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DDR-Museumswohnung: Als die Platte ein Neubau war

In Berlin erlaubt die DDR-Museumswohnung eine Zeitreise ins Jahr 1986 – und feiert jetzt Jubiläum

42 000 WBS-70-Wohnungen wurden in Berlin-Hellersdorf gebaut und diese sieht noch aus wie einst.
42 000 WBS-70-Wohnungen wurden in Berlin-Hellersdorf gebaut und diese sieht noch aus wie einst.

»Wir haben Neubau gesagt, nicht Platte«, betont Wolfgang Sawatzki. Er war bis zur Rente bei der landeseigenen Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft mbH als Hausmeister beschäftigt. Nun betreut der 77-Jährige schon sehr lange die DDR-Museumswohnung in Berlin-Hellersdorf. Vor 20 Jahren, am 16. Februar 2004, wurde sie eröffnet. Auch für Filmdrehs wird die Wohnung immer wieder gebucht. So sind im Laufe der Zeit die Schauspieler Michael Gwisdek, Devid Striesow und Eva Padberg dort gewesen.

Gebaut wurde der Block an der Hellersdorfer Straße im Jahr 1986 vom Wohnungsbaukombinat Cottbus. Seinerzeit wurden Bauarbeiter aus der ganzen Republik in die Hauptstadt entsandt, um den neuen Bezirk Hellersdorf aus der Erde zu stampfen. Genau so eine Wohnung vom Typ WBS 70 wie diese hier im Parterre bezog Sawatzki damals ein kleines Stück entfernt. Inzwischen hat er eine andere, etwas weiter weg.

Bis auf wenige Details ist die Museumswohnung im Originalzustand zu besichtigen. Das betrifft die Ausstattung und die Einrichtung. Neu ist etwa das Thermostat am Heizkörper im Wohnzimmer. Es ist die letzte Wohnung in Berlin-Hellersdorf, die noch fast genauso aussieht wie in den 80er Jahren – oder besser gesagt, die wieder so aussieht. Denn als bei Stadt und Land um das Jahr 2000 herum die Idee aufkam, bei der Sanierung des Viertels eine Wohnung im ursprünglichen Zustand zu konservieren, musste dieser Zustand erst einmal wiederhergestellt werden.

Für zwei Zimmer seien die Tapeten nach alten Mustern extra nachproduziert worden, berichtet Stadt-und-Land-Geschäftsführer Ingo Malter. Vor 20 Jahren standen in Berlin viele Wohnungen leer. Da fiel es nicht schwer, eine für das Museumsprojekt zu erübrigen. Mittlerweile herrscht wieder ein großer Mangel an Wohnraum. Doch von den 24 000 Besuchern, die seit 2004 in der Museumswohnung vorbeischauten, äußerten viele, sie solle unbedingt erhalten bleiben.

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Mieter der Wohnungsgesellschaft spendeten die Möbel und andere Einrichtungsgegenstände – die neu angeschafft einst zusammen einen Wert von rund 9700 Mark gehabt haben. Mit allein 4200 Mark schlägt dabei der im RFT-Werk Staßfurt gefertigte Farbfernseher zu Buche. Dagegen betrug die Warmmiete für die 61 Quadratmeter bis 1989 nur 109 Mark im Monat beziehungsweise umgerechnet knapp 28 Euro. Heute dagegen verlangt Stadt und Land für so eine Wohnung etwa 385 Euro nettokalt zuzüglich rund 150 Euro Nebenkosten, wie Geschäftsführer Malter auf Nachfrage überschlägt. Und das ist noch günstig für die Verhältnisse auf dem Berliner Wohnungsmarkt.

Malter wuchs in Westdeutschland auf. Trotzdem wecken die Kochtöpfe in der Küche bei ihm Kindheitserinnerungen. So grundlegend unterschiedlich waren das Design und der Geschmack in Ost und West dann doch nicht. Untypisch ist das Telefon im Wohnzimmer, obwohl klassisch mit Wählscheibe. Denn über ein Telefon verfügten in der DDR in den 80er Jahren nur vier Prozent der privaten Haushalte. Die schlüssige Erklärung hängt im Kinderzimmer am Schrank: die Uniform eines Volkspolizisten. Denn Polizisten bekamen ein Telefon, genauso wie Ärzte, die in dringenden Fällen auch schnell erreichbar sein mussten.

»Es ist, wie es war«, lobt Sozialstadträtin Juliane Witt (Linke) die gelungene Darstellung der Vergangenheit, die nicht ins Negative kippt. »Das ist eine Erinnerung an gelebtes Leben, an ein Miteinander.« Nach der Wende erlebten die Menschen leidvoll, wie das bröckelte, Nachbarn wegzogen und Häuser abgerissen wurden. »Es ist mehr kaputt gegangen als eine Tür«, fasst Witt zusammen.

»Mich bewegt natürlich die Gegenwart«, sagt Ex-Stadtrat Heinrich Niemann (Linke). Er war ab 1992 anderthalb Jahrzehnte lang in Marzahn-Hellersdorf im Amt, viele Jahre für das Gesundheitswesen zuständig, aber zeitweise auch für die Stadtentwicklung. »Es ist heute schwer, hier im Bezirk eine Wohnung in der Platte zu bekommen.« Für Niemann ist das ein »Phänomen«, erlebte er doch die Nachwendezeit, in der die Wohnblöcke schlechtgeredet wurden, die vor 1989 so begehrt waren.

Heute soll Stadt und Land so schnell wie möglich neue Quartiere bauen. Man habe sich deshalb bei der Entwicklung eines Typenhauses etwas bei der seriellen Bauweise der DDR abgeschaut, verrät Geschäftsführer Malter. Er erkennt an: »Die vielgescholtene Platte erweist sich denn doch jetzt als flexibel, vielgestaltig und nachhaltig.«

Museumswohnung WBS 70, Hellersdorfer Straße 179, So. 14-16 Uhr und nach Absprache unter Tel.: (0151)16 11 44 47, Eintritt frei

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