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Krieg in der Ukraine: Kommt es, wie es kommen muss?

Europäische Soldaten für Kiew: Was zu Kriegsbeginn noch nicht diskutierbar war, schlug nun der französische Staatschef vor

  • Theo Wentzke
  • Lesedauer: 6 Min.

Am ersten Montag des dritten Kriegsjahres wurde die – inoffiziell längst bekannte – Begründung des deutschen Bundeskanzlers für seine Absage an die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine öffentlich: Der zweckmäßige Einsatz dieser Waffe wäre ohne Mitwirkung deutscher Soldaten vor Ort nicht zu machen, dies wiederum käme einer Verwicklung direkter Art in den Ukraine-Krieg gleich, die will Olaf Scholz vermeiden. Sprich: Die menschlichen Opfer und fälligen Verwüstungen sollen weiterhin ausgelagert bleiben.

Sofort hagelt es die ebenfalls längst bekannte Kritik: Wieder einmal zögere der Kanzler das Notwendige, das zur Verteidigung der Ukraine und Europas absolut Überfällige in unverantwortlicher Weise hinaus – bis es dann doch, aber mal wieder zu spät, gemacht würde. Vorauseilend stricken die notorischen Friedensfreunde von der FDP, den Grünen und den Christdemokrat*innen an einer neuen Dolchstoßlegende mit der Ukraine und der Weltordnung in der Rolle des Opfers.

Am Dienstag darauf wird bekannt, welche Konsequenz der französische Staatspräsident aus dem für den Westen unbefriedigenden Fortgang des großen antirussischen Freiheitskampfes gezogen wissen will. Anlässlich einer einschlägigen Konferenz von mehr als zwanzig für die Ukraine engagierten Staaten in Paris verkündet Emmanuel Macron, der Einsatz eigener, von europäischen Ukraine-Freund*innen mobilisierter Bodentruppen dürfe nicht ausgeschlossen werden.

Noch hält der Konsens

Prompt erklären Repräsentant*innen der Bundesregierung und der christdemokratischen Opposition, sie seien strikt dagegen (nicht ganz so strikt allerdings die notorische »Mutter Courage« von der FDP). So weit reicht der bundesrepublikanische Konsens also noch, wenigstens offiziell: Waffen, mit denen ukrainische Soldaten russische Kräfte auch weit hinter der Front effektiv ausschalten können – jede Menge, jederzeit, unbedingt; aber das mörderische Kriegselend dürfen weiterhin die Freiheitshelden ukrainischer Nationalität übernehmen. Also doch nicht, so wie von Macron angemahnt, alles dafür geben, dass Russland den Krieg verliert? Oder gilt dieses ›Nein‹ auch wieder nur bis auf Weiteres, zum Beispiel bis die Nato-Arsenale wieder aufgefüllt sind und die Panzerproduktion ins Rollen gekommen ist?

Mal anders gefragt, an die Adresse der aufgeschreckten christlichen und regierenden Nein-Sager: Was haben Sie sich denn dabei gedacht, wenn Sie in den vergangenen zwei Kriegsjahren nicht müde geworden sind, einen Sieg über Russland zu Ihrer Sache, zum Herzensanliegen Deutschlands und folglich – ungefragt – zu unser aller Pflicht zu erklären? Wenn Sie über das enorme Maß der praktizierten, wenn auch indirekten Kriegführung des vereinigten Westens hinaus immer noch mehr Waffen, eine quantitativ und qualitativ schrankenlose Eskalation des Gemetzels gefordert haben? Wenn Sie jede Erinnerung an die abschreckende Wucht der Atomwaffen Russlands als völlig übertriebene, weil grundlose Feigheit vor dem Feind abgewiesen haben?

Na gut, die Antwort will man lieber gar nicht wissen. Denn was auch immer die Leute sich gedacht haben und jetzt denken: Partei ergriffen haben sie erstens für Krieg, zweitens für Krieg als Mittel, Russland fertigzumachen, um eine europäische Staatenordnung gemäß ihrer weltpolitischen Räson durchzusetzen und drittens für einen Krieg mit und auf Kosten der Ukraine als Werkzeug. Und zwar logisch in dieser Reihenfolge.

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Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegen andere Gewaltmonopolisten zu fassen und für deren Durchsetzung Krieg zu führen, gehört zum Berufsbild von Leuten, die erfolgreich beschlossen haben, Politiker zu werden. Krieg gegen Russland, bis es von seinem ausgreifenden Sicherheitsbedarf an seiner Südwestgrenze Abstand nimmt und sich als Weltmacht geschlagen gibt, gehört zur Staatsräson der als Nato organisierten Mächte. Das gilt noch einmal in besonderer Weise für die auf europäische Führungsmacht erpichten Nationen Deutschland und Frankreich, weil Russland mit seiner Kriegsmacht die Vollendung der westlichen Vorherrschaft in der Welt und in Europa speziell blockiert – und nachdem dieser Staat seinen Einspruch gegen die Vormacht des Westens nun auch kriegerisch geltend macht. Kriegführung beschränkt auf die Ukraine und das russische Hinterland als Schauplatz folgt dem weltpolitischen Zweck Deutschlands und seiner Nato-Partner, der russischen Militärmacht ihre Existenz zu bestreiten, ohne die eigene Existenz als Zentralen des Weltgeschehens aufs Spiel zu setzen.

Mit seinem Vorstoß zum Einsatz europäischer Bodentruppen in der Ukraine macht Macron die Entscheidungssituation kenntlich, die in dem Kriegszweck des Westens enthalten ist und auf die der Krieg insofern zusteuert: Ist der Sieg über Russland jetzt die viel und laut beschworene weltpolitische Existenzfrage der Nato-Mächte – inklusive oder auch ohne USA? Oder macht der Westen eine russische Niederlage zur Existenzfrage allein für Selenskyjs Ukraine?

Die Freiheit, diese Frage gemäß den strategischen Bedürfnissen des Westens zu beantworten, bedarf einer Voraussetzung, die in Deutschland erst noch hergestellt oder jedenfalls fertiggestellt werden muss: Das friedensverwöhnte Volk muss erstens militärisch aufgerüstet und zweitens moralisch darauf vorbereitet und eingestimmt werden, dass es sich das Projekt Kriegstüchtigkeit praktisch gefallen lässt und sich an der wiederherzustellenden deutschen Hegemonialmacht in Europa berauscht. Bis dahin gibt es noch einiges zu tun. Aber wie die Rüstungsindustrie in Sachen Hardware, so arbeiten Politik und Öffentlichkeit in Sachen Kriegswille und militarisiertem Bewusstsein an einem Erfolg. Dabei gibt es im Bereich der moralischen Aufrüstung gegen Putins Reich des Bösen nichts wirklich Neues – allenfalls die frohe Aussicht, am Boom der Rüstungsaktien zu verdienen, wenn man genug Geld und den richtigen Vermögensberater hat. Ansonsten gibt es nur die seit zwei Jahren gewohnte Propaganda in immer neuen Auflagen.

Lektionen in Staatsräson

Ein produktiver Beitrag zu nationaler Einsichtigkeit in der Kriegsfrage ist aus ganz anderer Richtung zu verzeichnen. Wie die »Gewalt des Guten« mit einer blutigen Herausforderung durch »das Böse« fertig zu werden hat, fertig werden darf und muss, dafür bietet Israels Krieg gegen die Hamas in Gaza ein aufbauendes Beispiel. Jedenfalls gemäß der hierzulande herrschenden Lesart: Ein terroristischer Überfall berechtige, nein verpflichte die überfallene Staatsgewalt zur Anwendung von allem, was sie an Mitteln hat, und zwar ganz nach eigenem Ermessen. Opfer, auch wenn sie in die Zehntausende gehen, sind kein Einwand gegen diesen »guten« Zweck.

Diese Einsicht in Bezug auf Israel ist für den deutschen Staat zwar ein moralischer Sonderfall. Aber so besonders ist er dann doch nicht, dass er sich nicht auf den geographisch näher liegenden Fall Ukraine übertragen ließe: als Lehre über den schlüssigen Zusammenhang zwischen Staatsräson, Militärgewalt und gutem staatsbürgerlichem Gewissen. Das hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz eine deutsche Zeitenwende ausrufen lassen, die alles rechtfertigt, wofür die Deutschen in den nächsten Jahren von ihrer Regierung in Anspruch genommen werden.

Das können sie an den Bilanzen ablesen, die die Veranstalter und Intendanten des ukrainischen Kriegsszenarios aufstellen, nachdem sie zwei Jahre lang heldenhaft gewütet haben, und die Perspektiven, die sich für sie daraus ergeben. Besonders einleuchtend ist hier der Einfall der EU, den schon lange versprochenen Beitrag zur Verwüstung einer künftigen freien und sicheren Ukraine durch einige hunderttausend garantiert defensive Granaten mit dem festen Versprechen der Aufnahme des Landes und seines moldauischen Nachbarn in die Europäische Union zu verknüpfen.

Das imperialistisch sachgerechte Verhältnis zwischen hoheitlicher Kreditschöpfung, ökonomischer Konkurrenz und militärischer Aufrüstung wird auf europäischer Ebene mit der Reform des Euro-Stabilitäts- und Wachstumspakts ins Werk gesetzt. Auf nationaler Ebene bestimmt dieser Zusammenhang den deutschen Staatshaushalt. Die Logik dieser Einheit von Geld und Gewalt lässt sich übrigens sehr gut studieren an der Spannweite zwischen Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr, Wirtschaftsförderungsgesetz und Schuldenbremse…

Mehr zum Thema auf der Website der Zeitschrift GegenStandpunkt: de.gegenstandpunkt.com.

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