• Kultur
  • Lateinamerika-Solidarität

»ila«Magazin: »Es brennt und wir löschen«

Mirjana Jandik über die prekäre Lage des Lateinamerika-Magazins »ila« vor dem 50. Geburtstag

  • Interview: Martin Ling
  • Lesedauer: 6 Min.
Blick ins Innere der Redaktion: aufgeräumtes Chaos.
Blick ins Innere der Redaktion: aufgeräumtes Chaos.

Die Krise der Tageszeitungen ist durch die Konkurrenz des unschlagbar schnellen Internets mit seinem breiten Gratisangebot seit Jahren vorgezeichnet gewesen. Steigende Produktions- und Vertriebskosten in Kombination mit dadurch zwingend steigenden Abopreisen haben dort die Krise zusätzlich verschärft. Jetzt aber scheint die Printkrise auch Monatszeitungen zu treffen, die linke Monatszeitschrift »Konkret«, aber auch das Lateinamerika-Magazin »ila« aus Bonn. Lassen sich die Hauptkrisenfaktoren bei der »ila« ausmachen?

Auf den Punkt gebracht: Generationenwechsel, politische Verschiebungen, veränderte Medienlandschaft, steigende Kosten. Lateinamerika ist nicht mehr die hoffnungsvolle Projektionsfläche der deutschen Linken, die der Kontinent in den 1980er Jahren war, als die Leute scharenweise zu Soli-Brigaden nach Nicaragua aufbrachen. Mit all den Krisen vor der Haustür liegt es vielleicht nicht so nahe, sich auch noch mit den Krisen in Lateinamerika zu beschäftigen. Dabei sind Autoritarismus oder Klimakrise globale Phänomene, die uns alle betreffen, Latinxs in Lateinamerika und in der Diaspora genauso wie die postmigrantische Gesellschaft in Deutschland. Die feministische Bewegung in Deutschland hat zum Beispiel unglaublich viel von den lateinamerikanischen Compañeras gelernt. Und dann haben wir es heute nicht mehr mit einem Informationsmangel zu tun wie in den 1980ern, sondern mit einem Informationsüberfluss, im Internet ist alles jederzeit recherchierbar, in unterschiedlicher Qualität natürlich. Das merken wir, wenn Leute uns schreiben: Ihr seid toll, aber ich komme mit dem Lesen nicht hinterher. Richtig hart ist es aber seit der Teuerung des Lebens in den vergangenen drei Jahren geworden. Sogar langjährige Abonnent*innen haben gekündigt, weil sie plötzlich schauen müssen, wie sie ans Monatsende kommen.

Wie steht es um die »ila«?

Wir arbeiten schon immer mit sehr geringen finanziellen Mitteln. Ohne das riesige Netzwerk an ehrenamtlichen Redaktionsmitgliedern, Korrespondent*innen und Übersetzer*innen ginge gar nichts. Aber gerade ist es noch ernster als sonst: Vergangenes Jahr konnte ich ein paar Mal die Gehälter erst Ende des Monats überweisen, weil einfach kein Geld auf dem Konto war. Dabei sind es nur zwei niedrige Teilzeitgehälter.

Interview

Mirjana Jandik hat Lateinamerikastudien, Psychologie und Kulturanthropologie in Bonn und Cuenca (Ecuador) studiert. Seit acht Jahren ist sie ehrenamtliches Redaktionsmitglied bei der »ila« und seit einem Jahr feste Redakteurin, daneben arbeitet sie als freie Autorin mit Schwerpunkt Feminismus und Geschlechterverhältnisse. 

Mit einer Spenden- und Abokampagne versucht die »ila« gegenzusteuern. Was sind die Ziele und wie ist sie angelaufen?

Wir haben zwei Ziele: 200 neue Abos und 20 000 Euro Spenden. Abos sind für uns das Wichtigste, weil sie unsere Arbeit nachhaltig finanzieren. Und mit dem Crowdfunding wollen wir unsere Website grundlegend überholen. Artikel sollen auf dem Handy lesbar sein und unsere Inhalte besser auffindbar. Die mittelfristige Vision: Auf dieser neuen Website wollen wir alle »ila«-Artikel seit Dezember 1976 zugänglich machen und damit ein Archiv der Soli-Bewegung aufbauen. Wir bekommen außerdem viele unserer Artikel auf Spanisch, Portugiesisch oder Englisch und übersetzen sie für die Printausgabe. Auf einer neuen Homepage sollen auch die Originaltexte verfügbar sein. Denn vor allem Latinxs in Deutschland sagen uns oft: Sie finden es super, dass wir lateinamerikanische Debatten nach Deutschland bringen, aber sie selbst lesen lieber auf Spanisch oder Portugiesisch. Die Kampagne läuft noch bis zum 14. Februar – Aschermittwoch, wir sind schließlich im Rheinland. Aber auch danach sind wir auf Unterstützung durch Dauerspenden und vor allem durch Abos angewiesen.

Über das Stopfen von Löchern hinaus. Mit welchen Themen kann ein Monatsmagazin zu Lateinamerika zukunftsfähig werden, wenn mit der Informationsflut die Aufmerksamkeitsspanne generell sinkt?

Vielleicht ist das ein bisschen Eigenlob, aber ich denke, an unseren Themen liegt es nicht. Die Hälfte einer Ausgabe besteht aus Hintergründen, aktuellen Berichten und Kultur. Die andere Hälfte widmet sich einem Schwerpunkt, die kommenden sind Reproduktive Gerechtigkeit und Energieimperialismus. Jede Ausgabe beleuchtet ein Thema, das sowohl in Europa als auch in Lateinamerika relevant und aktuell ist. Geopolitische Machtverschiebungen erklärt man nicht mit einem Instagram-Post, in zwölf gut recherchierten Artikeln, die zum Teil auch unterschiedliche Positionen vertreten, schon eher. Das haben wir beim Schwerpunkt »Geopolitik« im September gemacht. Manchmal leisten wir Pionierarbeit, weil es auf Deutsch noch kaum was dazu gibt, wie bei unseren Schwerpunkten zu Mate oder zum brasilianischen Musikgenre Baile Funk. Und manchmal lernen wir während der Konzeption auch, dass die Fragen, die wir von Deutschland aus stellen, gar nicht die richtigen sind. Das März-Heft sollte den Schwerpunkt »Reproduktionstechnologien« haben, angestoßen von Debatten über künstliche Befruchtung, Eizellenspende und Leihmutterschaft, die die Ampel-Regierung neu regeln will. In Lateinamerika ist das zwar ein Thema, aber da müssen wir uns auch damit beschäftigen, wer zum Beispiel durch Zwangssterilisierungen am Kinderkriegen gehindert wird. Feminist*innen nutzen deswegen das in den 1990ern von Schwarzen Feministinnen eingebrachte Konzept der Reproduktiven Gerechtigkeit: Gefordert wird, dass alle selbstbestimmt entscheiden können, eine Schwangerschaft abzubrechen, aber eben auch sicher, würdig und selbstbestimmt Kinder zu kriegen. Natürlich fragen wir uns, welche Formate heute gut funktionieren, wie wir abwechslungsreicher werden und die Reichweite erhöhen. Deswegen freuen wir uns immer über Zuwachs in der Redaktion.

Im November 2025 wird die »ila« 50. Laufen die Planungen zur Feier schon an, oder wird nur von Monat zu Monat und Jahr zu Jahr gedacht?

Klar ist bei uns viel Feuerwehrmodus: Es brennt und wir löschen. Aber das Jubiläum haben wir schon im Blick! 1975 hat sich die »ila« gegründet, als deutsche Unterstützer*innengruppe für das Zweite Russell-Tribunal, das die Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika untersuchte. Seit Dezember 1976 erscheint die »ila« als regelmäßige Monatszeitschrift. Deswegen wollen wir jetzt die dringenden Baustellen angehen – Renovierung, neue Homepage, neues Verwaltungsprogramm – und dann 2026 ein großes Jubiläum feiern. Und damit wir es bis dahin schaffen, brauchen wir Unterstützung durch neue Abos!

Worin besteht das Vermächtnis der Gründergeneration?

Wir sagen immer: Die »ila« ist der Ort, wo alte weiße Männer gendern und kein Problem mit veganem Essen haben. Seit fast fünf Jahrzehnten arbeiten Anarchist*innen mit Kommunist*innen zusammen, unsere Debatten sind super produktiv. Klar, moderne Moderationsmethoden finden manche von den Oldies nervig. Dafür können wir junge Leute viel von der Gründergeneration lernen, was langfristiges Commitment und messerscharfe politische Analysen angeht. Über die Jahrzehnte ist ein riesiges Autor*innennetzwerk gewachsen, das unersetzlich ist. Was auch bleibt, ist der Anspruch des Anfangs: Stimmen sozialer Bewegungen verstärken, Brücken zu deutschen Aktivist*innen bauen und deutschen Unternehmen und Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika kritisch auf die Finger schauen.

Der Spendenaufruf der »ila« findet sich hier.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal