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Taurus Leak: Bundesregierung unter Druck

Offiziersgespräch soll Beleg für falsche Begründung der Ablehnung von Raketenlieferungen an Kiew sein

Zwei Themen dominieren die deutschen Medienberichte über die Veröffentlichung einer Plauderei mit brisantem Inhalt unter Bundeswehrgenerälen: Erstens der »Informationskrieg«, den Russland gegen Westeuropa führe – unter Auslassung der Tatsache, dass Geheimdienste des Westens spätestens seit 2014 auf dem Boden der Ukraine Sabotageakte und Konflikte schürende Operationen durchführen. Darüber hatte die »New York Times« Ende vergangener Woche berichtet.

Zweitens: Politiker wie Journalisten sehen das geleakte Geheimgespräch unter hochrangigen Soldaten vom 19. Februar als Beleg dafür, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vergangene Woche »wider besseres Wissen« behauptet habe, deutsche Taurus-Marschflugkörper dürften nicht an die Ukraine geliefert werden, weil sie nur von daran ausgebildeten Bundeswehrangehörigen bedient und abgeschossen werden könnten.

Damit, so Scholz, wäre die Bundesrepublik zweifelsfrei Kriegspartei bzw. werde von Russland als solche angesehen. Das aber könne niemand wollen, der in Verantwortung für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung stehe. »Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland«, hatte der Kanzler vor einer Woche vor Journalisten erklärt. Am Montag bekräftigte er seine Position.

Doch in dem 38-minütigen Gespräch sagten die vier daran beteiligten Offiziere keineswegs, dass der Betrieb der Präzisions-Marschflugkörper ganz ohne westliche Militärs möglich ist. Vielmehr kamen sie zu dem Ergebnis, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre – und dass eine Taurus-Ausbildung ukrainischer Soldaten für einen Einsatz in alleiniger Regie Monate dauern würde. Außerdem sprachen die Männer – unter ihnen der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, und Brigadegeneral Frank Gräfe – über Einsatzmöglichkeiten für die Taurus-Lenkraketen, konkret bei der Sprengung der Brücke über die Straße von Kertsch. Die Brücke über die Meerenge zwischen Schwarzem und Asowschem Meer ist die einzige Verbindung der von Russland 2014 annektierten Halbinsel Krim mit dem russischen Festland.

Und sie sagten nicht etwa, dass keine westlichen Experten für die Bedienung der Marschflugkörper benötigt werden. Sondern erörterten, mit welchen Tricks man es so drehen kann, dass es keine direkte Beteiligung von Bundeswehrangehörigen gibt. Dabei wird deutlich, in welchem Ausmaß die deutsche Luftwaffe mit dem europäischen MBDA-Konzern verbandelt ist, zu dem die im oberbayerischen Schrobenhausen ansässige Firma Taurus Systems gehört, die die Lenkraketen baut. Die Kooperation mit Fachleuten aus Schrobenhausen und der Name MBDA fallen mehrfach in dem geleakten Gespräch.

MBDA steht für Matra BAE Dynamics Aérospatiale. An dem Konstrukt sind Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus, das britische Rüstungs- und Luftfahrtunternehmen BAE Systems und das italienische Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtunternehmen Leonardo beteiligt.

Unterdessen versucht die Bundesregierung mit Blick auf die Abhöraffäre bislang, die Wogen zu glätten und mahnt zur Besonnenheit. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) spricht zwar von der Notwendigkeit der Aufarbeitung der von den am Gespräch beteiligten Offiziere begangenen Fehler – sie nutzten mit WebEx eine frei zugängliche Plattform für Videokonferenzen. Er vermied es jedoch, personelle Konsequenzen zu fordern.

Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner sagte am Montag in Berlin, man werde die Aufklärung des Vorfalls weiter vorantreiben. Man dürfe jedoch »nicht das Spiel Putins spielen«. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes mahnte, die Bundesregierung dürfe sich nicht von Äußerungen aus dem Kreml einschüchtern lassen.

Berichte russischer Medien, wonach wegen des abgehörten Offizierstalks der deutsche Botschafter ins Außenministerium in Moskau einbestellt worden sei, wies der Außenamtssprecher zurück. Zwar habe es dort ein Gespräch mit Botschafter Alexander Graf Lambsdorff gegeben, dieses sei jedoch »schon länger terminiert« gewesen.

Regierungssprecher Büchner betonte, der Vorfall werde keinen Einfluss auf das Handeln der Regierung haben. »Wir haben eine klare Haltung in der Frage, wie wir die Ukraine unterstützen wollen und wie wir sie auch weiter unterstützen werden«, sagte er. Mit Blick auf Äußerungen in russischen Medien, wo auch Vergeltungsschläge auf Infrastruktur in Deutschland diskutiert wurden, sprach Büchner von der bekannten »gezielten Propaganda und Desinformation« aus Moskau.

Der CDU-Militärpolitiker Roderich Kiesewetter warnte vor Irritationen bei Verbündeten. »Unsere Partner Frankreich und Großbritannien betrachten Deutschland jetzt als unsicher, weil Russland Dinge erfährt, die es niemals erfahren dürfte«, sagte er der »Rheinischen Post«. Kiesewetter widersprach erneut dem Bundeskanzler und seiner Darstellung, Deutschland würde durch Taurus-Lieferungen in den Ukraine-Krieg hineingezogen. »Russland hat uns längst als Kriegsgegner benannt«, sagte Kiesewetter gegenüber »Bild«.

Politiker von Grünen und SPD wandten sich derweil gegen Forderungen aus der Union nach einem Untersuchungsausschuss zu der Abhöraffäre. »Für mich steht nicht irgendein Spektakel im Vordergrund, sondern eine echte Aufklärung in der Sache«, sagte die Grünen-Fraktionsvize Agnieszka Brugger dem MDR.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte am Montag zugleich: »So wichtig es für uns als Bundesregierung ist, diesen Vorfall jetzt aufzuklären, so klar sind aber die Fakten. Und es kann hier zu keiner Täter-Opfer-Umkehr kommen.« Hätte Russland die Ukraine nicht »brutalst« angegriffen, müsste sich diese nicht verteidigen, und Deutschland müsste keine Waffen liefern, sagte Baerbock in Montenegros Hauptstadt Podgorica.

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