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Tuntenhaus in Berlin: Queerer Schutzraum kämpft gegen Verdrängung

Landespolitiker*innen von Linke bis CDU sprechen sich für Erhalt des Hausprojekts in Prenzlauer Berg aus

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach meinem Coming-out war eine Tunte ein schwuler Typ, der sich feminin gibt«, erzählt Plutonia im Gespräch mit »nd«. Plutonia wohnt seit 1997 im Tuntenhaus in der Kastanienallee, dem ältesten queeren Wohnprojekt in Berlin. Seit 1990 existiert es in Prenzlauer Berg, Mitte Februar wurde es verkauft. Daher fürchten die Bewohner*innen, dass das letzte Stückchen Subkultur auf der Kastanienallee verdrängt wird. Sie kämpfen für die Anwendung des Vorkaufsrechts durch den Bezirk – und gegen die Zeit, denn dieses müsste vor Mitte Mai ausgeübt werden.

Eine Tunte sei laut Plutonia für viele ein Feindbild. Tuntenhäuser sind »Safer Spaces«, also Schutzräume für queere Menschen, die wegen ihres Aussehens, ihrer Lebens- oder Liebensart bedroht werden. Plutonia erzählt, dass sie im Kiez der Kastanienallee schon körperlich so angegriffen wurde, dass sie ins Krankenhaus musste. Das 1990 besetzte Tuntenhaus in der Mainzer Straße in Friedrichshain, aus dem das hiesige Tuntenhaus hervorging, war nicht nur Ziel von Staats-, sondern auch von rechter Gewalt.

»Tuntenhaus bleibt« lautet das Motto der Bewohner*innen und ihrer queeren Verbündeten. Denn mit dem Verkauf des Hauses steht das solidarische Zusammenleben der Gemeinschaft auf dem Spiel. »In unserer größten WG wohnen etwa 15 Menschen«, berichtet Jil Brest im Gespräch mit »nd«. Brest wohnt seit etwa zehn Jahren im Tuntenhaus, das eine gemeinsame Hausgemeinschaft mit der ehemals besetzten Kastanienallee 85/86 bildet. »Es gibt Lesungen mit dem Buchladen zur schwankenden Weltkugel, eine Küche für alle, eine Lebensmittelverteilstelle, das jährliche Hoffest und vieles mehr«, erzählt Brest. Damit ist das Projekt nicht nur Schutzraum nach innen für die queere Community, sondern wendet sich auch sozial nach außen, indem kulturelle Austauschmöglichkeiten und Essen für arme Menschen angeboten werden.

Nun könnte dieser Zusammenhalt Geschichte werden und stattdessen ein neues Kapitel der Gentrifizierung Realität. Denn der unbekannte neue Eigentümer wird wahrscheinlich sanieren und die Mieten für die Bewohner*innen unbezahlbar machen. Das Tuntenhaus hofft nun darauf, dass der Bezirk Pankow das Vorkaufsrecht nutzt, um es in eine Genossenschaft zu überführen. Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2021 kann der Bezirk dieses jedoch nur anwenden, wenn besondere Baufälligkeit vorliegt, und das auch nur innerhalb von drei Monaten. »Bei der Begehung des Grundstücks wurde in der Tat eine Vielzahl an baulichen Mängeln und Missständen festgestellt«, bestätigt der Pankower Bezirksstadtrat Cornelius Bechtler dem »nd«. Damit ist eine weitere Prüfung des Vorkaufsrechts möglich.

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Den meisten Genossenschaften fehlt jedoch das Kapital für den Ankauf und die Sanierung. An dieser Stelle kann der Senat aushelfen, wie er es zuletzt im Falle des Wohnhauses in der Weichselstraße 52 in Neukölln tat. Damit wurde der Kauf durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land möglich. Doch dafür müsste der Senat die Haushaltssperre für den nötigen Zuschuss aufheben.

»Wenn der politische Wille da ist, hat Berlin auch schon gezeigt, dass so etwas möglich ist«, sagt der Abgeordnete der Linke-Fraktion Klaus Lederer gegenüber »nd«. Er steht am Donnerstagmorgen in strömendem Regen mit knapp 100 Menschen und mindestens so vielen bunten Regenschirmen vor dem Abgeordnetenhaus zur Kundgebung für das Tuntenhaus. Gemeinsam mit der Grünen-Fraktion hat die Linksfraktion einen Antrag gestellt, der den Senat zur Unterstützung des kommunalen Vorkaufsrechts auffordert.

Lederer sieht »Signale seitens des Senats, dass es eine Offenheit gibt«. Das zeigt auch die Debatte im Abgeordnetenhaus. Denn neben der grün-roten Opposition findet Sevim Aydin (SPD) es »wichtig, das Tuntenhaus zu erhalten«. Auch Christian Gräff (CDU) möchte, dass »mit dem Bezirk gemeinsam so ein Haus bleibt«. Unter der Voraussetzung, dass die Genossenschaft »wirtschaftlich darstellt«, wie die Instandsetzung zu finanzieren sei.

»Wer von sich behauptet, die Regenbogenhauptstadt fördern zu wollen, wie es der Regierende mehrfach getan hat, der muss solche Projekte erhalten«, sagt Katrin Schmidberger für die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Gegenüber »nd« zeigt sie sich positiv überrascht von der Debatte, besonders von Gräff, der am 16. März auf der Plattform X (ehemals Twitter) noch schrieb: »Keinen Cent für solche Geschenke an Besetzer.« Offensichtlich uninformiert darüber, dass die Tuntenhausbewohner*innen seit 34 Jahren Miete zahlen.

Claudia Krüger vom Tunten-Trash-Ensemble macht auf der Kundgebung vor dem Abgeordnetenhaus die demokratische Dimension des Projekts deutlich. »Jede Spur von Geborgenheit wird mit dem Muff der Kleinfamilie zerstört«, sagt sie. Diesen Muff brauche eine Gesellschaft, in der die »Keimzelle Kleinfamilie« Produktion und Reproduktion organisiert. Dieser Muff verstecke die Gewalt gegen Frauen, die im Privaten stattfindet. Lange habe die Schwulenbewegung für den Kleinfamilienmuff gekämpft, ihn nun aber hinter sich gelassen für einen »Ort, an dem man ohne Angst verschieden sein kann«, wie im Tuntenhaus in Prenzlauer Berg. Auch Plutonia findet, dass sich viel bewegt habe, so »dass heute zum Beispiel trans* und nichtbinäre Personen zur Hausgemeinschaft gehören«.

Jil Brest und Plutonia sind dankbar für die große Unterstützung. Nicht alleine dazustehen, »das ist ein tolles Gefühl«, meint Brest. Allein im Regen stehen sie nicht am Donnerstag vor dem Abgeordnetenhaus, ebenso wenig wie einige Tage zuvor, als sie zum dritten Mal zum Tag der offenen Tür bei sich zu Hause geladen hatten. Diesen veranstalten sie fortan immer samstags.

»Leider ist das Gold hinter dir nicht echt, sondern nur Plastik«, so Plutonia lachend über die begrenzten finanziellen Mittel der Tuntenhausbewohnenden. Sie zeigt auf einen Vorhang in ihrer Wohnung. Schaute man am vergangenen Samstag bei ihr aus dem Fenster, konnte man einen glitzernden Hinterhof sehen, ein loderndes Feuer in der Hofmitte und Dutzende drum herumsitzende bunt gekleidete Menschen. Ein lila schimmernder Samtvorhang hing vor einer Bühne, auf der musiziert und erzählt wurde. »Jedes Haus unter dem Mietpreisspiegel senkt den Mietpreisspiegel für alle«, sagte Jil Brest an jenem Samstag. Es stimmt: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Manchmal stecken hinter der Plaste wahre Schätze.

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