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Darmstadt mit Urschrei-Therapie zum 2:2 gegen Eintracht Frankfurt
Im hessischen Derby erkämpfen die Lilien einen Punkt gegen den Favoriten
Und dann explodierte mitten im Spiel das Stadion. Zumindest benutzte Torwart Marcel Schuhen diese Wendung, als er zu beschreiben versuchte, wie es sich angefühlt hat, als sein Darmstädter Team nach einer Stunde den Anschlusstreffer im Hessenderby gegen Eintracht Frankfurt geschossen hatte: »Das Stadion ist total explodiert. Das ist das, was wir brauchen.« Dass es eine halbe Stunde später, als seine Mannschaft sogar ausgleichen konnte, noch lauter wurde, weil viele tausend Menschen gleichzeitig eine Urschreitherapie aufführten, kommentierte der Darmstädter Keeper dann vergleichsweise nüchtern: »Jeder hat heute das wahre Böllenfalltor gesehen. Daran messe ich die Leute auf der Tribüne jetzt auch, so wie sie uns messen.«
Man darf vermuten, dass die Emotionen auf und neben dem Platz am Sonnabend auch deshalb so vehement ausfielen, weil Darmstadt nach dem ebenso verdienten wie deutlichen 0:2-Rückstand durch die Tore für Eintracht Frankfurt von Niels Nkounkou in der 33. Minute und Ansgar Knauff sechs Minuten nach dem Anpfiff der zweiten Halbzeit wohl selbst nicht mehr so recht daran glauben konnte, dass es aus diesem Bundesligaspiel noch einen Zähler holen können. Vor allem deshalb nicht, weil die Dramaturgie so vieler Spiele der Lilien in dieser Saison ja bekannt ist: Der Aufsteiger gibt alles, wird freundlich gelobt, muss die Punkte aber dem Gegner überlassen.
Sisyphos kann eben auch ein unterfinanzierter, aber angemessen motivierter Aufsteiger wie Darmstadt sein – der Stein rollt dennoch immer wieder bergab. Aufgegeben hat der König der Korinther damals bekanntlich ebenso wenig wie das Team des Marcel Schuhen aus Kirchen an der Sieg. »Beim besten Willen: Was sollen wir heute noch mehr tun? Irgendwann kommt der Moment, an dem du dir das verdienst«, sagte der 31-Jährige später dann am Sonnabend und meinte: Punkte.
Wenn auch der sichtlich geknickte Frankfurter Trainer Dino Toppmöller von einer verdienten Punkteteilung sprach, war das allerdings ebenso komisch wie richtig, weil Darmstadt zwar eine Stunde lang hochenergetisch spielte, aber dennoch klar unterlegen war. Die Eintracht, deren Stadion 23 Kilometer vom »Bölle« entfernt liegt, hatte das Spiel lange Zeit völlig im Griff und machte es den Hausherren viel schwerer als in der Vorwoche Dortmund, ein sauberes Aufbauspiel aufzuziehen. Selten in dieser Saison waren die Lilien so chancenlos wie in dieser ersten Stunde gegen gut aufgelegte Frankfurter: Neuzugang Saša Kalajdzič spielte zwei wirklich sensationelle Pässe, von denen einer den Führungstreffer brachte, Mario Götze gefiel als Ballverteiler und das Kollektiv wirkte konzentriert wie ein Team, das weiß, dass hier nur eigene Fehler und Schludrigkeiten zu Punktverlusten führen können. Umso unerklärlicher, was dann auf Seiten des Favoriten nach dem von einem schlampigen Pass von Keeper Kevin Trapp begünstigten Anschlusstreffer durch Julian Justvan in der 61. Minute passierte. Nämlich nichts mehr.
Auf Frankfurter Seite wurden nach dem Schlusspfiff wahlweise »volle Hosen« (Kalajdzič) oder »Passivität« als Erklärungsansatz bemüht, um den krassen Leistungsabfall im letzten Drittel zu erklären. »Wir hatten heute die Chance auf Big Points, waren dann aber viel zu passiv«, analysierte Sportdirektor Markus Krösche: »Wir müssen einfach aufs dritte Tor spielen.«
So sah es auch Sebastian Rode, der nach langer Verletzungspause noch zwei Minuten mitspielen durfte und dadurch aus nächster Nähe miterleben durfte, wie Christoph Klarer in letzter Sekunde den Ausgleich schoss. Man dürfe eben keine Angst haben, etwas zu verlieren, wenn man gewinnen wolle, fand Rode. Damit sprach er, der in Seeheim-Jugenheim bei Darmstadt aufgewachsen ist, unbeabsichtigt an, was das Besondere am tapferen Aufsteiger aus dem Südhessischen ist. Er weiß, dass bei den meisten Gegnern in der Bundesliga mindestens zwei, drei Fußballer spielen, die zusammen den Marktwert des gesamten eigenen Kaders haben. Und er weiß, dass er auch deshalb ziemlich viele der kommenden 16 Spiele verlieren wird. Vor allem aber weiß er, dass er nur dann die Option auf Punkte hat, wenn er jede Partie nach dem »Alles-oder-Nichts-Prinzip« spielt.
»Ergebnisunabhängig denken«, hat Torwart Schuhen das am Sonnabend genannt. Und, nein, Angst, haben sie definitiv nicht in Darmstadt. Dafür nun aber die gleiche magere Punktzahl wie Mainz und Köln auf Platz 16 und 17. Und kommenden Sonnabend geht es nach Köpenick, zum derzeit drei Zähler entfernten Tabellen-15. Union Berlin. Wenn sie in Darmstadt trotz ihrer mickrigen elf Zähler an den Klassenerhalt glauben, ist das also gar nicht so unrealistisch. Nach der Willensleistung vom Sonnabend schon mal gar nicht.
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