tierwohl kritisiert.

Das Motto der Demonstration – »Gutes Essen braucht Zukunft« – bedeute, dass es eine Transformation hin zu bäuerlicher, also nicht-industrieller, und gentechnikfreier Landwirtschaft benötige, sagt Bündnissprecherin Inka Lange zu »nd«. Die erste Forderung der 62 Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz, die sich zu »Wir haben es satt« zusammengeschlossen haben, lautet, klimaschädliche Subventionen zu streichen – genau das, was die Ampel-Regierung mit der schrittweisen Abschaffung der Agrardiesel-Förderung vorhat und wogegen zuletzt tausende Landwirt*innen protestierten.

Sie könne den Frust der Bäuer*innen gut verstehen, sagt Lange. Viele könnten von den Nahrungsmitteln, die sie produzieren, kaum leben und seien von Subventionen abhängig. »Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen verfehlten Agrarpolitik.« Es brauche faire Erzeuger*innepreise und finanzielle Unterstützung für einen umwelt- und tiergerechten Umbau der Höfe.

Auch das Thema Gentechnik sei wichtig, da auf EU-Ebene im Februar über eine Deregulierung entschieden wird. Dadurch würden die Risikoprüfung neuer Gentechniken abgeschafft und gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht mehr entsprechend gekennzeichnet. Das bedeute »das Aus für unsere Wahlfreiheit«, sagt Milana Müller von der Grünen Liga. Und: »Gentechnik ist im Unterschied zu normalen Züchtungen patentierbar«, erklärt Benny Haerling von der Initiative Save our Seeds. Das sei ein Geschäftsmodell, das kleinbäuerliche Existenzen vernichten könne.

Davon berichtet Elizabeth Cruzada von der Asiatischen Plattform für Agrarökologie und Ernährungssouveränität in ihrer Rede: 85 Prozent der Äcker ihrer philippinischen Heimat seien bereits mit Genmais bepflanzt, die traditionellen Samen gingen so verloren. Einheimische Landwirt*innen würden weniger als zwei Dollar am Tag verdienen. »Die großen Agrarunternehmen haben uns Zerstörung gebracht«, sagt sie und fordert ein »großes Buh« von ihren Zuhörer*innen, die lautstark Folge leisten.

Satt hat das Bündnis aber nicht nur die Agrarindustrie, sondern auch Rechtsextremismus. Dass viele Bauerndemos in den vergangenen Wochen von rechts gekapert worden seien, »davon distanzieren wir uns klar und deutlich«, erklärt die Junge-ABL-Sprecherin Carla auf der Bühne. »Nachhaltige Politik wird es nie von rechts, sondern immer nur gegen rechts geben«, ergänzt Luisa Neubauer von Fridays for Future.

Nach der Auftaktveranstaltung vor der SPD-Zentrale stattet die Demo auch den anderen Ampelkoalitionspartnern einen Besuch ab, zieht am FDP-geführten Finanz- sowie am grün geführten Landwirtschaftsministerium vorbei und endet am Bundeskanzleramt. Die Stimmung sei gut, sagen Ela und Tina zu »nd«, zwei Teilnehmer*innen, die sich zur Musik warm tanzen. Sie gehen seit vielen Jahren zur »Wir haben es satt!«-Demo, vor allem tiergerechte Haltung sei ihnen wichtig. Doch dieses Jahr komme ihnen der Protest kleiner vor. Das stimmt: 2023 waren es 10 000, vor fünf Jahren sogar 35 000 Menschen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal