Wie an einer Schule mit Karate Mädchen stark gemacht werden

Im JANO-Sportprojekt in Rangpur werden Mädchen mit Kampfsport zu mehr Teilhabe ermutigt. Mit jedem Training steigt das Selbtbewusstsein.

  • Felix Lill, Rangpur
  • Lesedauer: 4 Min.
Training auf dem Schulhof: Tasmin (r.) und ihre Mitschülerinnen in Rangpur
Training auf dem Schulhof: Tasmin (r.) und ihre Mitschülerinnen in Rangpur

Tasmin Toraiya Ohi hat den Blick starr nach vorne gerichtet, während sie ihre Kolleginnen auf die Übungen einstimmt. Es ist kurz nach 10 Uhr morgens in Rangpur, einer 300 000-Einwohnerstadt im Norden von Bangladesch. An der Sekundarschule Gangachara im Stadtzentrum ist auf den ersten Blick alles wie immer: Die Kleineren rennen wild über den Schulhof, die älteren Mädchen und Jungs verbringen die Pause eher in getrennten Gruppen und kichern.

Aber dann, mitten auf dem sandigen Hof, ist da eben die Truppe um die 13-jährige Tasmin Toraiya Ohi, alle in weiße Anzüge gekleidet – sie trainieren Karate. »Wir machen das jeden Tag«, erzählt die Heranwachsende mit sichtbarem Stolz im Gesicht. »Vor Kurzem haben wir endlich den gelben Gürtel erhalten. Wir lieben es, Sport zu treiben!«

Und in Bangladesch ist das ein Statement. Denn Mädchen machen hier eigentlich keinen Sport. So ist jedenfalls die Tradition – die an dieser Schule aber seit sechs Jahren gebrochen wird. Seit 2018 führen die humanitären Nichtregierungsorganisationen Care und Plan – unterstützt mit Geldern der Europäischen Union und der Österreichischen Entwicklungsagentur – hier das sogenannte JANO-Projekt durch.

Neben einer Verbesserung der Ernährungslage in Zeiten des Klimawandels soll die Rolle von Mädchen und Frauen gestärkt werden – damit auch sie ihr Wissen einbringen können, wenn sich das Land modernisieren muss. Als wichtiger Hebel hierfür soll Sport wirken, sagt Lehrer Shafiqul Alam, der den Mädchen aus der Ferne zusieht: »Durch das Projekt haben wir auch ein Fach eingeführt, das den Kindern nicht nur die Grundlagen einer gesunden Ernährung beibringt, sondern auch im Umgang mit der Pubertät hilft.«

So etwas ist neu in Bangladesch – ähnlich wie Sport für Mädchen, zumal Kampfsport. In 331 Schulen der Region werden nun Mädchen – und nur Mädchen – in Karate ausgebildet. Warum? Der Lehrer Shafiqul Alam erklärt das anhand einer Anekdote: »Mädchen und Jungen haben zwar gemeinsam Unterricht, sind bisher aber trotzdem immer getrennt voneinander gewesen.«

Die Mädchen seien durch Karate selbstbewusster geworden, findet Shafiqul Alam. Die 13-jährige Tasmin bestätigt das: »Ich fühle mich jetzt stärker. Wenn ich allein rausgehe, hatte ich früher manchmal Angst, dass ich angegriffen werde. Aber jetzt kann ich mich verteidigen.« Am Anfang hätten sich ein paar Jungs über sie lustig gemacht. »Jetzt haben sie eher Angst vor uns, wenn sie auf dem Schulhof unsere Tritte und Schläge sehen.«

Dass Mädchensport in Bangladesch bisher ein Tabu ist, mag verwundern, wenn man sich die Rolle von Frauen in der Gesellschaft generell ansieht. Im »Gender Gap Report« des Weltwirtschaftsforums, das in verschiedenen Gesellschaftsbereichen die Geschlechtergleichheit international vergleicht, schneidet Bangladesch immerhin im globalen Mittelmaß ab.

Seit 15 Jahren wird das Land von einer Frau regiert. Und die wichtigste Exportindustrie ist der Textilsektor, in dem vor allem Frauen arbeiten. Das Weltwirtschaftsforum schreibt: »Island und Bangladesch sind die einzigen Länder, wo Frauen das höchste politische Amt im Land für mehr Jahre innegehabt haben als Männer.« Mit der höchsten Geschlechtergleichheit in Südasien stehe Bangladesch »weltweit auf Platz 59«.

In der Kategorie »politische Teilhabe« rangiert Bangladesch sogar auf Platz sieben weltweit. Aber im Sport ist das überwiegend muslimische 175-Millionen Land bisher eher bekannt dafür, dass Mädchen und Frauen eben kaum Teilhabe genießen. So berichtete vor einigen Jahren schon der türkische Sender TRT in seinem internationalen Programm über sportinteressierte Mädchen in Bangladesch: »Sie stehen oft dem Widerstand ihrer Eltern und der breiteren Gesellschaft gegenüber, die sie lieber jung verheiratet sehen würden; in einer Nation, wo Frauen schon zahlreichen Hürden begegnen, wenn sie nur Sport treiben wollen.«

Aber es tut sich etwas. Im Cricket, dem mit Abstand beliebtesten Sport in Bangladesch, gibt es seit 2007 eine Nationalmannschaft der Frauen. Der Bericht von TRT erwähnte eine Frau, die im Jahr 2022 als Trainerin einer Männerfußballmannschaft arbeitete. Wenn es nach Tasmin Toraiya Ohi ginge, könnte sich Bangladesch auch im Karate schon bald professionalisieren: »Ich würde gerne zu Olympia. Dafür würde ich auch hart trainieren. Ich bringe Karate jetzt auch meiner Schwester und ein paar Freundinnen bei.«

Die Recherche wurde von der NGO Care unterstützt.

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