Nach tödlicher Polizeigewalt: Hussam Fadls Witwe verklagt Berlin

Zaman Gatea fordert Entschädigung, weil ein Berliner Polizist 2016 ihren Mann erschoss

Rechtsanwältin Beate Böhler (l) und Klägerin Zaman Gatea zu Beginn des Zivilprozesses am Landgericht
Rechtsanwältin Beate Böhler (l) und Klägerin Zaman Gatea zu Beginn des Zivilprozesses am Landgericht

Siebeneinhalb Jahre ist es her, dass ein Berliner Polizist den Geflüchteten Hussam Fadl von hinten erschoss. An diesem Mittwoch steht er das erste Mal vor Gericht – allerdings nicht als Beschuldigter in einem Strafprozess, sondern als Zeuge in einem Zivilprozess. Klägerin ist Fadls Witwe Zaman Gatea, angeklagt das Land Berlin. Es geht um die Frage der Amtshaftung: Haben sich Polizisten rechtswidrig verhalten, wofür dann der Staat haften müsste?

Gatea fordert Schmerzensgeld und Entschädigung für den Unterhaltsausfall für ihre zehn, 14 und 15 Jahre alten Kinder. Doch es geht ihr um mehr. »Ich hoffe, dass die Täter ihre gerechte Strafe bekommen«, sagt sie vor Prozessbeginn. Ihre Anwältin Beate Böhler hatte in einer Pressekonferenz am Montag erklärt, dass die Zeug*innenaussagen im Zivilprozess einer noch ausstehenden Anklage dienen könnten.

Bisher ließ die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen fallen mit der Begründung, es habe sich um eine Notwehrsituation gehandelt. Am 27. September 2016 wurde die Polizei zu einer Geflüchtetenunterkunft in Moabit gerufen, weil ein Bewohner die Tochter von Fadl und Gatea sexuell missbraucht hatte und von anderen Bewohnern festgehalten wurde. Nach der Festnahme lief Fadl auf den Täter zu, der sich entweder schon in oder noch vor einem Polizeiwagen befand. Dann fielen vier Schüsse, einer verletzte Fadl tödlich. Im Nachhinein behaupteten die Schützen, Fadl sei mit einem Messer auf den Täter zugestürmt. Wie gefährdet der Täter zu dem Zeitpunkt tatsächlich war, ob es mildere Mittel gegeben hätte, ob überhaupt ein Messer im Spiel war – all diese Fragen sind bisher ungeklärt.

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Die ersten drei der am Mittwoch vernommenen Zeugen machen von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern, um sich nicht selbst zu belasten, unter ihnen der wegen Totschlags verdächtigte Polizist. Ein weiterer Polizist kann sich zu Beginn seiner Befragung an kaum etwas erinnern. Als Anwältin Böhler seine »Amnesie« anzweifelt, erwidert er: »Wissen Sie, was vor acht Jahren auf ZDF lief?« Böhler entgegnet empört: »Es wurde jemand erschossen.«

Zwei Zeugen strengen ihre Erinnerung mehr an. Eine Polizistin führte den Missbrauchstäter zum Polizeiwagen und erinnert sich an eine aufgebrachte Stimmung in der Unterkunft. »Ziel war es, die Person von dem Ort wegzubringen, ohne dass es eskaliert.« Dann seien Schüsse gefallen und hinter ihr sei jemand zusammengebrochen. Sie behauptet, zu dem Zeitpunkt selbst noch nicht im Wagen gesessen zu haben, und widerspricht damit ihrer eigenen Aussage kurz nach dem Vorfall.

Ein weiterer Kollege erzählt ebenfalls von einer aufgeheizten Atmosphäre. Zwei Kollegen hätten den Täter in den Wagen gesetzt und die Tür geschlossen, erst dann seien die Schüsse gefallen. Fadl habe kurz vor dem Fahrzeug gelegen, ein Kollege habe weiterhin seine Waffe auf den Mann gerichtet. »Ich gehe an ihn ran für erste Hilfe, dann fragte der Kollege: ›Wo ist sein Messer?‹ Ich habe ihn abgetastet, auf dem Boden geschaut, aber kein Messer gefunden.«

Am 17. April wird der Prozess fortgesetzt, dann könnte bereits ein Urteil fallen. In Amtshaftungsverfahren liegt die Beweislast bei der angeklagten Seite, also beim Land. Sollte es der Polizei nicht gelingen, die Vorwürfe zu widerlegen, besteht ein Anspruch auf Entschädigung.

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