Ukraine: Kein Platz für Gefühle und Kritik

Daniel Säwert zur Absetzung des ukrainischen Armeechefs

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Ende taten Wolodymyr Selenskyj und Walerij Saluschnyj so, als würden sie sich vertragen und im Guten auseinandergehen. Wie zum Beweis ließ der ukrainische Präsident ein Foto veröffentlichen, dass ihn und seinen nun entlassenen Armeechef im freundschaftlichen Händedruck zeigt, Lächeln inklusive. Auch mit warmen Worten sparte Selenskyj nicht und verlieh Saluschnyj als Dank für seine Arbeit den Titel »Held der Ukraine«.

Das Bild, die das ukrainische Präsidentenbüro am Donnerstag verbreitete, soll vor allem eine Nachricht in die Welt tragen: Unsere Reihen sind geschlossen. Anders geht es auch nicht. Die Führung des Landes kann es sich nicht erlauben, schlechte Bilder zu produzieren. Schließlich steht nichts weniger als das Überleben der Ukraine auf dem Spiel.

Saluschnyj bei den Ukrainern beliebter als Selenskyj

Und doch sind Zweifel an der Aufrichtigkeit von Selenskyjs warmen Worten angebracht. Denn das Band zwischen dem Präsidenten und seinem Oberkommandierenden war seit Monaten zerrissen, die Demission nur eine Frage der Zeit. Mit seinen Kolumnen für englischsprachige Medien hat Saluschnyj den Zorn des Staatsoberhauptes auf sich gezogen. Zum einen, weil er die Texte ohne Zustimmung Selenskyjs schrieb und damit die Rangordnung missachtete. Zum anderen, weil er Kritik an der Staatsspitze und der Kriegsführung äußerte. Ein Affront gegen Selenskyj, der stets darauf bedacht ist, der Welt zu zeigen, er hätte alles unter Kontrolle.

Mit seiner offenen Art und den militärischen Erfolgen hat es Saluschnyj zum beliebtesten Ukrainer gebracht. Im Gegensatz zu Selenskyj vertrauen ihm die Menschen in der Ukraine, glauben das, was er sagt, kann er doch die Situation an der Front besser und realistischer einschätzen. Selenskyjs Autorität hingegen wurde durch die zunehmende Popularität des Generals im Volke unterminiert. Auch das kommt einem Affront gleich, kann es doch nur eine starke Person in der ukrainischen Führung geben. Und die heißt Wolodymyr Selenskyj.

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Die Schlacht um Bachmut bringt Differenzen zum Vorschein

Der eigentliche Zeitpunkt, an dem die Beziehung zwischen Präsident und Armeechef zerbrach, liegt jedoch weiter zurück, im Sommer und Herbst 2023. Selenskyj macht Saluschnyj für die gescheiterte Gegenoffensive verantwortlich und vergisst dabei, dass der General stets mehr Realist war als er selbst. Dass seine täglichen Ankündigungen des bevorstehenden Sieges bei Teilen der Bevölkerung nicht mehr ankommen und auch er einen Anteil am Gemetzel von Bachmut hat, sieht Selenskyj nicht ein. Zu gern hätte sich die Armee aus der monatelang umkämpften Stadt in gesicherte Stellungen zurückgezogen. Eine Zustimmung aus Kiew hätte Tausenden ukrainischen Soldaten das Leben gerettet. Stattdessen wurde erfolglos um jeden Zentimeter gekämpft.

Verantwortlich dafür war der damalige Chef der Bodentruppen und neue Oberbefehlshaber, Oleksandr Syrskyj. Der Generaloberst, seit 2014 an der Front im Osten der Ukraine, ist ein erfahrener Soldat, der mit der Verteidigung Kiews im Frühjahr 2022 und der Rückeroberung vieler Gebiete große Reputation erlangt hat. Den Verlust Bachmuts konnte er indes nicht verhindern. Für die Bereitschaft, viele Soldaten für die Verteidigung zu opfern, erhielt er von seinen Untergebenen den Spitznamen »Fleischer von Bachmut«.

Selenskyj braucht einen Soldaten, keinen Kritiker

Für Selenskyj, der sich für die Absetzung Saluschnyjs die indirekte Zustimmung aus Washington abholte, ist Syrskyj die logische Wahl. Mit ihm hat er nun einen systemkonformen Armeechef, der bedingungslos bereit zu sein scheint, die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete durchzusetzen. Zugleich ist die Entscheidung auch ein Risiko. Denn Selenskyj stellt sich damit gegen die eigenen Soldaten, bei denen Saluschnyj im Gegensatz zum »Fleischer von Bachmut« beliebt war. Doch für Selenskyj hängt vom weiteren Verlauf das eigene politische Überleben ab. Für Gefühle ist da kein Platz.

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