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Fatah und Hamas bekämpfen sich im Libanon
Innerpalästinensische Konflikte sind eine Hürde auf dem Weg zu einem zukünftigen Palästinenserstaat
Es waren Unbeteiligte, die am Montag im Flüchtlingslager Schatila außerhalb von Beirut starben. »Mein Sohn hätte nie im Leben eine Waffe in die Hand genommen«, sagt Laila Khalili, Mutter eines der beiden toten Palästinenser. Doch es waren keine Kämpfe zwischen Israel und militanten palästinensischen Gruppen, denen die jungen Männer zum Opfer fielen. Sie gerieten zwischen die Fronten der beiden großen palästinensischen Gruppen Fatah und Hamas.
Seit gut einem Jahr bekämpfen sich bewaffnete Milizen, die sich den beiden Organisationen zurechnen, in den Flüchtlingslagern im Libanon. Es geht um die Kontrolle über diesen sehr speziellen Teil »Palästina«: In den Kriegen 1948 und 1967 flüchteten Hunderttausende Palästinenser in die Nachbarländer, zu denen bis 1967 auch noch das Westjordanland und der Gazastreifen zählten. In Jordanien erhielten die Flüchtlinge und deren Nachkommen die Staatsbürgerschaft, was die Bevölkerungsstruktur nachhaltig veränderte. In den meisten anderen arabischen Ländern bestehen wenigstens freie Wahl von Wohnsitz und Arbeitsplatz.
Nur wenig Rechte für Flüchtlinge im Libanon
Im Libanon hingegen verfügen die Flüchtlinge und deren Nachkommen über nur sehr eingeschränkte Rechte. Die Flüchtlingslager sind zwar, wie überall auch, von Zeltstädten zu richtigen Kommunen geworden, sind aber Flüchtlingslager geblieben: Nur dort dürfen die Palästinenser leben. Auch sonst hält sich der libanesische Staat raus, hatte schon vor Jahrzehnten mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), deren größte Teil-Fraktion die Fatah ist, vereinbart, dass sie öffentliche Verwaltung und Ordnung aufrecht erhält.
Viele Jahre lang funktionierte das auch einigermaßen gut, mit Unterstützung des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNRWA, das Bildung, Gesundheitsversorgung und andere grundlegende Infrastruktur sicherstellt. Doch unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit haben die inner-palästinensischen Konflikte hier besonders hart zugeschlagen. UNRWA-Mitarbeiter im Libanon schätzen, dass allein 2023 mindestens 200 Menschen bei Kämpfen zwischen Hamas und Fatah getötet worden sind.
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Niemand weiß, wer das Sagen hat
Wer wo das Sagen hat, wisse man seit Langem nicht mehr. Und es gibt niemanden, der einschreitet, ein Machtwort spricht. Daran änderte sich auch nichts, als UNRWA seine Arbeit im Flüchtlingslager Ain Al-Hilwah im Süden des Libanons im vergangenen Sommer für einige Wochen einstellte, nachdem in den Einrichtungen der Organisation Waffen gefunden worden waren. Einige Male hatten sich auch Kämpfer der Hamas in UN-Gebäuden verschanzt.
Doch es sind die Menschen, die unter solchen Schritten leiden, und so nahm man die Arbeit irgendwann wieder auf. Denn aus den einst 100 000 Palästinensern, die 1948 in den Libanon geflüchtet sind, sind nun gut 500 000 Menschen geworden, die offiziell bei UNRWA als Flüchtlinge oder deren Nachkommen registriert sind. Mit diesem Status hat man Anspruch auf UN-Leistungen.
Rückkehr nach Palästina nicht in Sicht
Wie konnte es dazu kommen, dass fast eine halbe Million Menschen weitgehend rechtlos und ohne Sicherheit lebt? »In den vielen Debatten über Ein- oder Zweistaatenlösung, in Dutzenden Verhandlungsrunden sind die palästinensischen Flüchtlinge zu einem theoretischen Konzept geworden«, sagt der ehemalige britische Regierungschef Tony Blair, der zwischen 2007 und 2015 als Gesandter des »Nahostquartetts« aus Europäischer Union, Uno, Vereinigten Staaten und Russland versuchte, einen israelisch-palästinensischen Frieden auszuhandeln: »Mein Eindruck ist, dass viele Politiker und Diplomaten das Gespür dafür verloren haben, dass sie es mit echten Menschen und deren Bedürfnissen zu tun haben.« So sei immer gesagt worden, dass die Flüchtlinge nach Palästina zurückkehren müssten, damit alles besser wird.
Doch die Rückkehr ist eben nirgendwo in Sicht. Stattdessen kämpfen Hamas und Fatah um die Kontrolle über die palästinensischen De-facto-Exklaven im Libanon. Und geben damit zu erkennen, dass es auch um die politische Zukunft, die gesellschaftliche Einheit in Palästina selbst nicht gut bestellt ist.
PLO und Fatah extrem unbeliebt
Während der Gaza-Krieg noch in vollem Gange ist, diskutieren westliche Politiker und auch die palästinensische Elite selbst darüber, wie es politisch im Gazastreifen weitergehen soll. PLO und Fatah sind extrem unbeliebt, die Hamas ist im Gazastreifen, einigen Flüchtlingslagern und in Teilen des Westjordanlands gesellschaftlich tief verankert. Sie wird als einzige politische Alternative gesehen und bietet zudem ein konservatives, religiös geprägtes Gegenmodell zum eher säkularen Staatsbild der Fatah.
Im Februar sind Regierungschef Mohammed Schtayyeh und seine Regierung zurückgetreten, um den Weg für die Bildung einer Einheitsregierung mit der Hamas freizumachen. Passiert ist das noch nicht; es werde verhandelt, heißt es aus dem Büro von Präsident Mahmud Abbas, der auf jeden Fall im Amt bleiben soll. Und Schtayyeh betont: Man werde die Hamas nicht zerstören können, deshalb müsse man mit ihr zusammenarbeiten, auch wenn das vielen im Westen und in Israel nicht gefallen wird.
Für die Situation in den Flüchtlingslagern im Libanon schieben er und die libanesische Regierung sich gegenseitig die Schuld zu: Die Libanesen hätten zugelassen, dass die Hamas dort an Waffen gelangen konnte, so Schtayyeh. Libanons Regierungschef Nadschib Mikati lässt mitteilen, die Fatah solle ihre Verpflichtungen erfüllen oder zulassen, dass libanesische Sicherheitskräfte den Job machen. Aber das lehnt die palästinensische Regierung ab.
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