Kafka-Serie: »Ich bin nicht sicher, dass ich Sie verstehe, Franz«

Daniel Kehlmann schreibt ein Seriendrehbuch über Franz Kafkas Leben für die ARD und erschafft dabei ein eigenartiges Wesen

  • Sebastian Lang
  • Lesedauer: 4 Min.
Max Brod (David Kross) kann Franz Kafka (Joel Basman, rechts) höchstens die Hand, aber nie das Wasser reichen.
Max Brod (David Kross) kann Franz Kafka (Joel Basman, rechts) höchstens die Hand, aber nie das Wasser reichen.

Wer seinem Publikum vom Leben eines Genies erzählen möchte, der muss besondere Mittel anwenden, um es davon zu überzeugen, dass es sich bei der besonderen Gabe dieses Menschen um eine sinnlich erfahrbare Tatsache handelt und nicht bloß um eine wichtigtuerische Behauptung.

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat sich also in seinem Drehbuch zur ARD-Miniserie »Kafka« einen besonders raffinierten, sogar verwegenen Trick ausgedacht, ein Verfahren, das man vielleicht »literarisches Eigenblutdoping« nennen könnte: Er legt dem Genie, um es dabei zugleich auch seinen nicht genialen Nebenmenschen gegenüber zu erhöhen, ganz einfach dessen eigene geniale Sätze in den Mund. Leider aber scheint Kehlmann an seinem Einfall derart Gefallen gefunden zu haben, dass er den noch ungleich verwegeneren Entschluss fasste, Kafka (Joel Basman) gleich beinahe jeden einzelnen Dialog der sechs Folgen auf diese Weise bestreiten zu lassen. Er lässt ihn eine nicht enden wollende Reihe aus ausnahmslos staunenmachenden, tiefsinnigen, meisterhaft geschliffenen Stellen aus seinem eigenen Nachlass, aus seinen eigenen Tagebüchern und Briefen, aufsagen.

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Die übrigen Figuren – rechtmäßige Opfer ihrer eigenen Gewöhnlichkeit gleichsam – müssen sich mit handelsüblichen, nämlich nicht von Kafka, sondern von Kehlmann geschriebenen, die Profanität ihrer Sprecher auch eigens noch einmal betonenden Sätzen begnügen. Sie haben dementsprechend Kafkas unablässig auf sie niedergehender Genialität selbst dann, wenn sie sich von ihr allzu sehr bedrängt fühlen, wenig entgegenzusetzen. Sie sagen dann höchstens: »Ich bin nicht sicher, dass ich Sie verstehe, Franz!« Oder es kommt zu so erstaunlichen Wortwechseln wie diesem: »Du bist mein Menschengericht, Felice!« – »Was auch immer das wieder heißen soll.«

Die ungewollt komische Wirkung, die Kehlmanns Kunstgriff zumeist entstehen lässt, stellt sich – man kann es sich denken – gerade dann am zuverlässigsten ein, wenn er in besonders ernsten Momenten angewandt wird. Zum Beispiel wenn Kafka ausgerechnet auf dem Höhepunkt eines heftigen Streits zu der tschechischen Schriftstellerin Milena Polak sagt: »Manchmal ist mir, als hätte ich solche Bleigewichte, dass es mich in die Tiefe des Meeres hinunterzieht – und jede, die mich fassen, retten möchte, lässt es wieder bleiben, nicht aus Schwäche, auch nicht aus Hoffnungslosigkeit, sondern einfach aus Ärger.« Oder wenn er Milena in einem intimen Moment mit zärtlicher Absicht, aber gerade deswegen eben auch maximal deplatzierter literarischer Grandezza verkündet: »Wie das Meer einen Kieselstein an seinem Grund überschwemmt, so überschwemmt dich mein Liebhaben.«

Was hier und an zahlreichen weiteren Stellen, abgesehen von der allgemeinen Glaubwürdigkeit des Gezeigten, zuallererst massiven Schaden nimmt, ist ironischerweise nichts anderes als gerade Kafkas so vehement beschworene Genialität selbst. Denn man wundert sich: Sollten wir von einem literarischen Genie, dessen Romane zum größten Teil aus meisterhaft gestalteten Dialogszenen bestehen, nicht annehmen, dass es durchaus in der Lage sein müsste, ein dem jeweiligen Anlass auch halbwegs adäquates Sprachregister zu verwenden? Statt lediglich ein immer gleiches? Und für wie genial würden wir eigentlich, sollte er uns in der Wirklichkeit begegnen, einen Literaten halten, der unverrückbar überzeugt scheint, Geistreiches und Brillantes, in großen Mengen und besonders schneller Folge vorgetragen, werde so tatsächlich immer noch geistreicher und brillanter?

So beginnt man sich irgendwann auch zu fragen, wenn also das Genie hier wieder und wieder in eine solche Nähe zum Idiotischen gerückt wird, ob darin nicht vielleicht sogar ein wenig unbewusste Absicht und eine kleine Rache an ihm liegen könnte.

Ja, Kafka schrieb tatsächlich einmal: »Ich habe kein literarisches Interesse, sondern bestehe aus Literatur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.« Daniel Kehlmann hat diesen Satz, so als enthalte er tatsächlich eine empirische Beschreibung von Kafkas Alltagspersona, einfach unmittelbar wörtlich genommen. Wenn Kafka in Kehlmanns Drehbuch auf eine schwindelerregend tautologische, beinahe kalauerhafte Weise nun aber fortwährend ganz und gar identisch bleibt mit dem, was er schreibt, wenn er vom mal genauen, mal ungefähren Wortlaut seines eigenen Werkes rückstandslos absorbiert wird – dann suspendiert Kehlmann so schlussendlich sogar den ganzen eigentlichen Sinn des biografischen Erzählens selbst.

Dann wird aus seinem »Kafka« selbst eben auch eine radikal widersinnige, Kafkas uns so weit bekanntem Wesen jedenfalls zur Gänze widersprechende Figur. Was Kehlmann uns hier zeigt, ist weniger ein Schriftsteller mit einem unerreicht vertrackten Innenleben als eher eine Art Christus der Hochmoderne, der den Menschen im Allgemeinen und seinen mal rührend, mal enervierend begriffsstutzigen Jüngern im Besonderen nimmermüde das Wort Gottes, das heißt sein eigenes, verkündet: »Es gibt unendlich viel Hoffnung, Max, nur nicht für uns!«

Letzteres, so geht die Überlieferung, hat Kafka sogar wirklich gesagt. Nur wagen wir eben zu vermuten, dass dieser berühmt gewordene Aphorismus dabei nicht von zehn weiteren umstellt war.

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